Mit Nazis gegen Juden – zur ­Tradition des eliminatorischen Antisemitismus in der islamischen Welt

Mit Nazis gegen Juden

Zur Tradition des eliminatorischen Antisemitismus im Nahen Osten und seiner Verharmlosung hierzulande bis in die Gegenwart.
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Die anhaltende Täter-Opfer-Umkehr im Israel-Palästina-Konflikt beruht auf zwei zentralen Prämissen. Die erste, vielfach kolportierte Behauptung lautet, dass es antisemitische Haltungen in nennenswertem Ausmaß im Nahen Osten erst seit der Gründung des Staates Israels im Jahr 1948 und der daraus folgenden Konflikte und Kriege gebe. Und die zweite besagt, dass den Palästi­nenser:innen und der arabischen Welt mit der Gründung des Staats Israel die Folgen eines europäischen ­Problems, sprich: des Holocaust, aufgebürdet worden seien, mit dem sie »nichts zu tun gehabt hätten«.

So heißt es zum Beispiel in einem Grundsatzpapier der Hamas von 2017, »der Antisemitismus und die Verfolgung der Juden« seien »Phänomene, die grundsätzlich mit der europäischen Geschichte und nicht mit der Geschichte der Araber und Muslime oder ihrem Erbe verbunden sind«.

Mit Hilfe prominenter Kollaborateure wie Husseini und al-Gaylani vermochten die Nazis, arabische Freiwillige und Muslime für ihren Vernichtungskrieg zu rekrutieren.

Tatsächlich gibt es Judenfeindlichkeit und Judenhass in arabischen und muslimisch geprägten Gesellschaft – wie im christlichen Europa – seit Jahrhunderten und auch die ideologischen Grundlagen des aktuellen eliminatorischen Antisemitismus von Hamas, Hizbollah & Co. wurden bereits zur Zeit des Nationalsozialismus gelegt – also Jahrzehnte vor der Staatsgründung Israels.

Bei der weltweiten Verbreitung antisemitischer Hetze spielten die Auslandsorganisationen der NSDAP eine wichtige Rolle. Immerhin lebten zwischen 1933 und 1945 knapp fünf Millionen Deutsche in über 80 Ländern und viele sympathisierten mit den Nazis – auch im Nahen Osten. So hetzte zum Beispiel die Zweigstelle der NSDAP in Ägypten schon in den dreißiger Jahren gegen die »Judenhochburg« Alexandria. Und im sogenannten Hansa-Klub in Kairo hielten deutsche Referenten Vorträge über das »Judentum« und »südarabische Rassenfragen«.

Auch in Palästina gab es schon vor 1933 eine Auslandsorganisation der NSDAP. Die deutschen Auslandsnazis leisteten im britischen Mandatsgebiet Palästina Spionagedienste für das NS-Regime, bespitzelten Juden und knüpften Kontakte zu Sympathisanten der Nazis unter der arabischen Bevölkerung.

Bereits 1920: »Tötet die Juden«

Dazu gehörte auch Mohammed Amin al-Husseini, der aus einer der reichsten und einflussreichsten arabischen Großgrundbesitzerfamilien Palästinas stammte. Bereits 1920 rief Husseini mit dem Slogan »Tötet die Juden« zu deren Vertreibung aus Palästina auf und in den Jahren danach war er mitverantwortlich für Hunderte Mordanschläge seiner Gefolgsleute auf Juden. Trotzdem ließ die britische Mandatsmacht zu, dass sich Husseini zum »Großmufti« von Jerusalem erklärte und sich zum Präsidenten des »Obersten Islamischen Rats« wählen ließ. Damit war er Ende der zwanziger Jahre nicht nur der wichtigste religiöse, sondern auch der wichtigste politische Anführer der Araber Palästinas.

