In Berlin soll es wieder möglich werden, Studierende zu exmatrikulieren

Es geht auch ohne Ordnungsrecht

In Berlin sollen Hochschulen wieder die Möglichkeit erhalten, Studierende zwangsweise zu exmatrikulieren, wenn diese Gewalttaten verüben. Die Studierenden­vertretungen der Berliner Universitäten kritisieren die Pläne – zu Recht.
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Erst 2021 wurde in Berlin die Möglichkeit aus dem Hochschulgesetz gestrichen, Studierende wegen Ordnungsverstößen zu exmatrikulieren. Doch seit einem antisemitischen Angriff am 2. Februar wird diskutiert, das sogenannte universitäre Ordnungsrecht, das solche Sanktionen ermöglichte, wiedereinzuführen. Ein Kommilitone hatte Lahav Shapira, einen jüdischen Studenten an der Freien Universität Berlin (FU), brutal zusammengeschlagen. Der Angreifer gehört dem israelfeindlichen Protestmilieu an, dem Shapira wegen seiner proisraelischer Haltung schon lange als Feind galt.

Der mutmaßliche Täter erhielt ein Hausverbot an der FU, doch exmatrikulieren kann man ihn mangels Ordnungsrechts nicht. Das will der Senat für zukünftige Fälle ändern. Er hat vergangene Woche eine Änderung des Hochschulgesetzes verabschiedet, um ein abgestuftes System von Ordnungsmaßnahmen wiedereinzuführen. Sie sollen bei Gewalttaten zwischen Studierenden angewandt werden und reichen von einer Rüge bis zur Exmatrikulation. Letztere soll möglich sein, wenn der Täter wegen eines Gewaltdelikts rechtskräftig verurteilt wurde oder wenn jemand noch während andauernder Ermittlungen erneut gewalttätig wird. Die Novelle wird nun im Abgeordnetenhaus diskutiert und muss dort noch verabschiedet werden.

Dass manche Kritiker des Gesetzentwurfs mehr als fragwürdig sind, macht diesen nicht weniger problematisch. Auch die Landesastenkonferenz (LAK) kritisierte das geplante Gesetz scharf und sprach in einer Stellungnahme von einem »Einfallstor für Gesinnungsordnungsrecht«.

Vergangene Woche protestierte die Kampagne »Hands off Student Rights« vor dem Berliner Rathaus gegen die Gesetzesänderung. Stark vertreten waren dabei Gruppen aus der israelfeindlichen Protestszene, die die antisemitische Stimmung in Berlin seit Monaten anheizen. Ihnen dürfte es vor allem darum gehen, an den Universitäten weiter ungestört Menschen einschüchtern zu können. Das Thema nutzen sie außerdem, um zu behaupten, ihre ständigen Proteste in Berlin würden »unterdrückt«.

Doch dass manche Kritiker des Gesetzentwurfs mehr als fragwürdig sind, macht diesen nicht weniger problematisch. Auch die Landesastenkonferenz (LAK), der Zusammenschluss der Berliner Studierendenvertretungen, kritisierte das geplante Gesetz scharf und sprach in einer Stellungnahme von einem »Einfallstor für Gesinnungsordnungsrecht«.

Das mag eine überzogene Formulierung sein. Doch nach dem, was über den Entwurf bekannt ist, könnten auch übliche studentische Protestformen zum Anlass für Ordnungsmaßnahmen werden. Zum Beispiel können Hörsaalbesetzungen eine Nötigung darstellen, also ein Gewaltdelikt. Hier zeigen sich die Früchte einer jahrzehntelangen Ausweitung des juristischen Gewaltbegriffs in Bezug auf Blockaden.

Eine erzwungene Exmatrikulation ist ein schwerwiegender Eingriff, weil damit das Grundrecht auf freie Berufswahl eingeschränkt wird. Dass eine solche Maßnahme nach dem geplanten Gesetz nur möglich sein soll, wenn es vorher eine gerichtliche Verurteilung gegeben hat, ist zu begrüßen. Denn andernfalls müsste die Universität selbst darüber entscheiden, ob Studierende eine Straftat verübt haben – parallel zur Strafjustiz. Noch sinnvoller wäre es aber, Maßnahmen zu ergreifen, die gar nicht erst derart stark ins Recht auf freie Berufswahl eingreifen.

Dass die Unis auch ohne Möglichkeit zur Exmatrikulation nicht völlig machtlos sind, zeigt das von der FU verhängte Hausverbot für den Angreifer vom 2. Februar. Die LAK weist auch auf weitere Möglichkeiten hin: Annäherungsverbote für Täter:innen, bessere Strukturen zur Beratung gegen Diskriminierung oder auch die Unterstützung von gewaltbetroffenen Hochschulmitgliedern im Strafverfahren. Wichtig wäre es zudem, andere als ordnungsrechtliche Instrumente zu nutzen, um die Universität zu einem gewaltfreien Raum zu machen. Hierbei haben die Hochschulen in den vergangenen Jahren – nicht nur beim Antisemitismus – versagt.