Ein Plädoyer dafür, wachstumskritische Forderungen und Debatten ernst zu nehmen

Abschied von der technikoptimistischen Augenwischerei

An Degrowth-Konzepten gibt es viel zu kritisieren, aber das ändert nichts daran, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind. Für eine Wirtschaft ohne Zwang zum Wachstum ist es notwendig, auch den Kapitalismus zu überwinden.
Disko Von

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Auftakt einer Disko-­Reihe über Postwachstumskonzepte.

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Es sieht nicht gut aus. Dem jüngsten Jahresbericht des UN-Umweltprogramms zufolge steuert die Welt bis zum Ende des Jahrhunderts auf eine globale Erwärmung um knapp drei Grad im Vergleich zum vorindustriellen ­Niveau zu. Voraussetzung selbst dafür wäre allerdings, das alle Staaten ihre Versprechen für den Klimaschutz bis 2030 einhalten.

Zur Erinnerung: Ab ­einer Erwärmung von um die zwei Grad werden Kipppunkte erreicht, jenseits derer sich der Klimawandel selbst verstärkt. Weite Teile der Welt könnten dann für Menschen unbewohnbar werden. Und dabei geht es nur ums Klima. Es gibt weitere planetare Grenzen, die bereits jetzt überschritten sind, zum Beispiel für den Süßwasserverbrauch, die Landnutzung oder die Verschmutzung durch von menschlicher Produktion erzeugte Substanzen.

Hoffnung auf eine Entkopplung von Wachstum und Naturzerstörung

Das grundlegende Problem ist klar. Der Anteil der Erdrinde, den man im industriellen Stoffwechsel mit der Natur vernutzen kann, ist begrenzt. Entsprechendes gilt für die Abfallsenken und die Erdatmosphäre. Unsere Gesellschaftsordnung aber ist endlosem Wirtschaftswachstum verpflichtet. Sofern im politischen Mainstream überhaupt noch Lösungen größeren Stils für die ökologischen und klimatischen Probleme angeboten werden, verharren diese einfältig im Korsett der Wachstumslogik. Man verlässt sich auf den technischen Fortschritt und hofft auf eine Entkopplung von Wachstum und Naturzerstörung.

Der Rebound-Effekt – Steigerungen der Effizienz führt zu einer Erweiterung der Produktion und letztlich mehr Ressourcenverbrauch – macht alle kleinen Erfolge sofort wieder zunichte. Verbrennungsmotoren beispielsweise sind entschieden effizienter geworden. Das nützt aber nichts, wenn es dafür immer mehr Autos gibt und diese dann auch noch größer, schwerer und schneller sind.

Dieser Technikoptimismus ist aber Augenwischerei. Sicherlich gibt es technische Innovationen, die es ermöglichen würden, Ressourcen nachhaltiger zu nutzen. Der Rebound-Effekt – Steigerungen der Effizienz führt zu einer Erweiterung der Produktion und letztlich mehr Ressourcenverbrauch – macht aber alle kleinen Erfolge sofort wieder zunichte. Verbrennungsmotoren beispielsweise sind entschieden effizienter geworden. Das nützt aber nichts, wenn es dafür immer mehr Autos gibt und diese dann auch noch größer, schwerer und schneller sind. Auch die Auslagerung von Produktionsstätten in andere Weltgegenden hilft nicht weiter. Das Erdsystem im Ganzen hat nichts davon, wenn nationale Statistiken grüngerechnet werden.

Alle derzeit die öffentliche Debatte bestimmenden Konzepte eines klimaschonenden Umbaus der Wirtschaft, von technischem Fortschritt bis Green New Deal, beruhen auf profitgetriebenem Wachstum. Hochgespielt werden diese Debatten dann von den Kapitalfraktionen, die vom jeweiligen Konzept profitieren könnten. Statt an dieser Realitätsflucht mitzuwirken, bräuchte es ernsthafte Alternativen. Die notwendige absolute Entkopplung von Wirtschaftsentwicklung und CO2-Ausstoß ist nur auf dem Weg einer drastischen Gesamtreduktion des Material- und Energiedurchsatzes zu erreichen.

