Mit einer neuen Strategie erzielte die russische Opposition bei den Regionalwahlen Erfolge

Die taktische Wahl

Seite 2

Dieser Erfolg der Opposition geht auf eine neue Strategie zurück. Aleksej Nawalnyj, ein führender Oppositioneller, der wegen seiner Vorstrafe keine öffentlichen Ämter ausüben darf, rief dazu auf, taktisch zu wählen. Für jeden Wahlkreis benannte er einen Kandidaten, für den alle Oppositionswähler stimmen sollten. Persönliche politische Präferenzen sollten zweitrangig bleiben. Der Erfolg gab Nawalnyj recht. Auf diese simple Weise gelang es sogar, dem bisherigen Fraktionsvorsitzenden des Einigen Russland, Andrej Metelskij, sein Mandat in der Moskauer Duma abzunehmen. Die von der Regierung favorisierte Valerija Kasamara scheiterte in dem Moskauer Wahlkreis, in dem Jaschin kandidieren wollte, aber nicht durfte. Jaschin rief kurzerhand dazu auf, für Magomed Jandijew vom Gerechten Russland zu stimmen. Dass ein Tschetschene bei Lokalwahlen in der Hauptstadt gewinnt, ist eine kleine Sensation. Kasamara erklärte ihre herbe Niederlage prompt damit, dass die muslimische Bevölkerung für Jandijew gestimmt habe.

Nur kann keine Seite für sich in Anspruch nehmen, über großen Rückhalt in der Bevölkerung zu verfügen. Die Wahlbeteiligung lag in Moskau bei 21 Prozent. Die meisten Moskauerinnen und Moskauer stehen der Wahl gleichgültig gegenüber – entweder, weil sie nicht an Veränderungen glauben, oder aber, weil die Regierung auch ohne die Zustimmung vieler Wähler auszukommen scheint. In zwei Jahren sollen die nächsten Wahlen zur Staatsduma stattfinden, die für die Regierung eine viel größere Rolle spielen, und sei es nur zur Legitimierung ihrer Herrschaft. Insofern dürften die jüngsten Stimmenverluste in der Präsidialverwaltung eine gewisse Besorgnis ausgelöst haben. Der Polizeiapparat jedenfalls reagierte mit landesweiten Hausdurch­suchungen bei Anhängern Nawalnyjs, während in Moskau in Schnellgerichtsverfahren erste harte Urteile gegen ­Demonstrationsteilnehmer gefällt werden.

Am Tag vor den Wahlen beendeten die Regierungen Russlands und der Ukraine ein anderes Drama, das die internationale Öffentlichkeit die vergangenen Jahre weitaus mehr beschäftigt hatte. Nach langen und zähen Verhandlungen durften 35 ukrainische Gefan­gene aus Russland ausreisen, darunter der Regisseur Oleg Senzow und der Anarchist Oleksandr Koltschenko, die wegen Terrorismus zu 20 beziehungsweise zehn Jahren Haft verurteilt worden waren. Im Gegenzug durfte die gleiche Anzahl meist weniger prominenter russischer Gefangener aus der Ukraine zurückkehren, wenngleich nicht alle von dem Angebot Gebrauch machten. Dies weckte die Hoffnung, dieser überfällige Schritt könnte neue Impulse für Verhandlungen über die festgefahrene Situation im Donbass liefern. Aber noch sieht es nicht danach aus.