Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Gefangene besser entlohnt werden müssen

Arbeiten hinter Gittern

Für Gefangene gelten nicht dieselben Arbeitsrechte wie für andere Beschäftigte. Zwei Häftlinge haben gegen ihre Arbeitsbedingungen geklagt und nun vom Bundesverfassungsgericht recht bekommen. Die Bundesländer müssen ihre Gesetze zur Arbeit im Gefängnis nun neu regeln.

In den meisten Bundesländern herrscht für Strafgefangene Arbeitspflicht. Sie soll der Resozialisierung dienen und wird im Grundgesetz explizit erlaubt. In Artikel 12 heißt es: »Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.« Grundlegende Rechte für Arbeit­neh­mer:innen gelten für Gefangene nicht – zum Beispiel der Anspruch auf Mindestlohn oder die Sozialversicherungspflicht. Ein Stundenlohn von zwei Euro oder weniger ist allerdings auch im ­Gefängnis verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Ende Juni. Zwei Häftlinge aus Bayern und Nordrhein-Westfalen hatten gegen die Arbeitsbedingungen in Gefängnissen geklagt. Bis Ende Juni 2025 müssen die Bundesländer nun die entsprechenden Gesetze neu regeln. Da es in anderen Bundesländern vergleichbare Vergütungsregelungen gibt, betrifft das Urteil auch sie.

Eine konkrete Empfehlung, wie hoch die Löhne für Arbeit in Haft sein sollen, gab das Gericht allerdings nicht. In den Ausführungen der Richter:innen ging es weniger um Lohngerechtigkeit als um die Frage, inwieweit die Ausgestaltung der Arbeit in Haft, und damit verbunden auch die Entlohnung, zur Resozialisierung von Straffälligen beitrage. Hierbei kam das Verfassungsgericht zu dem Schluss, dass die »Resozialisierungskonzepte« der Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern »nicht in sich schlüssig und widerspruchsfrei« seien. Bei den gezahlten Löhnen könne eine Resozialisierung nicht gelingen.

Der Durchschnittslohn eines Straf­gefangenen im Jahr 2020 betrug je nach ausgeübter Tätigkeit nach Angaben des Gerichts zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro pro Stunde. Das ist ein Pro­blem, weil Resozialisierung nun mal kein innerlicher Akt des Bereuens ist, sondern ein formal geregelter Prozess, der die Gefangenen auch Geld kostet. Ein Beispiel ist der sogenannte Opferschutz. Hierbei sind Gefangene dazu angehalten, den durch ihre Straftaten verursachten Schaden wiedergutzumachen. Zudem ist es gesetzlich geregelt, dass sie an den Kosten für den Betrieb von Elektrogeräten, für Gesundheitsleistungen oder für Suchtmitteltests beteiligt werden beziehungsweise beteiligt werden können. In einigen Fällen werden Gefangene auch an den Kosten für ihre Unterbringung in Haft beteiligt. Das Geld, um all diese Verpflichtungen zu erfüllen, muss notwendigerweise in Haft erarbeitet werden. »In­sofern erschließt sich nicht, wie diese Anforderungen von den Gefangenen erfüllt werden sollen, ohne dass ihnen mehr Lohn für die von ihnen geleis­tete Arbeit zur Verfügung stünde«, hieß es in der Urteilsbegründung.

Wenn Gefangene für private Unter­nehmen arbeiten, handelt es sich dabei nicht um eine Anstellung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne.

Manuel Matzke ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO). Er beschäftigt sich schon lange mit der »Sonderwirtschaftszone Knast«, wie er die Arbeitsverhältnisse im Gefängnis bezeichnet. Zum Urteil des Verfassungsgerichts ist er gespaltener Meinung. »Man muss das Urteil von vielen Seiten betrachten«, sagte er der Jungle World. Dass die ­Minilöhne hinter Gittern als verfassungswidrig eingestuft wurden, sei ein »wichtiges Zeichen«. Er kritisierte allerdings, »dass das Gericht nicht klar deutlich gemacht hat, was aus seiner Sicht eine angemessene Vergütung wäre«. Für die GG/BO wäre das der Mindestlohn – und die Einbindung in die gesetzlichen Versicherungen. Selbst wenn Gefan­gene für private Unternehmen arbeiten, handelt es sich dabei nämlich nicht um eine Anstellung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne.

Der Lohn der Gefangenen werde nicht in die Rentenversicherung miteinbe­zogen, beklagte Matzke. Vor allem Langzeitinhaftierten drohe damit die Altersarmut. Ebenso wichtig sei, dass Inhaftierte sich krankenversichern können; gerade auch weil es bei der medizinischen Versorgung in Gefängnissen Nachholbedarf gebe.