Genau dieses Argument steht im Mittelpunkt der Ende der nuller Jahre anhebenden und mittlerweile international geführten Debatte über Wachstumsrücknahme. Postwachstum ist die gängige deutsche Übersetzung von degrowth beziehungsweise dem ursprünglich französischen décroissance. Wer ernstes Interesse an einer mate­rialistisch fundierten Lösung für die globalen Umweltprobleme hat, kommt an Kernpunkten dieser Argumentation nicht mehr vorbei.

Degrowth keine widerspruchsfreie Theorie oder einheitliche Bewegung

Vorausgeschickt sei, dass man bei Degrowth weder von einer widerspruchsfreien Theorie noch einer einheitlichen Bewegung sprechen kann. Andrea Vetter und Matthias Schmelzer haben in ihrem lesenswerten Einführungswerk gleich sieben Stränge der Wachstumskritik unterschieden. Im Kern geht es allen diesen durchaus unterschiedlichen Ansätzen darum, dass Wachstum ohne Naturzerstörung eine Illusion und in den früh industrialisierten Ländern eine ökonomische Schrumpfung notwendig sei. Dass man zumindest in unseren Breitengraden auf gewisse Formen des Komforts wird verzichten müssen, dürfte hier ebenfalls Konsens sein. Das auf Grundlage dieser Annahmen auch viel Unsinn geäußert wurde, Kulturpessimistisches und Regressives inklusive, ist richtig. Das darf allerdings nicht als Vorwand dienen, sich mit dem grundsätzlichen Anliegen nicht auseinanderzusetzen.

Ein plastisches Bild einer Postwachstumsgesellschaft, das sich in Degrowth-Kreisen einiger Beliebtheit erfreut, ist die sogenannte Donut-Ökonomie der britischen Ökonomin Kate Raworth. Das Bild des Donuts, also das eines breiten Ringes, entsteht durch die kreisförmige Darstellung der äußeren Grenze der Belastbarkeit des globalen Ökosystems und einer inneren Grenze, die von der für menschliches Leben notwendigen Eingriffe in die Natur bestimmt ist. Zwischen dieser Innen- und Außengrenze, man kann auch sagen, zwischen dieser Unter- und Obergrenze, befindet sich der »safe and just space for humanity«, also der Bereich einer zukunftsfähigen gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit. Bildlich gesprochen, ist diese also nur im Teig des Donuts möglich, nicht außerhalb und nicht im Loch in der Mitte: Genauso wenig, wie man die ökologischen Grenzen überschreiten dürfe, dürfe es soziale Defizite, etwa an Nahrungsmitteln, Energie, Gesundheit, Wohnraum, Frieden oder Geschlechtergerechtigkeit geben.

Auch wenn sich unter dem Schlagwort »Degrowth« äußerst heterogene Positionen versammeln, kann man ­einige zentrale Punkte benennen, die für eine emanzipatorische Gesellschaftskritik entscheidend sind. So verbietet sich ein Technikoptimismus, weil die Technologien, die uns erretten sollen, schlichtweg nicht vorhanden sind. Auch dass die »Bevölkerungsexplosion« das angeblich entscheidende Problem sei, wurde in den klügeren Degrowth-Debatten widerlegt. Das Problem ist der Energie- und Materialverbrauch der reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung und in diesem Segment noch einmal deutlich abgehoben der Verbrauch der Superreichen. Eine Anhebung des Konsums in den ärmeren Ländern oder auch der Zugang zu Strom für alle Menschen nehmen sich in Relation dazu bescheiden aus.

