Erste Verhandlungsrunde ohne Ergebnisse

Tarifvertrag im öffentlichen Dienst: Riesiger Nachholbedarf

Bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder haben die Gewerkschaften gute Argumente, aber kaum Durchsetzungskraft.

Die erste Verhandlungsrunde verlief ernüchternd. Ende Oktober trafen die Tarifparteien zum ersten Mal zusammen, um einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) auszuhandeln. Bereits nach wenigen Stunden trennte man sich – nicht nur ohne greifbare Ergebnisse, sondern auch ohne ein Angebot der Arbeitgeberseite.

»Die Arbeitgeber haben die dramatische Situation der Beschäftigten anscheinend nicht verstanden und blenden aus, dass die Belastungsgrenze für die Beschäftigten längst überschritten ist«, klagte deshalb auch der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Frank Werneke, nach dem Ende der ersten Verhandlungsrunde. Die DGB-Gewerkschaften GEW, IG BAU und GdP haben sich unter der Federführung von Verdi als größter Gewerkschaft des öffentlichen Diensts mit dem DBB Beamtenbund in eine Verhandlungsgemeinschaft begeben.

Gemeinsam wollen sie für die rund 1,2 Millionen Tarifbeschäftigten im Geltungsbereich des TV-L eine Lohnerhöhung von 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro monatlich durchsetzen. Nachwuchskräfte sollen 200 Euro mehr erhalten und Auszubildende unbefristet übernommen werden. Vom Tarifabschluss würden nicht nur die direkt betroffenen Tarifbeschäftigten profitieren, sondern auch knapp 1,3 Millionen Landesbeamt:innen, weil der Tarifabschluss für die Angestellten durch Beschluss der Ministerpräsi­dent:in­nen auf die Beamten übertragen wird. Die Ruheständler:innen profitieren, weil sich die prozentuale Erhöhung ihrer Pension aus der Erhöhung ihrer Entgelte berechnet. Gestärkt werden sollen nach Willen der Gewerkschaften vor allem die unteren Entgeltgruppen, denen der geforderte Mindestbetrag von 500 Euro im Monat besonders zugute kommen würde.

Daran, dass ein deutlicher Lohnanstieg bei den Beschäftigten der Länder dringend notwendig ist, dürften kaum Zweifel bestehen. Während sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes im Frühjahr den höchsten Tarifabschluss seit Jahrzehnten erstreikten und so die starke Inflation zumindest teilweise kompensieren konnten, stagnieren die Einkommen der Beschäftigten der Länder nominal. Seit der letzten Tarifvereinbarung im Herbst 2021 mussten sie Reallohnverluste aufgrund der Inflation im zweistelligen Prozentbereich hinnehmen. Der Zahlung einer Infla­tionsausgleichsprämie wie in anderen Branchen verweigerten die Arbeitgeber ebenfalls. Es besteht also großer Nachholbedarf.

Die Gewerkschaften haben zwar mit dem Arbeitskräftemangel gute Argumente auf ihrer Seite. Tarifverhandlungen sind jedoch kein Debattierclub.

Im öffentlichen Dienst herrscht dramatischer Personalmangel. Den Gewerkschaften zufolge sind über 300.000 Stellen unbesetzt. Unterdessen wechseln viele Landesbeschäf­tigte wegen der besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen zu Bund und Kommunen. Der Abwerbedruck sei »riesengroß«, sagt Frank Werneke. Der Unterschied bei der Bezahlung zwischen den Tarifbereichen im öffentlichen Dienst betrage im Schnitt mehr als zehn Prozent, was Gehaltsunterschiede von mehreren Hundert Euro bedeuten können. »Die Länderbeschäftigten­bilden bei der Bezahlung im öffentlichen Dienst das Schlusslicht«, kritisiert der Verdi-Vorsitzende. Ein vergleichbarer Abschluss wie in der Tarifrunde von Bund und Kommunen sei deshalb unbedingt erforderlich, um möglichst einheitliche Bedingungen im gesamten öffentlichen Dienst sicherzustellen.

Die Arbeitgeberseite, die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), sagt, sie wolle ebenfalls vergleichbare Bedingungen, verweist jedoch zugleich auf leere Kassen. »Die Forderung blendet die dramatische, sich gerade jetzt zuspitzende Haushaltslage vieler Länder leider aus. Die Länder müssen gerade in diesen Krisenzeiten weiter handlungsfähig bleiben«, sagte der TdL-Vorsitzende und Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) der »Tagesschau«. Zwar gebe es »erheblichen Fachkräftebedarf«, die Forderung übersteige jedoch die Leistungsfähigkeit der Länder. Die TdL dürfte daher versuchen, den Gewerkschaften einen Tarifvertrag abzuringen, der deutlich schlechter ist als der bei Bund und Kommunen.

Die Gewerkschaften haben zwar mit dem Mangel an Fachkräften und der Gefahr einer weiteren Abwanderung von Beschäftigten gute Argumente auf ihrer Seite. Tarifverhandlungen sind jedoch kein Debattierclub. Was fehlt, ist die gewerkschaftliche Durchsetzungs­fähigkeit. Im Gegensatz zum öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen ist Verdi im Bereich der Länder kaum arbeitskampffähig.

Zum einen hemmt der vergleichsweise hohe Anteil an Beamt:innen, die nicht zum Streik aufgerufen werden dürfen, die Mobilisierung, zum anderen ist in den Ämtern und Verwaltungen der Landesbehörden der gewerkschaftliche Organisationsgrad ausgesprochen gering. Einzig in Teilbereichen wie den Universitätsklinken sind die Gewerkschaften in der Lage, den Tarifkonflikt öffentlichkeitswirksam auf die Straße zu tragen. Durch die Auslagerung der Autobahnen in eine eigene Gesellschaft gingen zudem die Autobahnmeistereien als wichtige Streikbetriebe im Bereich des TV-L verloren. Der einzige Verhandlungstrumpf für die Gewerkschaften bleibt deshalb die Hoffnung, dass sich die Arbeitgeber ein weiteres Auseinanderdriften des öffentlichen Diensts und noch mehr unbesetzte Stellen nicht leisten können und wollen.