Die Briten hofften, indem sie Husseini in ihren kolonialen Machtapparat einbezogen, die gewaltsamer ­werdenden Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden in Palästina befrieden zu können. Vergeblich. Schon unmittelbar nach der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 teilte Husseini dem deutschen Generalkonsul in Jerusalem, Heinrich Wolff, mit, dass er sich die faschistische Staatsform auch für alle arabischen Länder wünsche.

Von 1936 bis 1939 organisierte Husseini einen Aufstand der arabischen Bevölkerung Palästinas, den das NS-Regime finanziell unterstützte. Dabei ­ermordeten seine Anhänger nicht nur Briten und Juden, sondern auch bis zu 3.000 moderate Araber, die zu Verhandlungen mit der jüdischen Bevölkerung über eine Zweistaatenlösung bereit gewesen wären.

Um seiner Verhaftung durch die britische Mandatsmacht zu entgehen, floh Husseini 1937 über den Libanon in den Irak. Dort unterstützte er 1941 ­einen Putschversuch des nazifreundlichen Politikers Rashid Ali al-Gaylani, der zu einem Pogrom an den Juden Bagdads führte. Nachdem 20.000 britische Soldaten den faschistischen Aufstand niedergeschlagen hatten, gingen Husseini und al-Gaylani ins Exil nach Nazideutschland.

In Berlin angekommen, trafen sie auf Gleichgesinnte aus Saudi-Arabien, Ägypten und Afghanistan und anderen arabischen und muslimischen Ländern. Die Nazis stellten ihnen Unterkünfte, Büros und Einrichtungen zur Verfügung, darunter auch solche, die vor 1933 im Besitz der jüdischen Gemeinde Berlins gewesen waren. Die beson­dere Bedeutung, die das NS-Regime dem Palästinenserführer Husseini beimaß, zeigte sich daran, dass er von Hitler persönlich empfangen wurde.

»Größte Hochachtung« für Hitler

Im Nahen Osten sympathisierten derweil weiterhin nicht nur bedeutende Teile der Bevölkerung, sondern auch höchste Regierungskreise mit den ­faschistischen Kriegstreibern. König Ibn Saud von Saudi-Arabien zum ­Beispiel empfand für Hitler die »größte Hochachtung«. Ägyptens König ­Faruk sandte Hitler 1941 die Botschaft, er sei von »starker Bewunderung für (den) Führer und Hochachtung vor dem deutschen Volk erfüllt«, dessen Sieg über England er sehnlichst herbeiwünschte. Auch Politiker in Marokko hatten Hitler schon in den dreißiger Jahren die »tiefe Anerkennung des marokkanischen Volkes« übermittelt.

Lange vor Kriegsbeginn waren im Nahen Osten auch bereits faschistische Parteien und Nachwuchsorganisationen nach dem Vorbild der Hitler-Jugend entstanden wie zum Beispiel die Syrische Volkspartei (1932), das Junge Ägypten (1933) sowie die irakische und die palästinensische al-Futuwwa (1936). Vertreter dieser Organisationen nahmen an Reichsparteitagen der NSDAP in Nürnberg teil und einige von ihnen lud Baldur von Schirach, der Führer der Hitler-Jugend, persönlich dazu ein, ihn zu begleiten, als er 1937 mit einer Delegation von Damaskus über Bagdad bis nach Teheran reiste.

Mit Hilfe prominenter Kollaborateure wie Husseini und al-Gaylani vermochten die Nazis zudem, arabische Freiwillige und Muslime aus den Bal­kanländern und den besetzten Provinzen im Süden der Sowjetunion für ihren Vernichtungskrieg zu rekrutieren. Das waren nicht wenige, sondern 200.000 muslimische Soldaten für die Wehrmacht und Zehntausende für die Todesschwadronen der Waffen-SS in Kroatien, Bosnien und Slowenien. Letztere waren mitverantwortlich für die Deportation und Ermordung Zehntausender Juden und Roma sowie für Massaker an der Zivilbevölkerung, weshalb Husseini als ihr Anwerber nach 1945 in Jugoslawien auf der Liste der meistgesuchten Kriegsverbrecher stand.

