Der Konzertfilm »Stop Making Sense« über die Talking Heads kommt wieder ins Kino

Das Publikum tanzte im Dunkeln

»Stop Making Sense«, Jonathan Demmes Konzertfilm über die Talking Heads, kommt 40 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in einer restaurierten Fassung wieder in die Kinos.

Während Youtube heute mit unzähligen wackeligen Smartphone-Mitschnitten von Konzerten überfüllt ist und auf Tiktok kurze Ausschnitte aus Liveshows zum Repertoire gehören, scheint das Genre des Konzertfilms aus der Zeit gefallen. Als Jonathan Demme und die Talking Heads 1983 »Stop Making Sense« drehten (erscheinen sollte er dann 1984), lag die Veröffentlichung von Martin Scorseses »The Last Waltz«, der das vorerst letzte Konzert der zeitweise als Begleitband von Bob Dylan fungierenden The Band zeigt, nur fünf Jahre zurück.

Gegenwärtig gibt es mit »The Eras Tour« über die großen Shows von Taylor Swift zwar wieder einen erfolgreichen Konzertfilm, dieser ist aber vor allem Zeugnis davon, dass sich der Erfolg eines Konzertfilms schlicht an dem der Musikerin bemisst – und legt auch lediglich Zeugnis davon ab, was auf der Bühne an Lichtshows, Tänzen und Showeinlagen zu sehen war. Hier sind das Zielpublikum fast ausschließlich die Fans, die wohl eh selbst ein Konzert der Tour besucht haben.

»Stop Making Sense« könnte da eine Ausnahme bilden. Denn die Talking Heads werden ihrem Bandnamen nicht im Mindesten gerecht, hier gibt es keine Backstage-Interviews mit den sogenannten talking heads zu sehen. Stattdessen ist das Konzert, das man hier zu sehen bekommt, eines, das für den Film inszeniert wurde.

Manchen Kritiken zufolge ist »Stop Making Sense« schlicht der beste Konzertfilm, der je gedreht wurde.

Manchen Kritiken zufolge ist »Stop Making Sense« schlicht der beste Konzertfilm, der je gedreht wurde. Anlässlich seines 40jährigen Jubiläums kommt Demmes Film in einer restaurierten Fassung wieder in die Kinos und beeindruckt nicht nur mit der neuen Sound- und Bildqualität. Bereits der erste Song, gar die erste Einstellung scheint das Urteil der Kritiken zu be­stätigen: Weißes Licht fällt auf einen dreckigen Bühnenboden, der Schatten eines Gitarrenhals erscheint, dann ein Körper. Es ist der Sänger und Gitarrist David Byrne, gekleidet in weiße Turnschuhe und einen hellen Anzug, der langsam zum Mikrophon läuft. »I got a tape I wanna play«, sagt Byrne und stellt einen Kassettenrecorder ab. Doch anstatt einer Kassette setzt der elektronische Beat des Drumcomputers Roland TR-808 ein. Dazu singt Byrne solo den Song »Psycho Killer« seiner Band ­Talking Heads.

Das Publikum vor der Bühne ist dabei kaum zu erahnen, ein großer Schatten liegt über ihm, Byrne scheint hier vor allem für die Kamera zu performen. Für den In­strumentalteil des Songs kehrt er dem Saal den Rücken zu und läuft Gitarre spielend über die Bühne, wo er zum Rhythmus der Drum Machine in Slapstick-Manier herumstolpert. Währenddessen schafft das technische Personal weiteres Equipment auf die noch karge Bühne, auf der nur Gerüste und Leitern stehen.

Song für Song betritt der Rest der Band die Bühne: Beim folgenden Lied »Heaven« sind Byrne und die Bassistin Tina Weymouth zu zweit, dann kommt der Schlagzeuger Chris Frantz (Weymouths Ehemann) dazu. Schlussendlich betritt auch der Gitarrist und Keyboarder Jerry Harrison die Bühne. Zwar ist die Stammbesetzung der Band jetzt beisammen, es werden aber nicht die letzten Musiker:innen sein, die die Bühne betreten.

Brian Eno wurde gewissermaßen zum fünften Mitglied der Band

Für die Talking-Heads-Alben »More Songs About Buildings and Food«, »Fear of Music« und »Remain in Light«, die zwischen 1978 und 1980 aufgenommen wurden, übernahm Brian Eno die Produktion und wurde dadurch gewissermaßen zum fünften Mitglied der Band. Sein Einfluss auf den Sound der Gruppe ging so weit, dass auf dem Cover von »Remain in Light« ursprünglich »Talking Heads and Brian Eno« stehen sollte. Als Kompromiss lauteten die Credits schließlich: »All Songs by David Byrne, Brian Eno, Talking Heads«.

