Prabowo Subianto hat die Präsidentschaftswahl in Indonesien gewonnen

Im Schatten der Diktatur

Der ehemalige General Prabowo Subianto hat die Präsidentschafts­wahl in Indonesien wohl deutlich gewonnen. Er ist ein ehemaliger Mit­strei­ter des 1998 gestürzten Diktators Suharto.

Fast 60 Prozent der Stimmen für einen Kandidaten trotz zweier Konkurrenten – das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Indonesien war unerwartet. Der autoritäre ehemalige Armeegeneral Prabowo Subianto wird aller Voraussicht nach ohne Stichwahl der nächste Präsident Indonesiens. Auch wenn die Auszählung noch bis Ende März laufen wird, spricht das vorläufige Ergebnis, das sich bei vergangenen Wahlen als genau erwies, Prabowo rund 58 Prozent der Stimmen zu, vor dem zweitplatzierten Anies Baswedan mit circa 25 Prozent und Ganjar Pra­nowo mit nur ungefähr 17 Prozent.

Es ist bereits der dritte Anlauf in Folge für Prabowo. 2014 und noch einmal 2019 hatte er gegen Joko Widodo verloren. Nach der Niederlage in diesem polarisierten Wahlkampf hatte Prabowo seine Anhänger zum Widerstand gegen angeblichen Wahlbetrug aufgerufen. Nach wochenlangen Konflikten und blutigen Auseinandersetzungen in Jakarta hatte der ehemalige General eingelenkt und war kurze Zeit später von Widodo überraschend zum Verteidigungsminister ernannt worden.

Auch am Ergebnis der jetzigen Wahl hat wohl die Popularität Widodos einen Löwenanteil. Er hatte sich gegen den Kandidaten seiner eigenen Partei PDI-P (Demokratische Partei des Kampfes ­Indonesiens), Ganjar Pranowo, entschieden und mehr oder weniger offen Prabowo unterstützt. Nicht zuletzt die Nominierung von Widodos Sohn, ­Gibran Rakabuming, als Vizepräsidentschaftskandidat ermöglichte es Prabowo, sich als legitimer Nachfolger des Präsidenten darzustellen und somit von dessen Beliebtheit zu profitieren.

Mit der Nominierung von Widodos Sohn als Vizepräsidentschaftskandidat, aber auch der Protektion für weitere Familienmitglieder, die in Ämter dringen, gesellt sich der Widodo-Clan zu den bisherigen politischen Dynastien des Landes.

Dass die beiden ehemaligen Widersacher zueinandergefunden haben, liegt vor allem an ihrem gemeinsamen Interesse an der Macht. Für Widodo ­bedeutet das Bündnis mit Prabowo, die Errungenschaften seiner Regierung abzusichern und vermutlich weiterhin in der indonesischen Politik mitzumischen. Mit diesem Schritt ist er nun endgültig aus dem Schatten der mächtigen ehemaligen Präsidentin Megawati Sukarnoputri getreten, der Vorsitzenden der PDI-P, die Ganjar Pranowo als Nachfolger Widodos favorisiert hatte und immer noch als Strippenzieherin der Politik gilt. Mit der Nominierung von Widodos Sohn als Vizepräsidentschaftskandidat, aber auch der Protektion für weitere Familienmitglieder, die in Ämter dringen, gesellt sich der Widodo-Clan zu den bisherigen politischen Dynastien des Landes. Wie lange das Bündnis Widodo–Prabowo tatsächlich halten wird, bleibt abzuwarten. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich der 73jährige Prabowo damit zufriedengibt, dem 36jährigen Sohn Widodos den Sitz warm zu halten.

Prabowo hat vor allem sein Image gewandelt, vom brutalen Hardliner zum freundlichen älteren Herren. Seine Wahlkampagne wurde begleitet von ­einem Tiktok-Song, zu dem er eher ungelenk über die Bühne hüpfte. Ein animierter Avatar auf Social Media zeigte ihn als freundliche, leicht dickliche Comicfigur. Als gemoy wurde er bezeichnet, was so viel heißt wie niedlich oder knuddelig. Ein Vergleich zur erfolgreichen Wahlkampagne des philippi­nischen Diktatorensohns Ferdinand »Bongbong« Marcos Jr. Im Jahr 2022 drängt sich auf. Auch dieser konnte sich über eine Social-Media-Kampa­gne ein freundliches Image geben und wählte die Tochter des damals am­tierenden Präsidenten Rodrigo Duterte als Vizepräsidentin.

Alles andere als knuddelig ist Prabowos Vergangenheit. Nachdem er seine Jugend im Ausland verbracht hatte, unter anderem in der Schweiz, heuerte er bei den Spezialeinheiten der indonesischen Streitkräfte an. Hier galt er als ambitioniert, aber auch unkontrolliert und konnte sich trotz einiger Disziplinarstrafen in den Rang eines Of­fiziers hocharbeiten. Das Konzept, Milizen als militärisches Mittel im Kampf um Osttimor einzusetzen, wird ihm zugeschrieben, genauso wie verschie­dene Massaker in der Region. Dabei konnte er seine Verbindung zu den Menschenrechtsverletzungen recht gut ver­tuschen, auch weil seine Einsätze der Geheimhaltung unterlagen. In Deutschland wurde er noch Anfang der achtziger Jahre von der GSG 9 ausgebildet – die ge­nauen Inhalte des Trainings sind unklar –, ehe er diese Kenntnisse dann wohl auch in Osttimor einsetzte.