Die »Endlösung« als Vorbild für muslimische Länder

Selbst den Holocaust nahm Husseini nicht nur billigend in Kauf, sondern über den arabischsprachigen Auslandssender der Nazis forderte er die Mus­lime in aller Welt auch immer wieder auf, sich an der »Endlösung« der Na­zis ein Beispiel zu nehmen und die Juden »aus allen arabischen und mohammedanischen Ländern« zu vertreiben.

Als die Wehrmacht 1942 in Tunesien einmarschierte, landete mit ihr dort ein Sonderkommando der SS, das die Ermordung der 500.000 Juden in Nordafrika und der 200.000 im Nahen Osten vorbereiten sollte. Ähnlich wie in Osteuropa vertraute die NS-Führung darauf, den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung auch in Nordafrika und im Nahen Osten mit Hilfe »einheimischer« Freiwilliger durchführen zu können. Schließlich feierten viele in den arabischen Ländern den Vormarsch der faschistischen Truppen in Europa und Nordafrika begeistert.

In Ägypten lieferte nicht nur König Faruk über seine Gesandtschaft in der Türkei dem NS-Regime Informationen über Stellungen der britischen Armee in Nordafrika, sondern seine Offiziere (darunter die späteren Präsidenten Gamal Abd al-Nasser und ­Anwar al-Sadat) unterhielten auch rege Kontakte zum Afrika-Korps des Nazi-Generals Erwin Rommel.

Die breite Bereitschaft arabischer Politiker und Honoratioren zur Kollaboration mit den faschistischen Achsenmächten ist bemerkenswert, da sich Hitler und Mussolini strikt weigerten, den Arabern irgendwelche Zusagen für die Unabhängigkeit ihrer Länder nach dem Kriegsende zu geben. Aber es gab offensichtlich ein großes verbindendes Ziel über alle Differenzen hinweg: der Kampf gegen »die Juden«.

Geschichtsklitterung

Die Tradition des eliminatorischen Antisemitismus im Nahen Osten spielt in den gegenwärtigen Debatten kaum eine Rolle. Mitverantwortlich dafür ist der Mainstream der hiesigen Islamwissenschaftler und Nahost-Expertinnen, die selbst fanatische Judenhasser immer wieder als antikoloniale Freiheitskämpfer verharmlost haben.

Prototypisch dokumentieren dies die Publikationen des Zentrums Moderner Orient (ZMO) in Berlin. Das ZMO ist die bedeutendste Institution »für interdisziplinäre Studien« zum Nahen Osten hierzulande. Es wird aus Mitteln des Bundes, des Berliner Senats sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, hat ein mehrjähriges Forschungsprojekt über »zeitgenössische arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus« veranstaltet und die meisten deutschsprachigen Publikationen zum Thema veröffentlicht. Darin werden antisemitische und profaschistische Haltungen in arabischen Ländern relativiert, wenn nicht sogar geleugnet.

Obwohl Nazideutschland zum Beispiel in Ägypten zahllose Kollaborateure auf allen Ebenen der Gesellschaft fand, heißt es in einer Studie des ZMO zur deutschen Islampolitik zwischen 1938 und 1945, alle Versuche der Nazis, in Ägypten »einheimische Verbün­dete für den militärischen Vorstoß Deutschlands nach Nordafrika und den Nahen Osten ausfindig zu machen«, seien »gescheitert«.

