In Polen deutet sich ein Ende der öffentlichen Feindseligkeit gegen LGBT-Personen an

Ende der Hetze

In Polen ändert sich der gesellschaftliche und politische Umgang mit sexuellen Minderheiten allmählich. Journalist:innen und Poli­ti­ker:in­nen entschuldigen sich öffentlich für die jahrelange Feindseligkeit gegen LGBT-Personen.

Mitte Februar konnten Zu­schau­er:in­nen des Fernsehsenders Telewizja Polska Info den Stimmungswandel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Polen live an den Bildschirmen verfolgen.

Zu Beginn der Talkshow »Gość wieczoru« (Gast des Abends), zu der zwei LGBT-Ak­ti­vist:innen als Gesprächspartne­r:in­nen eingeladen waren, entschuldigte sich der neue Moderator Wojciech Szeląg zunächst ausdrücklich für die Hetze gegen queere Menschen und ihre Lebensweisen, die sein Sender seit dem Beginn der zweiten Alleinregierungszeit der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) im Jahr 2019 ­verbreitet hatte.

Diese öffentliche Entschuldigung steht exemplarisch für einen Wandel im öffentlichen Umgang mit queeren Personen in Polen seit dem Regierungswechsel, der auf die Parlamentswahl im vergangenen Oktober folgte. Die neue Regierungskoalition, die die drei Wahlbündnisse Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO), Dritter Weg (Trzecia Droga) und Linke (Lewica) bilden, strebt den Dialog und die Kooperation mit LGBT-Organisationen an.

»Ich möchte mich für den Schaden entschuldigen, der euch seitens des polnischen Staats zugefügt wurde.« Justizminister Adam Bodnar gegenüber  Vertreter:innen von LGBT-Organisationen

So übernahmen dieses Jahr staatliche Institutionen, darunter das Gleichstellungsministerium, erstmals die Schirmherrschaft für ein seit 2018 jährlich von der Stiftung Growspace ver­gebene Bewertung, welche Schulen in Polen am LGBT-freundlichsten sind. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den NGO-Ver­tre­te­r:in­nen Anfang Februar versicherte die Gleichstellungsministerin Katarzyna Kotula (Lewica): »Wir sehen euch, wir hören eure Forderungen und wir werden euch aus eigenem Antrieb unterstützen. Für eine offene Schule, für eine gleichgestellte Schule.«

Zugleich entschuldigte sie sich im Namen des polnischen Staats dafür, dass es in der Vergangenheit einen Bildungsminister wie Przemysław Czarnek (PiS) gab, der sich lautstark gegen »LGBT-Ideologie« wandte und unter anderem Sexualkundeunterricht an staatlichen Schulen einschränkte.

Bereits Ende Januar traf sich Justizminister Adam Bodnar (parteilos) mit Vertreter:innen von LGBT-Organisationen, um Verschärfungen der Gesetze gegen Hassverbrechen zu diskutieren. Auch Bodnar nutzte das Treffen sogleich für eine Entschuldigung für die während der Regierungszeit von PiS ­öffentlich zur Schau getragene Feindseligkeit gegen LGBT-Personen: »Ich möchte mich für den Schaden entschuldigen, der euch seitens des polnischen Staats zugefügt wurde.«

Und tatsächlich ist dieser Schaden nicht zu unterschätzen, wie inzwischen auch wissenschaftliche Studien belegen. Ein internationales Team der US-amerikanischen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtung National Bureau of Economic Research stellte jüngst den Zusammenhang von LGBT-feindlicher Gesetzgebung und der Anzahl von Suizidversuchen in Polen her. Solche wurde insbesondere auf regionaler und Gemeindeebene in ungefähr einem Drittel des Landes erlassen. Wo dies der Fall war, vermehrten sich Selbstmordversuche um 16 Prozent, vor allem unter Männern. Die For­sche­r:in­nen fanden sogar einen Anstieg von Selbstmordversuchen in Gegenden, die solche Vorschriften zwar nicht erlassen, aber darüber beraten hatten.

Mitte Dezember verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Polen wegen ungenügenden Schutzes gleich­geschlechtlicher Paare.

Der Studienleiter Chad Meyerhoefer sagte: »Wir waren selbst überrascht, wie groß der Einfluss bloßer politischer Beratungen über Anti-LGBT-Resolutionen auf die Selbstmordversuchsrate war.« Als weitere Faktoren machten die Wis­senschaftler:innen zudem den erschwerten Zugang zu psychologischer Versorgung sowie das Fehlen von Be­ratungsangeboten für Jugendliche aus.

Doch nicht nur die Diskussionen über sogenannte LGBT-freie Zonen – die ­oftmals als Ziel der fraglichen Vorschriften benannt wurden – ziehen interna­tionale Kritik auf sich. Mitte Dezember verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Polen wegen ungenügenden Schutzes gleich­geschlechtlicher Paare. Geklagt hatten zehn polnische Staatsbürger:innen, die seit Jahren vergeblich versucht hatten, ihre langjährigen Lebenspartnerschaften in Polen amtlich zu machen. Da polnische Behörden den Klagenden standesamtliche Eheschließungen ­verweigerten, hätten sie dem Urteil des Gerichts zufolge den Paaren das Recht auf Achtung des Privatlebens verwehrt und somit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Das Urteil aus Straßburg wurde in Regierungskreisen in Polen mit Wohlwollen aufgenommen, schließlich bietet es eine ideale Handhabe, geplante Gesetzesvorhaben zur eingetragenen Lebenspartnerschaft voranzubringen. Gleichstellungsministerin Kotula erklärte dieses Projekt bereits zu ihrer Herzensangelegenheit. Doch trotz der Fortschritte zeigen die Widerstände ­gegen eine Liberalisierung des restriktiven Abtreibungsrechts selbst innerhalb der Regierungskoalition, dass Geschlechts- und ­Sexualnormen umkämpfte Felder in Polen bleiben.