In Köln löste die Polizei eine Demonstration der palästinensischen Gruppe Samidoun auf

Von Berlin bis Teheran

Nachdem antisemitische Parolen bei einer Demonstration der Gruppe Samidoun gerufen wurden, fordern manche Politiker ein Verbot. Ende März hat eine israelische NGO einen Bericht veröffentlicht, dem zufolge die Gruppe Verbindungen zum iranischen Regime pflegt.

Erlaubt war die Demonstration zum »Tag der palästinensischen Gefangenen« in Köln-Mülheim, wurde dann aber vorzeitig von der Polizei beendet. Diese gab an, Teilnehmer hätten mehrfach zu Gewalt gegen israelische Staatsbürger aufgerufen. Zur Demonstration aufgerufen hatte die Gruppe Samidoun, die sich selbst als internationales Solidaritätsnetzwerk für paläs­tinensische Gefangene bezeichnet. Dem Aufruf waren etwa 30-35 Teilnehmer gefolgt. Gegen einen Kundgebungsteilnehmer hat die Polizei ein Verfahren eingeleitet. Zudem hat die Polizei ein Strafverfahren gegen den Versammlungsleiter wegen mehreren Verstößen gegen die erteilten Auflagen aufgenommen.

Auch in Berlin hätte am Wochenende zum selben Anlass demonstriert werden sollen. Die Polizei hatte jedoch die beiden für Samstag und Sonntag geplanten Demonstrationen untersagt, weil sie mit antisemitischen Äußerungen gerechnet hatte. Für die Veranstaltung am Samstag hatte der Anmelder Beschwerde gegen das Verbot eingelegt, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wies diese jedoch zurück. Gerichtsangaben zufolge gilt der Anmelder der Demonstration am Samstag als Aktivist der terroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), berichtete die Jüdische Allgemeine. Für Sonntag hatte Samidoun zur Demonstration aufgerufen.

Dass die Polizei diese Demonstration verbot, lag wohl an den Ereignissen eine Woche zuvor bei einer Demonstration von Samidoun am Ostersamstag ­in Berlin-Neukölln. Kurz nach dieser hatten die Monitoringgruppen Democ und Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) Berichte veröffentlicht. In ihrem Videobericht wies Democ darauf hin, dass ein Teilnehmer »Tod den Juden« gerufen hatte. Zudem wurden terroristische Gruppen glorifiziert. Die Polizei war mit einem Übersetzer bei der Demonstration zugegen gewesen, doch erst nach den Berichten leitete sie Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung ein.

»Im gemeinsamen Kampf gegen Israel bilden sich breite Bündnisse über ideologische Grenzen hinweg.«  Grischa Stanjek, Democ

Samidoun selbst bezeichnete in einer Stellungnahme auf ihrer Website am 11. April die Berichterstattung als »Hetzkampagne«. Dem Videobeweis von Democ sprach die Gruppe gar die Echtheit ab. Die Person, die »diese Aussage angeblich rief«, sei im Video nicht zu sehen. Zudem sei es auffällig, dass bei einer »Massendemonstration von Tausenden von Menschen« – de facto nahmen an der Demonstration rund 300 Menschen teil – diese Person »zufällig nahe genug« bei den Beobachtern der Demonstration stand, »damit sie ihren Ruf aufnahmen und ihn benutzten«, so die Gruppe. »Es ist bezeichnend, dass Samidoun es vorzieht, die Berichterstattung zu diskreditieren, statt sich inhaltlich und kritisch mit den Vorfällen auseinanderzusetzen«, sagte Grischa Stanjek, Vorstandsmitglied von Democ, der Jungle World.

Das internationale Netzwerk Samidoun wurde 2012 von Mitgliedern der PFLP gegründet. Khaled Barakat, der Samidoun anführt, ist nach Angaben der israelischen Regierung ein hochrangiges Mitglied der PFLP, so die Jerusalem Post. In Deutschland fungiere Samidoun als »eine Art Tarnorganisation der PFLP«, sagte das JFDA der Jungle World. Die PFLP ist vor allem durch Flugzeugentführungen in den siebziger Jahren bekannt geworden.

Keine Berührungsängste mit Islamisten
Auch in den zurückliegenden Jahren schreckte sie vor Morden nicht zurück: 2014 drangen PFLP-Terroristen in eine Jerusalemer Synagoge ein und ermordeten fünf Menschen. 2019 verübte die PFLP einen Anschlag in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland, bei dem eine 17jährige Israelin getötet wurde. Das israelische Verteidigungsministerium stufte Samidoun 2021 als Terrororganisation ein. Das Netzwerk handle »im Auftrag der PFLP im Ausland« und spiele eine bedeutende Rolle bei der »Mittelbeschaffung und der Rekrutierung von Aktivisten«, zitierte die Welt das israelische Verteidigungsministerium.

Obwohl die Gruppierung sich nach eigenem Selbstverständnis als links verstehe, »zeigte sich bei den Demonstrationen der letzten Jahre, dass die Anhänger von Samidoun keine Berührungsängste mit islamistischen Terrororganisationen haben und etwa regelmäßig in Parolen die al-Qassam-Brigaden oder die palästinensische Terrorgruppe ›Höhle des Löwen‹ glorifizieren«, so Stanjek. Die al-Qassam-Brigaden sind der bewaffnete Arm der islamistischen Hamas, »Höhle des Löwen« ist eine relativ neue Gruppe und agiert im Westjordanland.

