Donnerstag, 28.01.2021 / 20:51 Uhr

Jasmin und Tränengas: Vor zehn Jahren

Von
Thomas von der Osten-Sacken
Demonstration in Tunis 2011
Bild:
Thomas v. der Osten-Sacken

Vor zehn Jahren erschienen hier die ersten Beiträge aus Tunesien, der "Hurriya Blog" war entstanden, der heute sein zehnjähriges Bestehen begeht. Leider sind ältere Beiträge nur noch über die "Wayback-Machine" einzusehen.

Zur Erinnerung ein Beitrag über die erste Demonstration, die explizit die Schaffung einer laizistische, demokratischen Republik und die völlige Gleichstellung der Geschlechter forderte. Es waren großartige Zeiten, über die wir damals hier Zeugnis ablegen konnten:

Jasmin und Tränengas, 29. Januar

VON BERND BEIER UND THOMAS VON DER OSTEN-SACKEN

Heute war der Tag der ersten großen Demonstrationen für die Gleichheit von Frauen und Männern in Tunesien seit dem unfreiwilligen Abflug des ehemaligen Regierungschefs Ben Ali.

 

 

Demonstriert wurde für Freiheit, Demokratie und eine laizistische Verfassung, denn noch definiert die Präambel der Verfassung Tunesien als islamisches Land. Diverse Frauenorganisationen hatten zu der Demonstration aufgerufen, um drei Uhr nachmittags sollte es auf der Avenue Habib Bourguiba im Zentrum von Tunis los gehen.

Als wir ankommen, sind bereits etwa 500 Demonstrantinnen da, mit Plakaten, Transparenten und weißen Luftballons. Plötzlich bricht Panik aus, einige rennen die Avenue hinunter. Etwa zehn Typen mit langen Stöcken tauchen auf, sie attackieren die Demonstrierenden. »Das sind die Milizen von Ben Ali, die wollen provozieren, damit die Polizei einen Vorwand hat, um die Demonstration aufzulösen«, sagt eine Mittvierzigerin empört. Aber viele laufen in die Richtung der Schläger, die sich um die nächste Ecke verdrücken. Kurz darauf sieht man Tränengasnebel, aber die Polizei geht nicht auf die Demonstration los. Schnell schwillt der Zug auf 4000 bis 5000 Menschen an und zieht die Avenue in Richtung Innenministerium hinunter. Freiheit, Gleichheit, Laizismus, Demokratie, Revolution - das sind die Worte, die die Demonstration prägen. Auf einem Transparent ist »Nein zur Xenophobie, wir sind alle aus einem Land« zu lesen. Und es sind auch Frauen mit Kopftuch, die Schilder für eine laizistische, demokratische Republik tragen. Eine Frau um die 50 sagt, fast unter Tränen: »Ich bin so glücklich, dass ich so lange leben konnte, diesen Moment zu erleben.«