Den profaschistischen Putsch von 1941 im Irak beschreibt Peter Wien vom Zentrum Moderner Orient als »Generationenkonflikt« und die dortige Begeisterung für den Faschismus als Modeerscheinung: »Es wurde modern, die Sehnsucht nach einem Führer auszudrücken, einem überlegenen Charakter, der der Jugend als leuchtendes Beispiel dienen sollte.«

Das Zentrum Moderner Orient publizierte auch eine umfangreiche Sammlung der Hetzreden Husseinis, seiner Propaganda im Nazi-Rundfunk und seiner Briefe an NS-Größen aus den Jahren 1940 bis 1945. Darin erweist sich der Palästinenserführer als fanatischer Antisemit und Unterstützer der Judenvernichtung, was die deutschen Herausgeber des ZMO allerdings – wie es in der skandalös unkritischen Einleitung heißt – weder »denunzieren« noch »dämonisieren« mögen. Sie wollen lediglich dazu beitragen, »ein nüchternes Verhältnis« zu diesem »umstrittenen Politiker« zu finden.

Ein Beispiel für bewusste Geschichtsklitterungen des ZMO ist die bislang umfangreichste, 2007 publizierte Studie »Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus« von René Wildangel. Trotz vielfach dokumentierter Sympathien der arabischen Bevölkerung Palästinas für den Faschismus und der vorbehaltlosen Kollaboration ihrer Führung mit den Nazis behauptet dieser ZMO-Autor, während des Zweiten Weltkriegs habe es »eine Konsensposition in der arabischen Bevölkerung« gegeben, »den alliierten Kampf gegen die Achsenmächte zu unterstützen«.

Damit nicht genug, verbreitet er auch noch, »große Teile der arabischen Bevölkerung« hätten ihrem Anführer Husseini die Gefolgschaft aufgekündigt, als dieser 1941 in Nazideutschland Exil fand, weshalb er »weder Einfluss nehmen konnte noch aufgrund seiner intensiven Kollaboration mit der Achse nach dem Krieg vor Ort eine politische Rolle spielen würde«.

Damit stellt sich allerdings die Frage, wieso der angeblich so vollständig diskreditierte Großmufti Husseini unmittelbar nach Kriegsende wieder zum obersten politischen Repräsentanten der Palästinenser aufsteigen konnte. Husseini wurde 1947 von der Arabischen Liga in dieser Funktion bestätigt und 1948 in Gaza zum Präsidenten des palästinensischen Nationalrats gewählt. Er vertrat die Palästinenser 1949 bei der Uno, 1953 bei der Gründung der Republik Ägypten und 1955 auf der Konferenz blockfreier Staaten aus Asien und Afrika im indonesischen Bandung.

Kein Wort verliert Wildangel auch darüber, dass Husseini schon 1947 von Ägypten aus erneut zum »Vernichtungskrieg gegen die Juden« aufrufen konnte. Yassir Arafat gehörte schon 1946 zu seinen Mitstreitern; ab den sechziger Jahren forderte er als Anführer der Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) – wie zuvor Husseini – die Zerschlagung des »zionistischen Gebildes« Israel. Noch im Jahr 2002 pries Arafat den fanatischen Judenhasser und Kriegsverbrecher Husseini als palästinensischen »Helden«.

Historische Fakten wie diese zu ignorieren, schadet Mitarbeiter:innen des ZMO nicht. Im Gegenteil: Ungeachtet der Geschichtsklitterungen zu ­Palästina verlieh die Universität Köln René Wildangel einen Doktortitel. Er wurde Nahost-Referent der Bundestagsfraktion der Grünen, leitete von 2012 bis 2015 das Regionalbüro Palästina und Jordanien der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah und arbeitet derzeit als Dozent für die Geschichte des Nahen Ostens an der Universität von Thessaloniki.

NS-Kriegsverbrecher: im Nahen Osten willkommen

Nicht einmal die Tatsache, dass Husseini nach 1945 weiterhin enge Kontakte zu deutschen NS-Verbrechern unterhielt, die im Nahen Osten untergetaucht waren und denen er neue Betätigungsfelder etwa beim Aufbau des ägyptischen Polizeiapparats und des syrischen Geheimdiensts vermittelte, war für das ZMO in seinem mehrjährigen Forschungsprojekt je ein Thema.

