Messerattacke in London auf den regimekritischen iranischen Journalisten Pouria Zeraati

Zwischen London und Damaskus

In London wurde ein regimekritischer iranischer Journalist mit einem Messer attackiert, der iranische General Zahedi wurde in Damaskus bei einem Luftangriff getötet. Die Islamische Republik Iran droht Israel mit Vergeltungsschlägen.

Hat das iranische Regime wieder einmal versucht, einen Oppositionellen im Ausland zu beseitigen? Am 29. März wurde der Journalist und Nachrichtensprecher Pouria Zeraati im Londoner Stadtteil Wimbledon von mehreren Männern angegriffen. Er arbeitet für den regimekritischen Exilsender Iran International.

Am Freitag voriger Woche sagte er dem britischen Sender ITV News, der Angriff sei ein »Warnschuss« gewesen. Ein Mann habe ihn angesprochen, der nach Bargeld in Höhe von drei Pfund fragte. Dann habe ihn ein weiterer Mann festgehalten, ein anderer habe mit dem Messer zugestochen. »Sie hätten mich töten können«, sagte Zeraati. Der 36jährige wurde am Bein verletzt, konnte jedoch am Ostermontagabend das Krankenhaus wieder verlassen.

Nach Angaben des Leiters der Antiterrorismuseinheit der Polizei für den Londoner Außenbereich, Dominic Murphy, dessen Abteilung die Ermittlungen übernommen hat, wurden drei Verdächtige identifiziert, die das Land über den Flughafen Heathrow verließen.

Der diplomatische Geschäftsträger der Islamischen Republik Iran in London, Mehdi Hosseini Matin, bestritt »jeden Zusammenhang« der Attacke mit dem Regime, das er vertritt. Doch in Anbetracht jüngst verübter und versuchter Gewalttaten gegen Regime­kritiker und -gegner auch auf ausländischem Territorium wie auch älterer Taten vermag dieses Dementi kaum zu überzeugen. Man denke beispielsweise an die Morde am ehemaligen iranischen Premierminister Shapour Bakhtiar im Pariser Exil im August 1991, am japanischen Übersetzer Salman Rushdies, Hitoshi Igarashi, im Monat zuvor oder an vier kurdischen Exilpolitikern im Berliner Restaurant »Mykonos« ein gutes Jahr später.

Der auf britischem Boden ansässige private Fernsehsender Iran International TV, für den Zeraati arbeitet, wurde wegen seiner Berichterstattung über die Massenproteste im Iran, die auf den gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Mahsa Jina Amini im September 2022 folgten, dort als »terroristische Organisation« eingestuft.

Fahnungsplakate in Teheran

Nach Angaben des Leiters der Antiterrorismuseinheit der Polizei für den Londoner Außenbereich, Dominic Murphy, dessen Abteilung die Ermittlungen übernommen hat, wurden drei Verdächtige identifiziert, die das Land über den Flughafen Heathrow verließen. Angaben von Zeraati beim Microblogging-Dienst X zufolge wurden er und seine Ehefrau zunächst an einem geheim gehaltenen sicheren Ort untergebracht.

Zeraatis Freund Kasra Aarabi, ebenfalls ein Gegner des iranischen Regimes, sagte der BBC, die von der iranischen Revolutionsgarde (IRGC, auch als Pasdaran bekannt) unterstützte Nachrichtenagentur Fars habe im November 2022 Plakate mit der Aufschrift »Wanted: dead or alive« veröffentlicht, auf denen die Gesichter von Journalisten abgebildet waren, die für Iran International arbeiten, darunter das von Pouria Zeraati.

Die Plakate waren Aarabi zufolge auf den Straßen von Teheran zu sehen und wurden von Revolutionsgardisten aufgehängt. Auf den Plakaten war demnach auch Sima Sabet abgebildet, eine weitere Journalistin von Iran International in London, die Berichten zufolge im vorigen Jahr zusammen mit einem anderen Kollegen, Fardad Farahzad, Ziel eines rechtzeitig aufgedeckten Mordkomplotts der Revolutionsgarde war.

Der Anstieg der Hinrichtungen im Iran hängt auch damit zusammen, dass relevante Teilen der iranischen Gesellschaft das Regime längst nicht mehr als legitim ansehen.

Im Iran selbst geht das Regime weiter unerbittlich gegen alle vor, die ihm kritisch gegenüber treten oder sich unabhängig von ihm zu organisieren versuchen. Am 4. April berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty international über insgesamt 853 Hinrichtungen im vorigen Jahr, das entspricht dem höchsten Stand seit 2015. Zeitweilig war ihre Zahl zurückgegangen, weil im Jahr 2017 das Strafrecht im Betäubungsmittelbereich reformiert worden war, weswegen weniger Todesstrafen verhängt wurden. Im selben Jahr hatten regimenahe iranische Medien berichtet, innerhalb von sechs Jahren sei die Zahl von Drogenabhängigen im Land von 1,3 auf 2,8 Millionen gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen. Auch das Regime musste damals in gewisser Weise anerkennen, es mit einem gesellschaftlichen Massenphänomen zu tun zu haben.

Doch hohe Offizielle kritisierten in jüngster Zeit, mit der Reform von 2017 sei eine verheerende Laxheit der Justiz eingezogen. Der Anstieg der Hinrichtungen hängt auch damit zusammen, dass relevante Teilen der iranischen Gesellschaft das Regime längst nicht mehr als legitim ansehen, und das nicht erst seit den von Verarmung angestachelten Protesten im Winter 2017/2018 und im Winter 2019 sowie der aufständischen Massenbewegung für Frauenrechte von 2022.

