Carsten Hellberg von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs im Gespräch über die Reunion der Band und die Songs von damals

»Songwriting entsteht ja im besten Falle immer aus einem Gefühl von Dringlichkeit«

In den neunziger Jahren galt die Band Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs als Vorläufer der sogenannten Hamburger Schule, sie verschwand nach ihrer vierten Platte »Leichte Teile, Kleiner Rock« 1998 aber von der Bildfläche. Nun wurde das Album wieder­veröffentlicht und erscheint zum ersten Mal auf Vinyl, zudem gibt es eine Reunion-Tour. Im Interview verrät der Sänger und Gitarrist Carsten Hellberg, warum das Ende seiner Band damals unvermeidlich war, wie sich die Idee einer Reunion vor einigen Jahren ­entwickelte und was die Songs von damals heute noch bei ihm auslösen.
Interview Von

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs haben vier Alben veröffentlicht, wobei man das letzte, »Leichte Teile, Kleiner Rock«, als Höhepunkt der Diskographie bezeichnen könnte. Hat Sie damals die Angst überkommen, dass Sie dieses Album nicht mehr toppen können? Oder warum verschwand die Band dann erst mal in der Versenkung?
Nein, das hatte schlichtweg biographische Gründe. Wie das so ist, kommen irgendwann Kinder auf die Welt, und das ist für eine Band immer schwierig. So war das bei uns auch. Was schon beinahe tragisch war, weil wir alle merkten, dass dieses letzte Album mehr und auch andere Reaktionen hervorgerufen hat als die Alben davor. Wir hatten ein gutes Gefühl in Bezug auf das Album und auch untereinander, haben eine wunderbare, wenn auch kurze Tour absolviert. Anschließend stieg dann einer von uns aus den eben genannten Gründen aus. Es stellte sich schnell heraus, dass wir ohne ihn an das, was wir da gemacht haben über die vier vorangegangenen Jahre, nicht mehr anknüpfen konnten, weil das eben nur in der ursprünglichen ­Viererbesetzung so möglich war.

Haben sie damals noch an neuem Material gearbeitet, das dann nicht mehr veröffentlicht wurde?
Das war auch so ein Punkt: Ich hatte den Eindruck, dass ich mit der letzten Platte schon zu viel gesagt hatte, und irgendwie fiel mir danach nichts mehr richtig ein. Mich beschlich zunehmend das Gefühl, dass die Songs, die ich zu schreiben habe, schon ­geschrieben sind, wodurch irgendwann die Dringlichkeit abgenommen hat. Songwriting entsteht ja im besten Falle immer aus einem Gefühl von Dringlichkeit, und die war bei der letzten Platte enorm da.

Wann kam die Idee einer Reunion auf? Und gab es auch Zweifel an ihr?
Seinen Lauf genommen hat das Ganze vor etwa fünf Jahren, als uns ein Booker aus Berlin kontaktiert hat. Der hatte uns in den späten achtziger Jahren mal in Ostwestfalen gesehen. Jahre später hat er sich dann offenbar daran erinnert und uns schließlich angefragt. Ich weiß noch, wie ich die Nachricht bekam und dachte: Das ist eine drollige Idee. Wieso sollten wir das machen?

»Von Zeit zu Zeit rief ein alter Musikerkollege aus Hamburg, dessen Namen ich an dieser Stelle besser verschweige, nachts betrunken an und meinte: ›Von Haus aus allein‹ ist der beste deutschsprachige Song aller Zeiten.«

Dann verging ein Moment, und plötzlich dachte ich dann: Warum eigentlich nicht? Das war der Anfang. Als wir dann nach einiger Zeit im Proberaum standen, hatte es etwas von dem Spirit von damals und gleichzeitig etwas Neues. Das war ein tolles Gefühl. Wir haben gemerkt, dass diese Songs noch Gültigkeit für uns besitzen. Irgendwie ist Musik machen ja auch was Magisches. Man spielt da mit ein paar Leuten und wundert sich selbst darüber, was das ist.