Doch auch von Eno abgesehen war die Besetzung der Talking Heads seit »­Remain in Light« sowohl im Studio als auch für die Auftritte weit über das Quartett hinausgewachsen. Entsprechend betreten die zahlreichen weiteren Musiker:innen, die an dem fünften Album »Speaking in Tongues« von 1983 beteiligt waren, auch in Demmes Konzertfilm die Bühne. Ein schwarzer Vorhang fällt erst beim fünften Song »Slippery Peo­ple«, um das Bühnenbild zu ver­stecken, stattdessen stehen jetzt große Podeste davor, auf denen die Musiker:innen spielen, nämlich die größtenteils aus dem Funk kommenden Steve Scales, Lynn Mabry, Edna Holt, Alex Weir und Bernie Worrell.

Die Dreharbeiten zu »Stop Making Sense« fanden im Hollywood Pantages Theatre statt

Die Dreharbeiten zu »Stop Making Sense« fanden im Hollywood Pantages Theatre statt

Bild:
© by Jordan Cronenweth. Courtesy of A24

»Stop Making Sense« ist weit mehr als nur ein Konzertfilm, der eine Tour dokumentiert. Zwar wurden alle Aufnahmen für den Film bei vier Live-Konzerten in Los Angeles im Dezember 1983 aufgenommen. Aber bis zum letzten Song ist das Publikum eben nur schemenhaft zu sehen, anders als in anderen Konzertfilmen, in denen begeisterte Fans immer wieder gegen den Auftritt geschnitten werden. Wie »Psycho Killer« ist auch jeder weitere Song wie ein eigenes Musikvideo gestaltet – mit ­einer eigenen Dramaturgie, unterschiedlichem Einsatz von Licht und Schatten, Kamera und Schnitt – am eindrücklichsten vielleicht bei Byrnes Tanz mit einer Stehlampe bei »This Must Be the Place (Naive Melody)«.

Der Film erzählt auch die ambivalente Bandgeschichte der Talking Heads, aber eher aus Versehen.

Dabei wird teils die Kontinuität gewahrt, indem zwischen den Songs zu sehen ist, wie ein Instrument gewechselt wird, teils wird ­gerade die Diskontinuität hervorgehoben und die Gitarren oder Bässe sind unvermittelt ganz andere als noch im vorherigen Song. ­Erstaunlicherweise erzeugen gerade diese Verfremdungseffekte – das Stolpern, das Durchbrechen der vierten Wand und die Diskontinuitäten – die Suggestion eines Live-Konzerts.

Freilich erzählt der Film auch die ambivalente Bandgeschichte der Talking Heads, aber eher aus Versehen. Wenig überraschend steht Byrne nicht nur beim ersten Song buchstäblich allein im Mittelpunkt, sondern auch den Großteil des restlichen Films – auch hinter den Kulissen traf Byrne einige Entscheidungen, zum Beispiel über den Einsatz des Lichts und die Choreographie.

Das größte Defizit des Films: Das Kino ist kein Ort zum Tanzen

Nur für das Lied »Genius of Love« der Band Tom Tom Club, das Nebenprojekt der Bassistin Weymouth und des Schlagzeugers Frantz, verlässt Byrne die Bühne – um aber auftrumpfend in einem neuen Kostüm zurückzukehren, nämlich im berühmten überdimensionalen Anzug, der auch das Filmplakat zierte. Mit dieser grotesken Reminiszenz ans Nō-Theater unterstrich er, so darf man denken, wohl auch seinen übergroßen Status ­innerhalb der Band.

Wenn schließlich und endlich beim finalen Song »Crosseyed and Painless« auch das tanzende Konzertpublikum zu sehen ist, fällt schmerzlich das größte Defizit des Films auf: Das Kino ist gemeinhin kein Ort zum Tanzen, das Publikum fühlt sich an den Sitz gefesselt. Zwar gelingt es Demme und den Talking Heads durch kinematographische Mittel, eine Erzählung herzustellen und so auch auf klassisch filmische Weise zu unterhalten.

Aber gleichzeitig ist »Stop Making Sense« eben nicht nur ein Konzertfilm, sondern aufgrund der extrem funkigen Talking Heads – der Musikkritiker Simon Reynolds nannte ihren Stil »Ethnofunkadelia« – auch ein Tanzfilm. Mit Ausnahme der letzten Bilder sieht man aber nur der Band beim Tanzen zu. Aber auch hier gibt es ­Abhilfe: Auf Youtube findet man Videos von Vorführungen des Film aus den vergangenen Jahren, bei denen das Publikum sehr wohl aufsteht und euphorisch mittanzt.

Stop Making Sense (USA 1984). Regie: ­Jonathan Demme. Mit David Byrne, Tina Weymouth, Chris Frantz, Jerry Harrison. Filmstart: 28. März