»The Idol« und der Streit um die unterschiedliche Fassungen der HBO-Serie

Wenn der Intimitätskoordinator kapitulieren muss

Ein junger, aufstrebender Popstar gerät in die Fänge der Unterhaltungsindustrie. Was die neue HBO-Serie »The Idol« mit Lily-Rose Depp in der Titelrolle trotz ihrer Stumpfheit über die herrschenden Zustände erzählt und was die Produktionsgeschichte damit zu tun hat.

Die Marketingabteilung des Senders HBO hat alles dafür getan, die Serie »The Idol« als den provokativen Aufreger des Jahres anzupreisen. Schon im ersten Trailer der Show wurde von den »kranken und verdrehten Köpfen« ihrer Macher geraunt, gemeint waren Regisseur Sam Levinson und der weltweit erfolgreiche Musiker Abel Tesfaye a.k.a. The Weeknd. Ankündigungen verhießen eine Art Satire auf das Musik- und Showbusiness, die die die irrsten Auswüchse der Celebrity-Kultur aufspießt und dabei deren Misogynie sowie die Rolle der Fans dabei entlarvt.

Das glückliche Händchen von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Levinson bei der Erfolgsserie »Euphoria« sowie der Dauerhype um den Hit-Produzenten The Weeknd sollten den Sender HBO, bekannt für seine nah an den den gesellschaftlichen Entwicklung angesiedelten und brillant geschriebenen Stoffe, einen vielversprechenden Nachfolger für die gerade mit der vierten Staffel zu Ende gegangene Serie »Succession« bescheren.

Schon im März aber hatte »The Idol« negative Schlagzeilen gemacht. Mehrere anonym bleibende Mitarbeiter warfen den Produzenten der Show im Magazin Rolling Stone vor, die ursprünglich vorgesehene Regisseurin Amy Seimetz rausgeekelt zu haben. Mit Seimetz, die bereits einiges Material abgedreht hatte, habe die Produktion auch die kritische Intention verloren.

Sam Levinson inszeniert Lily-Rose Depp als ein der Popkultur dargebrachtes Klischee-Frauenopfer – jung, schön und extrem beschädigt.

Die Regie übernahm Sam Levinson, der, so legen es die Aussagen in dem Artikel nahe, toxisch-männlich an die Sache gehe und üble frauenverachtende Gewaltphantasien in die Erzählung schwappen ließ. In deren Zentrum steht der Popstar Jocelyn, gespielt von Lily-Rose Depp. Die Tochter von Johnny Depp, der sich zuletzt gegen Gewaltvorwürfe seiner ehemaligen Ehefrau Amber Heard vor Gericht verteidigen musste, werde als reines Objekt inszeniert, der Figur der Jocelyn, die im Laufe der Handlung in die Fänge eines perversen Manipulators gerät, gestehe der Plot keinerlei Facetten zu.

Die beinahe ausnahmslos negativen Kritiken nach der Premiere der Serie bei den Filmfestspielen von Cannes schrieben sich nahezu von selbst. Von Chauvinismus und regressiven Tendenzen war darin zu lesen, mitunter von einem Desaster. Abseits des exklusiven Cannes-Zirkels gewährten weder HBO noch die Privatsender Sky und Wow, die »The Idol« in Deutschland zeigen, Kritikern die Möglichkeit, die Serie vorab zu sichten. Auch die zur Premiere geladenen Pressegäste bekamen lediglich die beiden ersten Folgen der Staffel zu sehen. Bei der anschließenden Pressekonferenz und später auch in Interviews wies Lily-Rose Depp Vorwürfe, sie werde in der Serie zum Objekt herabgestuft, entschieden zurück, räumte aber ein, die Show sei provokativ und »sicherlich nicht für jeden etwas«. Levinson ließ derweil wissen, dass ihm seine Ehefrau den Artikel im Rolling Stone vorgelesen habe. Dabei sei ihm klar geworden, dass sie nun »die größte Show des Sommers« landen würden.

Unabhängig davon, wie sympathisch man die Äußerungen Levinsons finden mag, mit der Strategie von Verknappung von Information und Andeutung sowie der Skandalisierung ist HBO ein Coup gelungen, der in Zeiten von Überproduktion und Content-Flut auf allen Kanälen der Streamingdienste nur wenigen Fernsehproduzenten gelingt: dass Medien und Publikum tatsächlich über eine neue Produktion sprechen.

Jocelyn (Lily-Rose Depp) und Tedros (Abel Tesfaye)

Jocelyn (Lily-Rose Depp) und Tedros (Abel Tesfaye)

Bild:
HBO / Sky

Von den ersten Episoden der Serie kann sich mittlerweile auch das deutsche Publikum ein Bild machen. »The Idol« etabliert seinen Grundton schon mit der ersten Szene, die Jocelyn beim Fotoshooting für ihr neues Albumcover in Los Angeles zeigt. »Sexy«, »verletzlich«, »emotional« ruft ihr der Fotograf entgegen – und Jocelyn wirft sich entsprechend in Pose. Vor dem Kameramann rekelt sie sich bald halbnackt, die Brüste sichtbar, bis der zuständige und höchst besorgte Intimitätskoordinator am Set interveniert, mit Verweis auf die bestehenden Verträge.

