Die FDP sorgt sich um den Wohlstand ihrer Klientel

Zwölfpunkteplan für die Fünfprozenthürde

Auf ihrem Bundesparteitag hat die FDP versucht, mit einem Papier für eine »Wirtschaftswende« für Schlagzeilen zu sorgen. Eine Kolumne über den Politikzirkus.
Sternstunden des Parlamentarismus Von

Ein Parteitag dient in der Regel vor allem der Selbstvergewisserung. Man klopft sich gegenseitig auf die Schultern, schwingt die sprichwörtlichen Parteitagsreden und träumt von einer Welt, in der nur man selbst das Sagen hat, in der es keiner Koalitionen oder lästiger Wahlen bedarf. Schließlich weiß die eigene Partei immer am besten, was das Beste für Land und Leute ist.

»Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro oder starre Wochenarbeitszeiten würden unseren Wohlstand gefährden«, heißt es in dem Forderungskatalog – eine unfreiwillig offenherzige Dreistigkeit, die so wirklich nur die FDP einem vorsetzen kann.

Wenn eine Partei – noch dazu eine Regierungspartei wie die FDP – in derzeitigen Umfragen bundesweit vier bis sechs Prozent der Wählerstimmen prognostiziert bekommt, bietet sich ein Parteitag auch dazu an, sich mal wieder groß ins Gespräch zu bringen. Denn dort kann man noch die abwegigsten Forderungen vielkehlig und weitgehend unwidersprochen präsentieren. Zu diesem Zweck beschloss die FDP auf ihrem Parteitag am Wochenende im Berliner Ortsteil Kreuzberg den Zwölfpunkteplan »Eine Wirtschaftswende für Deutschland – Priorität für Wachstum, Sicherheit, Innovationen und Aufstiegschancen«, den sie – um schon mal für Medienrummel zu sorgen – bereits eine Woche zuvor verkündet hatte. Schon das inspirationslos bei Scholz’ »Zeitenwende« abgekupferte Schlagwort »Wirtschaftswende« weist darauf hin, dass die FDP keine Idee hatte, die einen Parteitag brauchte, sondern einen Parteitag, der eine Idee brauchte.

In dem Papier fordert die FDP dann auch nichts Neues: niedrigere Steuern für »die Wirtschaft sowie die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger«, keine neuen Sozialleistungen und verstärkte Sanktionen gegen Empfänger:innen des sogenannten Bürgergelds, die eine Arbeitsaufnahme ablehnen. Letzteres dürfte gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung aus dem Jahr 2019 zum vorangegangenen Hartz-IV-Sanktionsregime verfassungswidrig sein, aber die Unions­parteien laufen ja mit den gleichen Forderungen herum.

»Partei der Besserverdiener«

Wer bei den Arbeitslosen kürzen will, muss auch den Arbeitenden nicht mehr bezahlen. »Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro oder starre Wochenarbeitszeiten würden unseren Wohlstand gefährden«, heißt es in dem Forderungskatalog – eine unfreiwillig offenherzige Dreistigkeit, die so wirklich nur die FDP einem vorsetzen kann. ­Anders als zum Beispiel bei der SPD ist »unser« in dem Satz eher klientelistisch als nationalistisch zu verstehen. Die FDP ist und bleibt nun mal »die Partei der Besserverdiener«, wie ihr damaliger Generalsekretär, Werner Hoyer, im Bundestagswahlkampf 1994 in einem Anflug von Ehrlichkeit zu Protokoll gab.

Abschaffen will die FDP ihrem Parteitagspapier zufolge die »Rente mit 63 für besonders lang Versicherte«, wogegen mehrere Ver­treter:innen der SPD sich sofort öffentlich verwehrten. Dumm nur, dass es diese »Rente mit 63 für besonders lang Versicherte« im Grunde gar nicht mehr gibt, denn seit der Einführung des abschlagsfreien früheren Renteneintritts für Menschen mit mindestens 45 Beitragsjahren wird das mögliche Eintrittsalter im Rahmen eines Stufenplans jährlich erhöht. Im laufenden Jahr können beispielsweise Versicherte des Jahrgangs 1960 im Alter von 64 Jahren und vier Monaten diese Rente beantragen. Mit 63 Jahren geht derzeit niemand abschlagsfrei in Rente. Zum Glück für die FDP gehört dies zu den Tatsachen, über die auch die SPD lieber nicht öffentlich spricht.

Nach einem Parteitag verschwinden die dort beschlossenen ­Papiere meistens wieder in Schubladen. Auch die FDP macht die Umsetzung all ihrer Parteitagsbeschlüsse nicht zur Voraussetzung für die Fortführung der Koalition mit SPD und Grünen im Bund. Sie hat kein Interesse, die Regierungskoalition zu sprengen, denn bei vorgezogenen baldigen Neuwahlen müsste sie um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Das hält sie freilich nicht davon ab, mit Neuwahlen zu kokettieren – in einer Zeit, in der auch SPD und Grüne mit herben Verlusten rechnen müssten, wirkt eine solche Androhung.

Und vielleicht kann man ja noch was rausholen, das sich der eigenen Klientel als Erfolg verkaufen ließe. Etwa dass die Kindergrundsicherung, die seit Beginn der Koalition von der FDP torpediert wird, endgültig aufgegeben wird. Denn der Wahlkampf zur Bundestagswahl im kommenden Jahr ist längst im Gange.