Sacha Stawski, Buchautor, über die Proteste gegen Roger Waters

Kampf gegen Antisemitismus: »Berlin war enttäuschend«

Der Pink-Floyd-Mitgründer Roger Waters wird seit langem wegen ­antisemitischer Aussagen kritisiert. Auch bei seinen Konzerten spielen diese eine wichtige Rolle. Ein Gespräch mit Sacha Stawski über die Proteste gegen Waters’ Auftritte in Berlin und Frankfurt am Main und über die Kunstfreiheit.

Das Album »The Division Bell« von Pink Floyd wurde 1994 veröffentlicht. Im Song »Lost for Words«, geschrieben von David Gilmour und Polly Samson, heißt es: »So I open my door to my enemies / And I ask could we wipe the slate clean / But they tell me to please go fuck my­self / You know you just can’t win«. Steht nach den Antisemitismuss­kandalen für Roger Waters, der die Band bereits 1985 verlassen hatte, immer noch »die Tür offen, um reinen Tisch zu machen«?
Prinzipiell sollte jedem immer die Tür offen stehen, um reinen Tisch zu machen. Gleichzeitig muss man Realist bleiben. Es gibt Menschen, bei denen der Antisemitismus so tief verwurzelt ist, dass eigentlich keine Hoffnung bleibt, dass so jemand wieder in den Kreis der Vernünftigen zurückkehren kann. Diese Hoffnung habe ich bei Roger Waters nicht.

Waters werden seit Jahren verschiedene Formen antisemitischer Äußerungen vorgeworfen. Welche Varianten des Antisemitismus spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle? Vertritt er ein geschlossenes antisemitisches Weltbild?
Seine Fans sagen oft, dass er ja nur »Israel-Kritik« äußere. Seine Solidarität mit den Palästinensern könne man ihm nicht als Antisemitismus vorwerfen. Meine Antwort darauf ist relativ einfach: Es ist völlig legitim, wenn jemand sich für die Menschen in den palästinensischen Gebieten einsetzt, kritisiert, dass es bis heute keine Einigung gibt zwischen Israelis und Palästinensern, und die sogenannte Besatzung kritisiert. Darüber kann man sprechen und ich werde in dem Fall den Begriff »Antisemitismus« nicht in den Mund nehmen. Für mich gilt die IHRA-Definition als Grundlage für das, was antisemitisch ist und was nicht.

Die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wertet als israelbezogenen Antisemitismus zum Beispiel »die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird«.
Noch leichter ist das 3-D-Modell von Nathan Sharanksy: Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelstandards. Bei Waters finden wir leider all diese Varianten, hinzu kommen noch NS-Relativierungen und Holocaust-Vergleiche. Er missbraucht Namen von Holocaust-Opfern wie Anne Frank.

Im Februar äußerte sich Polly Samson – Schriftstellerin, Songwriterin und Ehefrau des Pink-Floyd-Mitglieds David Gilmour – in einem Tweet über Roger Waters. Sie bezeichnete ihn als »bis ins Mark antisemitisch«, er sei »ein lügender, stehlender, heuchlerischer, Steuern umgehender, zum Playback die Lippen bewegender, frauenfeindlicher, von Neid zerfressener Größenwahnsinniger«. Im selben Monat gab Roger Waters auf Einladung Russlands eine Videoansprache vor dem UN-Sicherheitsrat. Wie bewerten Sie das?
Samson und Gilmour haben anlässlich des Konzerts in Frankfurt in einem Brief an die dortige Jüdische Gemeinde eine fast identische Formulierung gebraucht. Der Brief wurde auf der Kundgebung vorgelesen. Zum UN-Sicherheitsrat: Hier unterschieden sich Theorie und Praxis. Die Grundidee der UN ist phantastisch – die Staatengemeinschaft versucht, sich zu verständigen und sich für Frieden einzusetzen. In der Praxis sehen wir, dass die größten Menschenrechtsverbrecher in den Ausschüssen aktiv sind und dort zu Wort kommen. Dass Herr Putin meint, einem Spinner wie Waters bei der UN eine Bühne geben zu können, zeigt, dass innerhalb dieses Weltgremiums etwas entscheidend schiefläuft.

In Frankfurt gab es Ende Mai breite Proteste gegen Waters’ Auftritt in der Frankfurter Festhalle – auch weil es sich dabei um einen Ort des Verbrechens der Deutschen gegen die Juden handelt. In der Festhalle wurden 1938 mehr als 3.000 Juden festgehalten, bevor sie in die Konzentrationslager deportiert wurden. Rund 400 Menschen protestierten gegen Waters und den Antisemitismus. Bewerten Sie diese Proteste als erfolgreich?
Die Zahl ist umstritten. Die Polizei sagt, es waren 400, die Jüdische Gemeinde sagt, es waren 1.000. Ein Erfolg wäre für mich, wenn wir mit 5.000 Menschen dort stehen würden. Jede Zahl darunter ist eine Enttäuschung. In Frankfurt gab es eigentlich ein breites Bündnis. Doch auch wenn wir in einer hochpolitisierten Gesellschaft leben, ziehen Proteste leider nicht mehr viele Menschen an – schon gar nicht, wenn es um Antisemitismus geht. Nein, insgesamt bin ich nicht zufrieden. Wenn es um so ein wichtiges Thema wie Antisemitismus geht, würde ich mir wünschen, dass nicht nur die Jüdische Gemeinde zum Protest aufruft. Es fehlte die übrige Bevölkerung. Da waren teilweise mehr Menschen bei der BDS-Kundgebung vor der Festhalle.