Auch die Frage, was eigentlich menschliche Bedürfnisse sind, wurde in der Degrowth-Diskussion gestellt. Sind nicht Gesundheit, saubere Luft, gute Nahrungsmittel, viel freie Zeit zur Muße und persönlichen Entfaltung vielleicht doch wichtiger als SUVs, Weltraumtourismus und Luxusappartements? Letztere Ziele sind global nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch unmöglich zu erreichen, erstere aber sehr wohl.

Hinter dem Wachstumszwang stecken die Zwänge der Kapitalakkumulation

Wie steht es in dieser Hinsicht um die Marx’sche Maxime »jedem nach seinen Bedürfnissen«? Die politische Linke hat diese Frage in Anbetracht der rasch herannahenden Ökokatastrophe bemerkenswert lange ignoriert und steht ihr noch immer weitestgehend ideenlos gegenüber. Während die einen ihren Produktivismus zumindest etwas gezügelt haben, fabulieren andere noch immer von »Palästen für alle«, wenn nicht gleich vom »vollautomatisierten Luxuskommunismus«. Solch naives Wunschdenken beweist letztlich nur, wie sehr auch Linke noch immer den gefährlichen Mythen und ­Illusionen dieser Gesellschaftsordnung verfallen sind.

Dabei hätten emanzipatorische Kräfte allen Grund, sich an der Debatte über Postwachstum zu beteiligen. Immerhin könnten sie auf den blinden Fleck der Theorie verweisen. Denn Wachstum ist nicht bloß eine Idee, die man durch ein Umdenken aus der Welt schaffen könnte. Hinter dem Wachstumszwang stecken die Zwänge der Kapitalakkumulation samt der auf ihnen fußenden gesellschaftlichen Strukturen. Und dieser Zwang zur rastlosen Selbstverwertung des Werts lässt sich nicht in einen Donut pressen. Ein kapitalistisches Degrowth-Programm ist ein Widerspruch in sich.

Worauf es ankommt, ist eine Verbindung von Marx’schen Kommunis­musvorstellungen und Degrowth. Dazu müsste der Fokus auf eine Umwälzung der Produktions­verhältnisse gelegt werden

»Wer von der Akkumulation des Kapitals nicht reden will, soll zum Wachstum schweigen«, so hat Elmar Altvater bereits vor über zehn Jahren seine Kritik zugespitzt. In Anbetracht einer globalen Umweltkrise mit irreversiblen Folgen könnte man diese Aussage aber auch umkehren. Die beste Kapitalismusanalyse wird nutzlos, wenn nicht die materiellen Grenzen berücksichtigt werden, die auch einer postkapitalis­tischen Ökonomie gesetzt wären. Worauf es ankommt, ist eine Verbindung von Marx’schen Kommunismusvorstellungen und Degrowth. Dazu müsste der Fokus statt auf die Konsumtionssphäre auf eine Umwälzung der Produktionsverhältnisse gelegt werden.

Statt also moralisierend Verzicht zu predigen, müsste es um Klassen-, Eigentums- und die Machtverhältnisse gehen. Auf dieser Grundlage wäre dann auch nicht mehr abstrakt Wachstum zu kritisieren, sondern das kapitalistische Wachstum, welches über den Markt vermittelt wird und deshalb notwendig blind, also gesellschaftlich ungeplant, sein muss. Eine ökosozialistisch gewendete Degrowth-Theorie müsste berücksichtigen, dass es nicht nur um einen weitreichenden Rückbau gewisser Industrien geht, sondern ebenso um einen kompletten Umbau der gesellschaftlichen Infrastruktur, die gewaltige Maßnahmen erfordert zum Beispiel für die Energiewende.

Es ginge dann nicht um sogenanntes stationäres Wirtschaften, also eine schlichtes Ende des Wirtschaftswachstums bei Beibehaltung der heutigen Wirtschaftsform, sondern um eine sozialökologische Planung jenseits von Profit- und Akkumulationszwang. Befreit aus dem Hamsterrad der Kapitalverwertung ließe sich auch innerhalb planetarer Grenzen noch eine Welt gewinnen.