Darauf hinzuweisen, blieb Georg Hafner und Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk überlassen. Sie deckten auf, dass zu Husseinis Freundeskreis nicht nur Hans Eisele, der Arzt des Konzentrationslagers Buchenwald, Hitlers Bankier François Genoud und der Goebbels-Vertraute Johannes von Leers gehörten, sondern auch Eichmanns Stellvertreter Alois Brunner, der für die Ermordung von 120.000 Juden verantwortlich war. Husseini bot ihm in Damaskus Unterschlupf, wo er auch schon Franz Stangl, den Kommandanten von Treblinka, untergebracht hatte.

Seit 1968: Deutsche Linke feiern Judenmord

Auch in der Internationalismusbewegung und in der hiesigen Linken blieben die weitverbreiteten Sympathien arabischer Politiker und der palästinensischen Führung für die Nazi-Ideologie lange Zeit unbeachtet. Kurz nach dem Kriegsende und unter dem Eindruck der Shoah überwogen in der aus dem Exil zurückgekehrten und dezimierten westdeutschen Linken noch die Sympathien für die Gründung eines jüdischen Staats als Zufluchtsort und Heimstatt für Juden aus aller Welt – nicht nur bei Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, sondern auch bei Kommunisten. Schließlich stimmte die Sowjetunion 1947 in der Uno für die Gründung des Staates ­Israel, und so übernahmen auch deutsche Kommunisten zunächst die pro­israelische Haltung der stalinistischen Führung in Moskau.

Doch schon bald war die politische Entwicklung im Nahen Osten vom Kalten Krieg geprägt und die Sowjetunion vollzog eine politische Kehrtwende, um die arabischen Länder auf ihre Seite zu ziehen. Wie stets folgten dem auch die west- und ostdeutschen Kommunisten.
So ideologisch zerstritten die außerparlamentarische Opposition Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre auch war, so übernahmen doch fast alle daraus entstandenen Parteien, Organisationen und K-Gruppen die vom SDS Frankfurt ausgegebene Pa­role: »Nieder mit dem chauvinistisch-rassistischen Staatengebilde Israel!«

Der Rote Morgen, die Zeitung der maoistischen KPD/ML, beschrieb Israel im November 1974 als »blutrünstige und machtgierige Bastion gegen die Völker«. Die Zeitschrift Rote Fahne der maoistischen Konkurrenzorganisation KPD bekundete im Juni desselben Jahrs: »Es ist unser tiefer Wunsch, dass die palästinensischen Kämpfer (…) die Widersprüche im Lager des Feindes ausnutzen (…) und im langanhaltenden Volkskrieg ausharren.«

Die anarchistisch-militanten Tupamaros Westberlin verbreiteten, dass »aus den vom Faschismus vertriebenen Juden (…) selbst Faschisten geworden« seien, und beschmierten jüdische Mahnmale in Westberlin mit Sprüchen wie »Schalom und Napalm« und »El Fatah«. Damit nicht genug, platzierte die Gruppe ausgerechnet am 9. November 1969 eine Brandbombe im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin, wo 250 Menschen der Pogromnacht gedachten. Die Bombe explodierte zum Glück nicht.

Der Kommunistische Bund (KB) zog aus der weitverbreiteten antisemitischen Hetze im Oktober 1973 in seiner Zeitung Arbeiterkampf die Schlussfolgerung: »Der Konflikt im Nahen Osten kann nicht anders gelöst werden als durch die Zerschlagung des zionistischen Staates.«

Ulrike Meinhof, die in den sechziger Jahren in der Zeitschrift Konkret noch kluge Artikel gegen den Antisemitismus veröffentlicht hatte, feierte später mit der RAF den Anschlag, den die palästinensische Organisation »Schwarzer September« 1972 auf die israelische Olympiamannschaft in München verübte und der zwölf Menschenleben kostete, als beispielhafte »antiimperialistische, antifaschistische und internationalistische« Aktion.