Überwachungskameras mit moderner Erkennungstechnologie

Zahlreiche Frauen halten sich seit diesen Ereignissen de facto kaum oder gar nicht mehr an die vom Regime verhängten und mit drastischen Strafandrohungen versehenen Bekleidungs- und Verhüllungsvorschriften. Die Diktatur rächt sich dafür an aus­gewählten Wortführerinnen wie der Kurdin Roya Heshmati, die am 3. Januar 74 Peitschenhiebe erhielt, doch danach über ihren Anwalt ihren ungebrochenen Widerstandswillen verkünden ließ. Indessen wurden die nach den Protesten von 2022 abgeschafften Patrouillen der Sittenpolizei Gasht-e ershad (etwa: Belehrungsbrigaden) im vorigen Sommer wieder eingeführt.

Zugleich sorgen Überwachungskameras mit moderner Erkennungstechnologie dafür, dass die Autonummern von unverhüllt im Fahrzeug sitzenden Frauen erfasst werden. Diesen werden dann Bußgeldbescheide zugestellt. Einer in Teheran tätigen Anwältin zufolge, die ihren Namen nicht gedruckt sehen möchte, werden diese aber in aller Regel nicht bezahlt; fällt jedoch der zehnte Bescheid in Folge an, dann wird ein Strafbefehl über eine hohe Summe zugestellt.

Nach Angaben der in Norwegen ansässigen kurdisch-iranischen Nichtregierungsorganisation Hengaw wurden im März 18 Gefangene hingerichtet. Das iranische Regime selbst veröffentlichte nur einen Fall. Diese Zahl liegt Hengaw zufolge unter dem Durchschnitt, wobei die NGO die temporäre Verlangsamung der Hinrichtungsmaschinerie mit dem islamischen Fastenmonat Ramadan erklärt. Offiziell wurden den Hin­gerichteten Tötungsdelikte, Drogengeschäfte, in einem Fall »Spionage für Israel« vorgeworfen; von rechtsstaatlichen Verfahren kann keine Rede sein.

Nationale Minderheiten stark beteiligt

Überrepräsentiert waren Angehörige von nationalen Minderheiten im Iran, die auch bei den Massenprotesten 2022 in den Provinzen Kurdistan und Be­lutschistan besonders stark involviert waren. Unter den Hingerichteten befanden sich fünf Menschen aus turksprachigen Provinzen, vier kurdische und drei belutschische Menschen. Oppositionelle kurdische Quellen sprechen überdies von elf Foltertoten im Iran im vergangenen Jahr.

Am Montag wurde angekündigt, dass vier seit 2018 inhaftierte Umweltschützer in den kommenden Tagen aus Anlass der Feierlichkeiten zum Ende des Ramadan freikämen. Zuvor war bereits der iranische und US-amerikanische Doppelstaatsbürger und Umweltschützer Morad Tahbaz im Rahmen eines Gefangenenaustauschs mit den USA in diesem Jahr freigekommen. Hingegen starb der kanadisch-iranische Umweltschützer Kavous Seyed-Emami in der Haft.

Der ultrakonservativen iranischen Parteienkoalition Shana zufolge war Zahedi maßgeblich »an der Planung und Ausführung des al-Aqsa-Sturms«, also der Massaker vom 7. Oktober, beteiligt.

In Teheran konnte das Regime einige Tausend mobilisieren, um der sieben am Montag zuvor in der Konsularabteilung der iranischen Botschaft in Damaskus getöteten, teils hochrangigen Mitglieder der al-Quds-Auslandseinheit der Pasdaran zu gedenken und einen »Gegenschlag« zu fordern. Der Iran-Korrespondent des französischen Fernsehsenders France 24, Siavosh Ghazi, sprach allerdings von einer »für einen al-Quds-Tag üblichen Mobili­sierung«. Der jährliche Feiertag, den der Regimegründer Ayatollah Ruhollah Khomeini 1979 ausgerufen hatte, um Anspruch auf eine islamische Herrschaft über Jerusalem (arabisch al-Quds) zu erheben, fiel auf den 5. April.

Im Laufe des 2011 begonnenen Bürgerkriegs in Syrien hatten sich der Iran und die mit ihm verbündete libanesische Miliz Hizbollah neben Russland militärisch immer stärker auf der Seite des Regimes von Bashar al-Assad engagiert. Bei einem Israel zugeschriebenen Luftangriff, mutmaßlich von den Golanhöhen aus, auf das iranische Botschaftsgebäude in Damaskus wurden General Mohammad Reza Zahedi und weitere sieben Offiziere der Pasdaran getötet. Zahedi war der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim zufolge für Einsätze in Syrien und im Libanon verantwortlich. Der ultrakonservativen iranischen Parteienkoalition Shana zufolge war er maßgeblich »an der Planung und Ausführung des al-Aqsa-Sturms«, also der Massaker der Hamas vom 7. Oktober, beteiligt.

Das iranische Regime kündigte offiziell Vergeltungsschläge für den Angriff in Damaskus an und teilte der US-Regierung mit, israelische Botschaften und Konsulate im Ausland seien ab sofort als nicht sicher zu betrachten. Seit Sonntag streute der Social-Media-Kanal Jadeh Iran die von internationalen Medien übernommene, jedoch nicht offiziell von Regierungsstellen in Teheran bestätigte Nachricht, das iranische Regime biete den USA an, auf Vergeltung zu verzichten, falls bei den zu Wochenanfang in Kairo beginnenden Verhandlungen zum Gaza-Krieg ein dauerhafter Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas vereinbart werde. Auf propagandistischer Ebene könnte Teheran demnach versuchen, einen eventuellen Waffenstillstand als eigenen Erfolg auszuschlachten – auch wenn es völlig unabhängig vom iranischen Regime dazu käme.