Die Butter vom Brot nehmen
Seit Monaten steigen die Lebensmittelpreise, und ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Die Preise für Sonnenblumen- und Rapsöl sind nach Angaben der Verbraucherzentrale im Vergleich zum Vorjahr um rund 50 Prozent gestiegen, für Schnittkäse und Weizenmehl ebenso. Der Preisauftrieb für Nahrungsmittel war im März dreimal so hoch wie die Gesamtteuerungsrate, teilte das Statistische Bundesamt kürzlich mit.
Kein Wunder also, dass sich viele Konsumentinnen und Konsumenten zweimal überlegen, was sie noch in den Einkaufswagen legen. Der reale – also inflationsbereinigte – Umsatz im Einzelhandel mit Lebensmitteln sank im Vergleich zum März 2022 um 10,3 Prozent, wie das Bundesamt ermittelte. Das ist der stärkste Rückgang in drei Jahrzehnten.
Betroffen von den steigenden Preisen sind vor allem jene, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. Es sei davon auszugehen, »dass besonders ärmere Familien, die ohnehin oft qualitativ schlechtere Nahrungsmittel kaufen, nun noch einmal weiter sparen«, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Die Inflation werde in den kommenden Monaten zwar nachlassen, das IMK rechnet aber damit, dass erst 2025 wieder das Konsumniveau der Zeit vor der Covid-19-Pandemie erreicht werde. »Der Energie- und Nahrungsmittelpreisschock bedeutet damit ein halbes verlorenes Jahrzehnt für die Deutschen Konsumentinnen und Konsumenten«, sagte Dullien.
Einer Studie der Kreditversicherungsgruppe Allianz Trade zufolge lagen die Lebensmittelpreise in Deutschland im ersten Quartal um rund 22 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Lebensmittelpreise sind mittlerweile einer der wichtigsten Inflationstreiber. Einer Studie der Kreditversicherungsgruppe Allianz Trade zufolge lagen die Lebensmittelpreise in der Euro-Zone im ersten Quartal um 14,8 Prozent über dem Vorjahresniveau, in Deutschland sogar um rund 22 Prozent. Die Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind demnach für rund ein Drittel der Teuerung verantwortlich, in Deutschland sogar für fast 40 Prozent. Die Untersuchung stellt zudem fest, dass nicht nur gestiegene Preise für Rohstoffe und Energie zu der Teuerung geführt haben. Vielmehr hätten Hersteller die Preise wesentlich stärker erhöht als die Einzelhändler. Sie seien »hungrig nach Profiten«, so Aurélien Duthoit, Branchenexperte bei Allianz Trade.
»Es scheint zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen zu geben sowie unzureichenden Wettbewerb in den Bereichen mit besonders starken Preissteigerungen, wie zum Beispiel bei Herstellern von Milchprodukten und Eiern, aber auch bei nichtsaisonalem Gemüse und Obst«, schrieb der Inflationsexperte von Allianz Trade, Andy Jobst, in der Ende April veröffentlichte Studie. Mit dieser Einschätzung steht Jobst nicht allein da. Die deutsche Verbraucherzentrale ist ebenfalls alarmiert. »Manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar«, heißt es auf deren Website.
Lebensmittelhändler machen vor allem die großen Markenhersteller für die rasanten Teuerungen verantwortlich. Führende deutschen Supermarktketten wie Edeka und Rewe warfen in den vergangenen Monaten wiederholt großen internationalen Konsumgüterherstellern vor, Preiserhöhungen zu fordern, die nicht nachvollziehbar seien. Der Geschäftsführer der Drogeriemarktkette Rossmann, Raoul Roßmann, sagte kürzlich der Lebensmittel-Zeitung, sein Unternehmen habe »mit einigen Lieferanten, die überzogene Preiserhöhungen verlangen, Ärger«.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie hingegen bezeichnete die Vorwürfe einer »der gesamten Branche unterstellten Bereicherung« als »substanzlos«. Schon angesichts der Einkaufsmacht der vier großen deutschen Handelsketten erscheine es schwer vorstellbar, dass Hersteller unverhältnismäßig hohe Profite generieren könnten.
Tatsächlich ist die Lebensmittelwirtschaft von viele Faktoren abhängig, auf die sie nur bedingt Einfluss hat, worauf auch die Verbraucherzentrale hinweist. Die Kosten für Energie, Dünge- und Futtermittel sind in den vergangenen Jahren teils deutlich gestiegen, der Arbeitskräftemangel erhöht zudem die Personalkosten. Die Teuerung bei Nahrungsmitteln liegt seit April 2022 höher als die allgemeine Inflationsrate.
Dennoch verweist Allianz Trade in ihrer Studie darauf, dass die gestiegenen Erzeuger- und Energiepreise die Teuerungen nicht vollständig erklären. Etwa zehn Prozent der Preisentwicklung bei Lebensmitteln in der Euro-Zone können demnach nicht durch die »historische Dynamik«, also insbesondere durch Inflation, erklärt werden. Als Ursache für diesen »unerklärten Teil« sind demnach Gewinnmitnahmen der Unternehmen anzunehmen.
Vor so viel Intransparenz muss auch die Verbraucherzentrale kapitulieren. Derzeit sei unklar, »wie sich Lebensmittelpreise bilden und wo Gewinne zu Lasten der Verbraucher:innen mitgenommen werden«, heißt es auf deren Website. Und auch die Schlussfolgerung klingt wenig verheißungsvoll: »Die Verbraucherzentralen fordern deshalb Politik und Bundeskartellamt auf, die Preisentwicklung im Handel und bei Herstellern sowie versteckte Preissteigerungen zu untersuchen.«