Die großen Wahlanalysen machen vor allem den sehr großen Anteil an jungen Wählern dafür verantwortlich, dass Prabowos Rolle in der Vergangenheit keine größere Rolle gespielt hat.

Als es 1998 zu Protesten gegen den langjährigen Diktator Suharto kam, soll Prabowo für die Entführung einiger protestierender Student:innen ­verantwortlich gewesen sein – auch das bestreitet Prabowo, der bis zu seiner Scheidung kurz nach Suhartos Rücktritt dessen Schwiegersohn war. Nach dem Machtwechsel wurde wurde Prabowo noch 1998 aus dem Militär entlassen; ihm loyale Soldaten ermordeten daraufhin Mitglieder der Demokratiebewegung und selbst die USA erteilten ihm Einreiseverbot. Er übernahm daraufhin mit seinem in Jordanien lebenden Bruder zusammen einige Unternehmen, die ihn 2009 zum reichsten Vizepräsidentschaftskandidaten der Geschichte des Landes machten.

Es hatte im Wahlkampf nur kurz einmal so ausgesehen, als wäre Prabowos Beliebtheit bedroht. Vier Tage vor der Wahl veröffentlichten Demo­kra­tie­ak­­tivist:innen den Film »Dirty Vote« im ­Internet, in dem sie auf den Machtmissbrauch von Amtsträger:innen hinwiesen, insbesondere Widodos Unterstützung für Prabowos Kampagne. Es wurden Regierungsmittel und soziale Programme genutzt, um gezielt Werbung für politische Kandidaten zu machen. Nach vier Tagen hatten rund zehn Millionen Menschen den Film gesehen. Die Empörung über die Vetternwirtschaft konnte an der Stimmung im Land aber nicht mehr viel ändern.

Die großen Wahlanalysen machen vor allem den sehr großen Anteil an jungen Wählern – der Altersmedian lag 2022 in Indonesien lediglich bei geschätzt 29,6 Jahren – dafür verantwortlich, dass Prabowos Rolle in der Vergangenheit keine größere Rolle gespielt hat und er mit Tiktok-Videos überzeugen konnte. Eine sehr simple Erklärung, die eines der großen Tabus der indonesischen Gesellschaft unangetastet lässt: Bis heute hat es keine wirkliche Aufarbeitung der Massaker an indonesischen Kommunisten und ihren vermeint­lichen Unterstützern gegeben, die 1965/1966 schätzungsweise 500.000 bis mehreren Millionen Menschen das Leben kosteten. Jahrzehntelang wurden Familien stigmatisiert, wenn ­ihnen eine Nähe zur Kommunistischen Partei nachgesagt wurde.

Die meisten der Profiteure dieser Diktatur befindet sich nach wie vor in der indonesischen Führungsschicht; Suharto verdankte seinen Aufstieg zum Diktator im Jahr 1967 seiner Rolle als Anstifter und Mi­lizenführer bei diesen Massakern. Am Wochenende vor der Wahl lief der Film »Exil« in den Kinos Jakartas, der die Schicksale von Menschen zeigt, ­denen nach 1965 ihre Pässe entzogen wurden und die nicht mehr nach Indonesien zurückkehren konnten. Widodo hatte einst eine nationale Aufarbeitung versprochen. Mehr als die Aussage, dass ihm die Opfer leidtäten, hatte es aber nicht gegeben.

Die kommenden Jahre werden ein Test für die drittgrößte Demokratie der Welt, denn die autoritären Tendenzen, die bereits die Regierung Widodo begleiteten, dürften noch weiter zunehmen.

Prabowo stellte an verschiedenen Stellen klar, dass er die Politik Widodos fortführen möchte. Er verspricht eine jährliche Wirtschaftswachstumsrate von sieben Prozent und sieht den Staat als wichtigsten Konjunkturtreiber, insbesondere bei Infrastrukturprojekten. Inwiefern er auch den Politikstil Widodos übernehmen wird, wird sich erweisen. Dieser hatte breite Bündnisse angestrebt und damit die Opposition integriert. Zuletzt gehörten rund 80 Prozent der indonesischen Parlaments­abgeordneten der Regierungskoalition an. Zumindest in seiner Wahlkam­pagne hatte Prabowo Widodos Stil übernommen und sich mit alten Wider­sachern versöhnt.

Die PDI-P ist mit ungefähr 16,5 Prozent der Stimmen bei der parallel zur Präsidentenwahl abgehaltenen Parlamentswahl erneut stärkste Kraft geworden, scheint sich aber auf eine Rolle in der Opposition vorzubereiten – zu misstrauisch steht die Partei dem Lager von Prabowo und Widodo gegenüber. Am Wochenende äußerte der Präsidentschaftskandidat der Partei, Ganjar Pranowo, zudem, dass die Wahl für ihn noch nicht vorbei sei, da die Auszählung noch bis zum 10.März andauern werde. Die PDI-P kündigte zudem an, eine Klage gegen das Wahlergebnis zu prüfen.

Die kommenden Jahre werden ein Test für die drittgrößte Demokratie der Welt, denn die autoritären Tendenzen, die bereits die Regierung Widodo begleiteten, dürften noch weiter zunehmen. Die einflussreiche englischsprachige Tageszeitung Jakarta Post veröffentlichte nach der Wahl ein deutliches Edi­torial: »Die Dinge haben sich in den vergangenen 25 Jahren geändert, und jetzt ist die Demokratie the only game in town, und Prabowo sollte sich an die demokratischen Regeln halten, anstatt zu versuchen, sie zu begraben.«