Nackte Brüste seien ein No-Go. Doch Jocelyn wehrt sich gegen die – wie sie es empfindet – Bevormundung, sieht im Akt ihrer Entblößung eine Form der Selbstbestimmung. Die skrupellose Labelmanagerin Nikki Katz (Jane Adams), für die sex sells die oberste Devise ist, giftet gegen die »college-educated internet peo­ple«: »Stop trying to cock-block America.« Wie vieles in dieser Serie wirkt auch diese Spitze wie ein Kommentar auf die kulturellen Auseinandersetzungen der Gegenwart. Zumindest so, wie sie die Macher von »The Idol« imaginieren.

Am Foto-Set tummelt sich auch der Rest von Jocelyns Entourage, bestehend aus Assistenten, Managern, PR-Leuten und anderen mit ihrem Smartphone Verwachsenen, als ein kompromittierendes Bild des Popstars bei Twitter die Runde macht. Die Aufnahme zeigt Jocelyns mit Sperma besudeltes Gesicht – irgendein widerlicher Ex hat den revenge porn ins Netz gestellt. Der Skandal ist so ungefähr das Letzte, was Jocelyn in diesem Moment noch braucht. Ein wahres Höllenjahr hat sie nach dem Tod ihrer Mutter erlebt. Nun steht eigentlich ihr Comeback auf dem Programm. »World Class Sinner« lautet der Titel ihres gleichermaßen eingängigen wie ermattenden neuen Songs, zu dem die Sängerin auch herausfordernde, an Britney Spears erinnernde Choreographien erarbeitet.

Es fällt trotz aller erzählerischen wie inszenatorischen Schwächen schwer, sich der Faszination dieser Serie zu entziehen.

Levinson inszeniert Lily-Rose Depp als ein der Popkultur dargebrachtes Klischee-Frauenopfer – jung, schön und extrem beschädigt. Depp muss dabei so einiges aushalten. Sie muss bluten, wird gedemütigt, bricht zusammen, rappelt sich wieder auf und trifft schließlich einen Typen, der droht, ihr den Rest zu geben: Der von The Weeknd verkörperte Nachtclubbesitzer Tedros spielt eine Schlüsselrolle der Serie, eine geheimnisvolle Mischung aus bizarrem Guru, pick-up artist und Vampir, der offenbar bereit ist, Jocelyn bis zum Letzten für seine Zwecke zu gebrauchen. Der Sex zwischen den beiden ist brutal. Doch Jocelyn gibt sich Tedros unterwürfig hin. Ihre Assistentin (Rachel Sennott) bemerkt angesichts seiner zweifelhaften Erscheinung: »He is so rapey«, worauf Jocelyn erwidert: »Yeah. I kinda like that about him.« Doch nicht nur in Sexdingen sucht Tedros die Kontrolle über Jocelyn. Der Song »World Class Sinner« ist ihm zu glattgebügelt und gefällig, das gewisse Etwas fehlt; eine Sexyness, wie sie etwa in Donna Summers »Love to Love You Baby« steckt, schwebt ihm vor.

In den Remix, die Tedros und Jocelyn gemeinsam erstellen, findet folgerichtig ihr gemeinsames Stöhnen beim Sex Eingang – nicht unbedingt zum Gefallen von Jocelyns Management, dem sie den Song sogleich vorspielt. Ihre Leute diskutieren beizeiten auch über die Deutungsmöglichkeiten des jüngst veröffentlichten Cumshot-Fotos. Zeigt es Jocelyn als Opfer oder als feministische Ikone, die über die versuchte Demütigung erhaben ist? Die Antwort auf die Frage lässt die Serie – bislang – unbeantwortet. Ebenso wie die Frage, ob Tedros Jocelyn für seine Zwecke missbraucht. Auf eine bestimmte Weise übt Jocelyn eine Kontrolle über Tedros aus. Ohne ihr Talent, Charisma und ihre Fähigkeiten wäre er ein Nichts.

Der seltsam blutlose Auftritt von Abel Tesfaye verstärkt diesen Eindruck. Ob »The Idol« dabei eine durch und durch geglückte Inszenierung ist, sei einmal dahingestellt. Auch über die Frage, ob es sich bei Levinsons Show um eine gute oder schlechte handelt, ist die Serie auf eigentümliche Weise erhaben. Es fällt trotz aller erzählerischen wie inszenatorischen Schwächen schwer, sich ihrer Faszination zu entziehen. Zu tief scheinen die Phänomene, die den Kulturbetrieb derzeit umtreiben, die Serie zu prägen. All die Obsessionen mit Schönheit, Ruhm, Prominenz, Sex, Konsum und Social Media werden hier satirisch verhandelt. Nicht im Modus negativer Kritik, sondern vielmehr in einer durchgehend überaffirmativ anmutenden Ästhetik, die ihren Gegenstand bis zur Kenntlichkeit verzerrt und in satte, betörende Bilder übersetzt.

Als Grundgefühl der Serie bleibt eine gewisse Abgestumpftheit zurück, eine numbness, die ihren Ausdruck auch in Jocelyns leerem, gleichgültigem Gesichtsausdruck findet, während sie eine Zigarette nach der anderen wegraucht. Sam Levinsons »The Idol« ist keine Serie, die gemocht werden will. Darin steckt vielleicht ihre größte Anziehungskraft.


The Idol

»The Idol« (USA 2023) kann auf Wow und Sky Go gestreamt werden.