Am Ostersamstag in Berlin-Neukölln war unter anderem zu hören: »Wir sind die Leute von al-Areen.« Saraya al-Areen ist eine neue bewaffnete Gruppe, die seit Kurzem im Westjor­danland ihr Unwesen treibt und Terroranschläge auf Zivilisten verübt. Die Gruppe stand ursprünglich der syrischen Regierung nahe und wird vom iranischen Regime unterstützt. »Im gemeinsamen Kampf gegen Israel bilden sich breite Bündnisse über ideologische Grenzen hinweg«, sagte Stanjek. Ähnliches beobachtete das JFDA. Durch die Bezugnahme auf Ereignisse in Israel und aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung fungiere Samidoun als Bindeglied zwischen religiös-fundamentalistischen und linken Milieus. Ihre Veranstaltungen zeigten eine »Symbiose verschiedener Ideologiefragmente«, so das JFDA.

Anschluss an Teile der deutschen Linken
Samidouns Solidarität mit politischen Gefangenen diene als Vorwand, um Anschluss an Teile der deutschen Linken zu erhalten, so das JFDA. In den vergangenen Monaten habe das JFDA beobachtet, »dass Samidoun eigene Blöcke bei Bündnisdemonstrationen« wie bei »der 1.-Mai-Demonstration letztes Jahr, bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration dieses Jahr« gestellt und zudem Vorträge »in linksradikalen Projekten wie der Rigaer Straße 94« gehalten hatte. Dabei werde nicht in Frage gestellt, wessen Freilassung Samidoun fordert.

So wurde Ostersamstag auf einem Plakat unter anderem verlangt, Khader Adnan und Walid Daqqa freizulassen. Adnan ist Mitglied des Palästinensischen Islamischen Jihad, einer Terrorgruppe, die vom Iran unterstützt wird. Daqqa hatte 1985 einen israelischen Soldaten entführt und getötet.

»Der antisemitische Charakter der Versammlung ist auf Basis der vorliegenden Informationen unzweifelhaft«, sagte Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, dem Tagesspiegel. Julia Kopp von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias Berlin) sieht allerdings keine Zunahme offener antisemitischer Rhetorik auf isra­elfeindlichen Demonstrationen insgesamt – »eher eine Kontinuität«, teilte sie der Jungle World mit.

Bereits in der Vergangenheit seien Meldungen zu ähnlichen Versammlungen eingegangen. Auf einer Versammlung am 22. April vergangenen Jahres seien bereits »antisemitische Parolen« skandiert worden, so Kopp, beispielsweise »Khaybar, Khaybar, oh ihr Juden! Mohammeds Heer kommt bald wieder«. Die Parole ist in islamistischen Kreisen verbreitet und erinnert an den Feldzug Mohammeds gegen das jüdisch besiedelte Gebiet der Oase Khaybar im heutigen Saudi-Arabien im Jahr 628.

Politiker fordern Verbot
Rias Berlin dokumentiere jährlich israelfeindliche Versammlungen, »auf denen zum Teil gewaltvolle antisemitische Parolen gerufen werden«, sagte Kopp. Das Ausmaß hänge unter anderem vom Anlass der Veranstaltung ab. Die Größe der Demonstrationen sei auch bei Veranstaltungen von Samidoun schwankend, so das JFDA. Israelfeindliche Proteste hätten erfahrungsgemäß vor allem dann starken Zulauf, wenn es zu Auseinandersetzungen in Israel und Gaza komme. Dies sei dann »immer auch sehr schnell spürbar auf den Straßen in Deutschland«, so das JFDA.

Nach den Vorfällen am Ostersamstag forderten einzelne Politiker wie auch zivilgesellschaftliche Organisationen ein Organisations- und Betätigungsverbot der Gruppe – darunter Volker Beck, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Stephan Thomae, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag, und Alexander Throm, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Der europäische Repräsentant von Samidoun, der Belgier Mustafa Awad, soll 2015 von der Hizbollah im Libanon ausgebildet worden sein.

Bereits Ende März hatte Arsen Ostrovsky, der Geschäftsführer der israelischen NGO International Legal Forum (ILF), im Europäischen Parlament bei einem Symposium über die Bekämpfung von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus gefordert, Samidoun als Terrorgruppe einzustufen. Das ILF hatte kurz vorher einen 22seitigen Bericht hierzu veröffentlicht. Darin heißt es: »Die Organisation Samidoun hat sowohl direkte als auch indirekte Verbindungen zur Islamischen Republik Iran.«

So habe Samidoun eine Ortsgruppe und eine operative Basis im Iran, die an der Organisation und Unterstützung ihrer weltweiten Aktivitäten beteiligt sei. Samidoun selbst berichtete auf ihrer internationalen Website von einer iranischen Ortsgruppe, die im Iran beispielsweise Filmvorführungen veranstaltet habe und daran arbeite »die Palästina-Unterstützungsaktivitäten im Iran auszuweiten«. Der europäische Repräsentant der Gruppe, der Belgier Mustafa Awad, sei 2015 von der Hizbollah im Libanon ausgebildet worden.

»From the River to the Sea«
Khaled Barakat, der 2020 in Deutschland mit einem vierjährigen Einreiseverbot belegt wurde, war im vergangenen Jahr zweimal online zu Gast beim regimenahen iranischen Sender Press TV, wo er den bewaffneten palästinensischen Widerstand guthieß und von einer internationalen Widerstandsbewegung sprach, die vom Iran geführt werde und der unter anderem auch die Hizbollah angehöre. Dieses Netzwerk sei wichtig für den Widerstand der Palästinenser, so Barakat im Interview.

In ihrem Bericht wies die ILF zudem auf ein Symposium des Brüsseler Ortsverbands von Samidoun am 11. Februar unter dem Titel »From the River to the Sea: Visionen der palästinensischen Befreiung« hin. Wie die angestrebte palästinensische Befreiung aussehen würde, habe Mohammed Khatib, Europa-Koordinator der Gruppe, bewiesen. Der ILF zufolge habe er in seiner Rede die Auflösung des israelischen Staates gefordert.