Das heißt, die Songs haben keine Fremdheitsgefühle in Ihnen ausgelöst? Sie waren ja immerhin in ganz anderen Lebensphasen, als Sie sie geschrieben haben.
Nein, ein Gefühl der Fremdheit gab es nicht. Ich kann mich noch gut an die Zusammenhänge und Hintergründe erinnern, als ich die Songs geschrieben habe. Da liegt natürlich erst mal etwas Vergangenes drin. Aber ich muss sagen, dass die Dinge, um die es in den Songs inhaltlich geht, mich heute noch in ähnlicher Weise beschäftigen wie damals. ­Andersherum gab es auch die Erfahrung, dass ich erst mit dem Zeitabstand so richtig verstanden habe, worum es da in einzelnen Zeilen eigentlich geht. Das war verblüffend. Auch vom musikalischen Aspekt kamen wir schnell auf einen Nenner. Von der Form her ist es erst mal Gitarrenmusik, und das ist einerseits natürlich nicht so das neue heiße Ding. Aber ich finde, dass der Platte an­dererseits eine gewisse Zeitlosigkeit innewohnt. Sie ist einfach gut ge­altert. Das würde ich von anderen unserer Platten nicht nicht mehr in Gänze so behaupten.

Hat es Sie überrascht, dass es auch nach 25 Jahren noch so ein großes Interesse an Ihrer Band gibt? Oder haben Sie das auch in der Zeit ihrer musikalischen ­Abwesenheit wahrgenommen?
Nicht besonders stark. Aber ich bin auch zum Beispiel überhaupt nicht aktiv auf sozialen Medien. Gelegentlich kriege ich über unsere Freundin Myriam (Brügger; Anm. L. G.), die ja auch als DJ Melanie mit auf Tournee kommt, etwas mit, denn sie betreut den Facebook-Account von unserem alten Label L’Age d’or. Von Zeit zu Zeit rief auch mal ein alter Musikerkollege aus Hamburg, dessen Namen ich an dieser Stelle besser verschweige, nachts betrunken an und meinte: »Carsten, ›Von Haus aus allein‹ ist der beste deutschsprachige Song aller Zeiten.« Auch durch Youtube-Kommentare kriegt man hin und wieder mit, dass unsere Musik manche Leute sehr bewegt hat und immer noch bewegt.

Und direktes Feedback?
Vor einigen Jahren hat Joachim (Büchner; Anm. L. G.), den man von der Hamburger Band Der Bürgermeister der Nacht kennt und der nun auch unser Gitarrist geworden ist, mal eine Party gemacht. Da haben wir dann zusammen einen Song von Joachim gemeinsamen gesungen, und eben »Von Haus aus allein«. Danach kam dann ein deutlich jüngerer Typ auf mich zu und erzählte mit Tränen in den Augen, wie sehr ihn dieser Song in einer gewissen Lebensphase getroffen habe und was es ihm bedeutet habe, ihn nun das erste Mal live zu hören. Das war schon sehr eindrucksvoll. Ich selbst bin mit den Fehlfarben groß geworden, allerdings in einer Zeit, als sie schon längst aufgelöst waren. Als sie sich dann 2002 wiedervereinigten, war das wirklich ein krasses Erlebnis für mich. Deshalb konnte ich das Gefühl dieses Mannes sehr gut nachvollziehen.

Ihre früheren Veröffentlichungen waren überwiegend englischsprachig oder instrumental. Erst mit Ihrer letzten Veröffentlichung wechselten sie ins Deutsche. Welche Bedeutung hatte die Wahl der Sprache damals für Sie?
Als wir 1986 angefangen haben, gemeinsam Musik zu machen, war es überhaupt keine Frage für uns, auf Englisch zu singen. An deutschsprachiger Musik mochte ich damals nur die Fehlfarben, und die waren praktisch unerreichbar für mich. Mit deutschsprachiger Musik verband man vor allem die Neue Deutsche Welle, und die fanden wir natürlich ganz fürchterlich. Und deutschsprachige Texte wären mir damals auch irgendwie noch zu nahe gewesen. Mit einer fremden Sprache hält man sich ja immer ein Stück von sich selbst fern.

