Die russische Fernseh­journalistin Marina Owsjannikowa wurde in Ab­wesenheit zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt

Verurteilt in Abwesenheit

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Eine geradezu milde Strafe hat Marina Owsjannikowa erhalten: Zu achteinhalb Jahren Haft verurteilte ein Moskauer Gericht die Journalistin wegen der »öffentlichen Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation«. Gedroht hatten ihr bis zu 15 Jahre Gefängnis. Owsjannikowa hatte im vergangenen Jahr weltweit für Aufsehen gesorgt, als sie beim staatlichen russischen Fernsehsender Perwyj kanal (Erster Kanal) während einer Live-Sendung ein Plakat mit einer ukrainischen und einer russischen Flagge hochhielt, auf dem auf Englisch »No war« und »Russians against war« stand. Auf Russisch hieß es: »Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Man lügt euch hier an.« In einem Interview mit dem US-Sender CNN nach dem Gerichtsurteil sagte Owsjannikowa: »Das ist nur eine Scheinjustiz, denn Sie wissen, dass wir in Russland keine unabhängigen Gerichte haben.« Verwandte in Russland hätten sich gegen sie gewandt: »Sie haben vor Gericht gegen mich ausgesagt, und ich war schockiert, als ich davon las. Sie leben in einer anderen Informationsrealität.«

Bis zum Beginn des Tschetschenien-Kriegs Anfang der neunziger Jahre lebte Owsjannikowa, Tochter eines Ukrainers und einer Russin, mit ihrer Mutter in Grosny, dann mussten sie fliehen und zogen nach Krasnodar. Owsjannikowa studierte dort an der Staatlichen Universität des Kuban-Gebiets im Nordkaukasus und später an der Russischen Präsidentenakademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung. Sie arbeitete für die Allrussische Staatliche Fernseh- und Rundfunkgesellschaft (WGTRK) und als Nachrichtenmoderatorin beim Fern­sehsender Kuban. In Moskau als Redakteurin beim Perwyj kanal war sie für den Bereich »Auslandsnachrichten« zuständig. Der britische Telegraph nannte Owsjannikowa »staatliches Sprachrohr«, sie selbst beschrieb sich rückblickend als »jahrelange Produzentin von Kreml-Propaganda«. Owsjannikowa war im vergangenen Jahr mit ihrer Tochter aus einem Hausarrest nach Paris geflohen.