Demonstration in London am 4. November 2023. »Die Hamas lehnt jede Alternative zur vollständigen und uneingeschränkten Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer ab.« (Artikel 20 ihrer Charta von 2017)

Demonstration in London am 4. November 2023. »Die Hamas lehnt jede Alternative zur vollständigen und uneingeschränkten Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer ab.« (Artikel 20 ihrer Charta von 2017)

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1976 entführte ein Kommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), unterstützt von Mitgliedern der bundesdeutschen Revolutionären Zellen (RZ), ein Flugzeug nach Entebbe in Uganda, dessen Diktator Idi Amin als Hitler-Verehrer die Terroraktion unterstützte. Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von inhaftierten Terroristen aus Palästina, Japan und von der Roten Armee Fraktion (RAF). Auf Geheiß des deutschen Terroristen Wilfried Böse wurden die gefangenen Passagiere in Juden und Nichtjuden selektiert, wobei unter den jüdischen Passagieren, die als Geiseln festgehalten wurden, auch Überlebende des Holocaust waren, die noch die von den Nazis eintätowierten KZ-Nummern auf ihren Armen trugen. Eine von ihnen kam bei der Befreiung der Geiseln um.

Selbst diese schockierende Geschichtsvergessenheit der RZ kritisierten damals in der bundesdeutschen Linken nur wenige. Erst in den achtziger Jahren begann eine verhaltene Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus innerhalb der bundesdeutschen Linken, an der sich allerdings längst nicht alle beteiligten. Die von Autonomen herausgegebene Zeitschrift Interim zum Beispiel verbreitete selbst 1992 zu Palästina immer noch die martialische Forderung »Sieg im Volkskrieg« mit dem Ziel »Israel muss weg«.

Kritischer Internationalismus in den achtziger Jahren

Mitte der achtziger Jahre gab es in der internationalistischen Szene erstmals eine breite selbstkritische Auseinandersetzung mit der romantischen Ver­klärung bewaffneter Befreiungskämpfe. Damals wurde erkannt, dass militärische Kämpfe stets autoritäre Befehlsstrukturen hervorgebracht und diese auch die jeweiligen Nachkriegs­gesellschaften geprägt hatten. Von Algerien über Vietnam bis nach El Salvador und Nicaragua hatte die Enttäuschung darüber stets zum Zusammenbruch der länderspezifischen Internationalismus-Arbeit geführt. Selbst die düstersten Kapitel der hiesigen Internationalismus-Arbeit kamen damals zur Sprache, wie die Verteidigung des Völkermord-Regimes von Pol Pot in Kambodscha durch »antiimperialistische« Initiativen und die Rechtfertigung der millionenfachen Morde während der Kulturrevolution in China durch maoistische Organisationen.

Eine Konsequenz dieser Debatten war die Verständigung darüber, dass »Befreiungsprozesse« Mindeststandards erfüllen sollten wie zum Beispiel die Beachtung der universal gültigen Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, den Schutz von Minderheiten sowie Presse- und Meinungsfreiheit. Auch sollte es beim Aufbau einer »befreiten« Gesellschaft eine möglichst breite basisdemokratische Beteiligung der jeweiligen Bevölkerung geben, wie es die Zapatisten in Mexiko in den neunziger Jahren dann auch versuchten.

Offenbar macht sich kaum jemand in der postkolonialen Szene Gedanken darüber, welche Form von »Freiheit« es nach einem Sieg von Hamas und anderen in ihrem Kampf gegen Israel geben würde.