»Meine musikalische Messlatte war anfangs eher Ian Curtis. So ­ergab es sich, dass unsere ersten beiden Platten überwiegend englischsprachig waren, bevor wir mit dem dritten Album eine reine Instrumentalplatte gemacht haben.«

Meine musikalische Messlatte war dann anfangs eher Ian Curtis. So ­ergab es sich, dass unsere ersten beiden Platten überwiegend englischsprachig waren, bevor wir mit dem dritten Album eine reine Instrumentalplatte gemacht haben. Das war auch notwendig für mich, weil ich zum damaligen Zeitpunkt keine Lust mehr hatte, Sänger zu sein. Erst als Reaktion darauf ergab sich dann die spätere Platte, auf der dann wieder Gesang stattfand.
Zu der Zeit habe ich einen persönlichen Prozess vollzogen und eine Psychoanalyse begonnen. Im Kontext dessen war es für mich natürlich bedeutsam, Worte und Bewusstsein zu generieren und mich dahingehend zu reflektieren, wie ich in Beziehungen bin. Letztlich waren wir damit ja auch Teil eines Prozesses, denn in der Zeit gab es ja immer mehr tolle deutschsprachige Bands, nicht zuletzt in Hamburg. Insofern spielte die Wahl der Sprache schon eine große Rolle.

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gelten als Vorläufer der sogenannten Hamburger Schule. Entsprechend gab es diesen Begriff zu Zeiten der Bandgründung in den achtziger Jahren noch nicht. Wie haben Sie auf diesen Begriff und den damit umschriebenen Zusammenhang geblickt? Haben Sie sich als Teil der Szene be­griffen?
Das kommt darauf an, wie man diese definiert. Wir haben uns immer als Teil der Hamburger Musikszene Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre gesehen, denn da sind wir praktisch hineingerutscht und diese Szene haben wir ja dann letztlich auch sehr mitgeprägt. Damals gab es aber noch nicht die Vorstellung einer Hamburger Schule im Sinne dessen, dass da komplexe deutsche Texte mit Gitarrenmusik kombiniert wurden. Vielmehr war das ein sozialer Zusammenhang.

»Als sich Anfang der Neunziger das herauskristallisierte, was man später Hamburger Schule nannte, hatten wir das Gefühl, dass wir kein Teil davon sind, weil wir ja zu der Zeit noch Englisch sangen.«

Es gab einen großen Pool an Bands, die sich füreinander interessiert haben und nicht so sehr in Konkurrenz zueinander standen und zugleich eine riesige Bandbreite abgebildet haben: Es gab Metal-Bands aus den Hamburger Vororten, die Rockabilly Mafia aus Elmshorn, elektronische und experimentelle Sachen und dann wieder so Sonic-Youth-artige Bands. In dieser Szene waren wir drin und die fanden wir auch toll.
Als sich dann Anfang der Neunziger das herauskristallisierte, was man später Hamburger Schule nannte, hatten wir das Gefühl, dass wir kein Teil davon sind, weil wir ja zu der Zeit auch noch Englisch sangen. Lustigerweise war dann »Leichte Teile, Kleiner Rock« so etwas wie unsere Hamburger-Schule-Platte, allerdings zu einer Zeit, als das Ganze schon wieder am Kippen war. In der Zeit haben alle angefangen, schlechte und billige elektronische Musik zu produzieren. Daher fand ich es gut zu sagen: Nee, wir machen jetzt eine klassische Indie-Rock-Platte. Mit zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass, und straighten Songs.

Wird es irgendwann auch neues Material von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs geben?
Gerade geht es erst mal darum, das Projekt, das wir vor fünf Jahren begonnen haben, zu Ende zu führen. Alles andere kommt danach. Wenn die Tour dann vorbei ist, werden wir uns zusammensetzen und uns ­darüber austauschen, wie wir die Zeit erlebt haben, und danach ist ­alles offen. Es kann sich noch mehr daraus entwickeln, aber das muss es nicht.


Albumcover

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Leichte Teile, Kleiner Rock (Tapete Records)