In der Urteilsbegründung hieß es ­lediglich, dass ein gesetzliches Resozialisierungskonzept durch Gefangenen­arbeit dann zur Resozialisierung beitragen könne, wenn »den Gefangenen durch die Höhe des ihnen zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß ­bewusstgemacht werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist«. Dies ist Matzke zufolge bislang in der Tat nicht der Fall. Die derzeitige Entlohnung vermittele lediglich, dass sich Arbeit nicht auszahle – »und das darf nicht sein«, sagte er. Gefangene hätten häufig Schulden zu begleichen oder müssten Unterhalt zahlen. »Mit 1,30 Euro die Stunde geht das alles nicht.«

Die Haftkostenbeteiligung sei das geringste Problem, so Matzke. »Zumindest alle, die bei uns organisiert sind, haben damit kein Problem«, sagte er. Wenn die Häftlinge für ihre Arbeit wenigstens den Mindestlohn bekämen, könnten sie etwas für Essen und Un­terbringung zahlen. Bei der Vergütung und deren Ausgestaltung billigt das Gericht dem Gesetzgeber allerdings weiterhin einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Bislang können Gefängnisse als Lohn für die Arbeit auch Freigang oder eine frühere Haftentlassung statt Geld anbieten. Diese sogenannten »nicht-monetären Vergütungen« werden im Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht in Zweifel gezogen.

Die »Sonderwirtschaftszone Knast« ist keinesfalls entkoppelt vom Rest des Markts. Das Recherchenetzwerk Correctiv hat 2021 eine Liste von rund 90 Unternehmen aufgelistet, die in den vergangenen fünf Jahren bis zum Zeitpunkt der Untersuchung Produkte in Gefängnissen haben herstellen lassen. Darunter finden sich große Konzerne wie der Autohersteller BMW, der in bayerischen Justizvollzugsanstalten für sich arbeiten lässt, oder der Hersteller von Haushalts- und Gewerbegeräten Miele, der das in Niedersachsen tut.

»Viele deutsche BMW-Werkstätten nutzen Spezialwerkzeuge, die in der JVA Straubing hergestellt wurden. Selbstverständlich ist das produktive Arbeit.« Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)

»Wenn gegen den Mindestlohn für Häftlinge argumentiert wird, heißt es ja oft, Knastarbeit sei nicht produktiv«, sagte Matzke. Das Gegenteil sei aber der Fall. »Viele deutsche BMW-Werkstätten nutzen Spezialwerkzeuge, die in der JVA Straubing hergestellt wurden. Selbstverständlich ist das produktive Arbeit«, betonte er.

Der niedrige Lohn komme jedoch nicht unbedingt von den Unternehmen, so Matzke. Ein Großteil des von ihnen ausgezahlten Lohns werde im Justizapparat einbehalten. Auf Anfrage von Correctiv teilte beispielsweise der Lebensmittelhersteller Dr. Oetker mit, dass eine seiner Speditionen Freigänger aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne »für leichte Lagertätigkeiten zur Unterstützung in der Kommissionierung und Konfektionierung von Dr.-Oet­ker-Aufträgen« einsetze. An das Gefängnis würden dafür 10,27 Euro pro Stunde gezahlt. Für seine Recherche hatte Correctiv dazu auch bei der Landesvollzugsdirektion nachgefragt. Konkret dazu äußern habe diese sich nicht wollen, habe aber allgemein bestätigt, dass der abgerechnete Stundenlohn an die Tariflöhne von freien Ar­beite­r:in­nen angepasst sei. Bei den Gefangenen komme jedoch nur der im Strafvollzugsgesetz festgelegte Stundensatz von ein bis drei Euro an, berich­tete das Recherchenetzwerk. Mehr als sechs Millionen Euro Umsatz hätten beispielsweise die niedersächsischen Gefängnisse 2019 damit erzielt. Mehr als jeder dritte Arbeitsplatz habe sich im Zeitraum der Untersuchung dort in einem Unternehmerbetrieb befunden.

Die Gefangenengewerkschaft wolle genau beobachten, ob und wie sich die Bezahlung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ändern wird, sagte Matzke und ergänzte: »Wenn die Länder das Urteil nicht umsetzen, werden wir als GG/BO in den entsprechenden Ländern gemeinsam mit den bei uns organisierten Gefangenen entsprechende Klagen bei den zuständigen Kammern einreichen.«