Es ist erschütternd, dass selbst vier Jahrzehnte später offenbar nichts von alledem bei der Palästina-Solidarität und in den postkolonialen Debatten angekommen ist. Ansonsten wäre es schlichtweg nicht möglich, Terrorbanden wie die Hamas als »Freiheitskämpfer« oder »Partisanen« zu verklären.
Offenbar macht sich kaum jemand in dieser Szene Gedanken darüber, welche Form von »Freiheit« es »from the river to the sea« wohl nach einem Sieg von Hamas, Islamischem Jihad, Fatah und Hizbollah in ihrem Kampf gegen Israel geben würde, einmal ganz abgesehen davon, dass die Vertreibung oder Vernichtung der jüdischen Bevölkerung die Voraussetzung dafür wäre. Soll in Palästina etwas eine »befreite« Gesellschaftsordnung entstehen, wie sie in den islamistischen Ländern besteht, von denen die Hamas propagandistisch, finanziell und ­militärisch unterstützt wird, also wie im Iran, in Katar oder in der Türkei?

2023: Befreiungskampf für die Sharia

Die Sharia-Gesetzgebung praktiziert die Hamas im Gaza-Streifen bereits, seit sie sich 2007 gewaltsam an die Macht geputscht hat. Sie hat die Gewaltenteilung abgeschafft und Kleiderordnungen für Frauen und Männer erlassen. Kritiker:innen werden will­kürlich verhaftet und gefoltert, Homosexuelle ermordet und in den Schulen gehören antisemitische Hetze und die Verherrlichung des »Märtyrertums« von Selbstmordattentätern zum alltäglichen Unterrichtsstoff.

Es scheint, dass niemand von denen, die in der Hamas eine »Befreiungsbewegung« sehen, etwas an ihrer autoritären und faschistoiden Herrschaft im Gaza-Streifen auszusetzen hat. Mit kritischem Internationalismus hat dies nichts zu tun. Wer eine gerechte und solidarische Gesellschaft anstrebt, muss nicht nur die Menschenrechte und demokratische Freiheiten verteidigen, sondern auch dafür eintreten, dass Palästina endlich von Terrorbanden wie der Hamas und dem Islamischen Jihad befreit wird.

Zurzeit weist jedoch wenig darauf hin, dass sich die palästinensische Bevölkerung dafür einsetzen würde. Nach einer aktuellen Umfrage, die das Forschungsinstitut Arab World for ­Research and Development (AWRAD) unlängst im Gaza-Streifen und im Westjordanland durchgeführt hat, unterstützen drei Viertel der befragten Palästinenser:innen die Terrorangriffe vom 7.Oktober. Fast alle Befragten, 98 Prozent, fühlten sich danach »stolzer auf ihre Identität als Palästinenser«.

In der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Konkret sind Stellungnahmen zum 7. Oktober von acht palästinensischen Nichtregierungsorganisationen nachzulesen, die von der EU mit Millionenbeträgen gefördert werden. Keine von ihnen äußert auch nur die leiseste Kritik an der Hamas. Im Gegenteil: Sie alle feiern den Massenmord als eine »neue Etappe des Widerstands«, auf die sie »mit Stolz blicken«, weil sie »die Kraft und den Willen eines großen Volkes« zeige.

Sollten die Meinungsumfrage und die Stellungnahmen der NGOs auch nur halbwegs repräsentativ für die Stimmung der Bevölkerung im Gaza-Streifen und im Westjordanland sein, dann ist mit einem Aufstand der palästinensischen »Zivilgesellschaft« gegen die Hamas wohl kaum zu rechnen. Das wahllose Morden dieser Terrorbande kann somit offenbar nur beendet werden, indem das israelische Militär ihre militärische Infrastruktur zerstört. Das sollte deshalb auch die Unterstützung der hiesigen Internationalismus-Bewegung und der Linken finden.

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Der Text ist eine Kurzfassung des Vortrags, den Karl Rössel im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus Ende November 2023 in Freiburg gehalten hat. In voller Länge ist er im Südnordfunk des iz3w zu hören: iz3w/org/aktuell/vortrag-karl-rössel-mit-nazis-gegen-juden