»Wenn es um so ein wichtiges Thema wie Antisemitismus geht, würde ich mir wünschen, dass nicht nur die Jüdische Gemeinde zum Protest aufruft.«

Begrüßenswert war, dass sich der Oberbürgermeister Mike Josef (SPD), die Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne), Stadtverordnete und andere eindeutige Stellungnahmen abgegeben haben. Dennoch hätte man mehr machen können. Im Vorhinein wurde darüber gesprochen, die israelische Fahne an zentralen Plätzen der Stadt aufzuhängen. Dies wurde leider nicht umgesetzt. Ich wünsche mir mehr öffentlichkeitswirksame Zeichen.

In der Berliner Mercedes-Benz-Arena nannte Waters Anne Frank in einer Reihe mit Opfern rassistischer Polizeigewalt und der palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh, die 2022 von der israelischen Armee erschossen wurde. Warum gab es gerade in Berlin, in der ehemaligen Organisationszentrale des Judenmords, kaum wahrnehmbaren Protest?
Ich war in einem europaweiten Protestbündnis involviert, das Demonstrationen gegen Waters’ Auftritte organisiert hat. In Berlin war enttäuschend, dass sich dort nicht mehr Organisationen verbündet haben. Zumindest haben wir dank dem Verein »Werteinitiative Jüdisch-Deutsche Positionen« Flyer vor dem Konzert verteilt, auf denen wir über BDS und über Waters’ Antisemitismus aufgeklärt haben. Ich hätte mir gerade in Berlin, wo ständig Demons­trationen stattfinden, mehr Engagement gewünscht.

Die Berliner Polizei ermittelt nun gegen Waters wegen des Anfangsverdachts der Volksverhetzung. Wie ordnen Sie diese Ermittlungen ein? Haben sie Aussicht auf Erfolg?
Ich bin Rechtsanwalt Jürgen Illing dankbar, dass er seine Strafanzeige gegen Waters unter anderem wegen der Relativierung des Holocaust bei uns auf der Website veröffentlicht hat. Andere haben sie als Vorlage für eine eigene Anzeige genutzt. Wir haben damit einen Ball ins Rollen gebracht und nationale und internationale Medienaufmerksamkeit bekommen. Die Strafanzeigen werden wahrscheinlich ins Leere laufen und bei den Ermittlungen wird nicht viel herauskommen. Aber ich werte die Strafanzeigen trotzdem als großen Erfolg – wegen der Aufmerksamkeit, die erregt worden ist. Vieles, was wir bei den Protesten in Deutschland gemacht haben, wurde in anderen Ländern wie beispielsweise England übernommen. Dort wurde zum Beispiel ebenfalls die israelische Fahne bei den Konzerten hochgehalten.

Momentan beschäftigt die Öffentlichkeit der Fall des Rammstein-Sängers Till Lindemann, dem Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden. Der Antisemitismusbeauftrage der Bundesregierung, Felix Klein, hat in Frage gestellt, dass Rammstein-Konzerte »im vom Land betriebenen Olympia­stadion stattfinden sollten«. Er verwies dabei auch auf ein Video zum Lied »Deutschland« aus dem Jahr 2019, in dem »Rammstein mit perfider Vernichtungslager-Optik die Opfer der Shoah verhöhnte«. Gibt es Parallelen zwischen den beiden Fällen?
Ich mag es nicht, Parallelen zwischen verschiedenen Fällen zu ziehen. Ich denke jedoch, dass wir prinzipiell über Meinungs- und Kunstfreiheit sprechen müssen. Ich bin voll und ganz für Demonstrations- und Meinungsfreiheit. Doch in der Sekunde, in der die Grenze der IHRA-Definition überschritten wird, geht es nicht mehr um Kunstfreiheit, sondern um Antisemitismus. Egal ob im Fall von Roger Waters, der Documenta oder Rammstein.

In Frankfurt wurde Roger Waters’ Konzert von der Stadt abgesagt, doch dann hatte er mit einer Klage beim Frankfurter Verwaltungs­gericht Erfolg und konnte trotzdem auftreten. Es gibt Kritiker, die sagen: »Kritisieren ja, verbieten nein.« Was meinen Sie dazu?
Wenn die Konzerte zu einer rein politischen Show werden und Waters seine künstlerische Freiheit nur noch für Antisemitismus nutzt, muss man über Verbote sprechen. Insbesondere dann, wenn es um Räume geht, die der Stadt oder dem Land gehören.