Die Oberbürgermeisterwahl in Bitterfeld-Wolfen verlor die AfD nur knapp

Wieder eine knappe Kiste

Nur knapp verlor der AfD-Kandidat am Wochenende bei der Stichwahl zum Oberbürgermeister in Bitterfeld-Wolfen. Der siegreiche CDU-Amtsinhaber konnte auf die Unterstützung eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses zählen.

Vergangene Woche in Bitterfeld-Wolfen: Die AfD hat zur Wahlkampfveranstaltung für die Oberbürgermeisterwahl auf den Marktplatz eingeladen. Dutzende Menschen saßen auf Bierbänken, an einem Stand wurden Bratwürste verkauft. Am Rand sprangen Kinder in einer Hüpfburg. Auf einem Auto prangte der Schriftzug »Bürgermobil«. Der Kandidat der AfD heißt Henning Dornack. Dass auch die bundespolitische Parteiprominenz ihn unterstützt, sollte das auf Wahlplakaten sichtbare Konterfei Kay-Uwe Zieglers verkünden, des Bitterfelder Bundestagsabgeordneten der AfD.

Bitterfeld war ein politisches Prestigeprojekt der AfD im Osten Deutschlands. Die erste Wahlrunde am 24. September hatte Dornack knapp vor dem amtierenden Oberbürgermeister Armin Schenk (CDU) gewonnen. Am Sonntag kam es zur Stichwahl. Aus dieser ging Schenk mit 53,8 Prozent der Stimmen als Sieger hervor; Dornack erhielt 46,18 Prozent.

Damit wurde ein weiteres Mal nur knapp verhindert, dass erstmals ein AfD-Kandidat Oberbürgermeister wurde, wie bereits im September in ­Nordhausen (Thüringen). Zuvor hatte die Partei es im thüringischen Sonneberg geschafft, einen Landrat zu stellen, und im sachsen-anhaltinischen Raguhn-Jeßnitz eine Bürgermeisterwahl gewonnen.

Einer aktuellen Studie der Universität Leipzig zufolge wünscht sich jeder zweite in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt eine »starke Partei«, die die »Volksgemeinschaft« verkörpert.

In Bitterfeld lässt sich beobachten, welche Kommunalstrategie die Partei verfolgt. Benjamin Höhne ist Politikwissenschaftler an der Universität Magdeburg. Er sagte der Jungle World: »Die AfD sucht sich gezielt Wahlkreise aus – je nachdem, wo sie sich die größten Erfolge verspricht.« Dort konzen­triere sie dann Personal und Ressourcen, um Wahlkämpfe mit Unterstützung der Landes- und Bundesebene zu bestreiten. Der AfD-Landesverband in Sachsen-Anhalt gilt als einer der ex­tremsten in ganz Deutschland. Seit 2021 wird er vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft.

Wie in Nordhausen ist der Wahlsieg des CDU-Kandidaten auch einem zivilgesellschaftlichen Bündnis zu verdanken. In einem Jugendzentrum traf sich vergangene Woche das »Bündnis für Demokratie und Toleranz«. Das Netzwerk wurde nach dem ersten Wahlgang gegründet, um einen Sieg der AfD zu verhindern. Beteiligt sind Vereine, Kirchengemeinden, Künstler, Wissenschaftlerinnen, Gewerkschaftler und Unternehmerinnen. Am Tag vor der Stichwahl veranstaltete es ein »Fest für Demokratie«.

Ein Mitglied des Bündnisses, der Schulsozialarbeiter Norbert Bartsch, sagte der Jungle World: »An dem Abend der ersten Wahlrunde war ich in Leipzig. Mich erreichte die Nachricht von meinem Sohn: ›Das sieht ganz böse aus bei uns.‹« Es sei ein unbehagliches Gefühl, dass so viele Menschen aus der eigenen Nachbarschaft mit der AfD sympathisieren. »Man wollte es nicht wahrhaben, dass es doch so viele sind«, sagt auch Steffi Hauck, ebenfalls Sozialarbeiterin, der Jungle World.

Die beiden sind sich sicher, dass der AfD-Erfolg in der ersten Wahlrunde nicht viel mit Henning Dornack zu tun gehabt hat. »Es ist der Name dieser Partei. Henning Dornack wusste, dass die ganz Großen hinter ihm stehen. Er selbst ist eher wie eine Art Handpuppe«, sagt Norbert Bartsch. Das Bündnis versuchte, lauter zu sein als die AfD – und es warb für die Wiederwahl von Oberbürgermeister Schenk. Bettina Kutz, die Vorsitzende des DGB-Kreisverbands Anhalt-Bitterfeld, sagt: »Andere schreien immer, was alles nicht klappt. Aber wir schreien nicht, was klappt.«

Bitterfeld gilt als Arbeiterstadt. Zu DDR-Zeiten war sie eine Hochburg der chemischen Industrie und ein Braunkohlegebiet, die Landschaft war gezeichnet von jahrzehntelanger Umweltverschmutzung. Daran erinnert heutzutage kaum noch etwas. Aus dem ehemaligen Tagebau entstand 2002 der Goitzschesee, der nun als landschaftliche ­Attraktion Sachsen-Anhalts gilt. An dessen Ufer reihen sich weiß gestrichene Ein- und Mehrfamilienhäuser. Mehr als 300 Millionen Euro öffentlicher Mittel flossen in die Renaturierung der Goitzsche – anschließend wurde der See 2013 für weniger als drei Millionen Euro an einen privaten Investor verkauft. Viele zweifeln heute daran, dass damals alles mit rechten Dingen zuging.

Der MDR berichtete, dass unter anderem der CDU-Landespolitiker Lars-Jörn Zimmer sich damals »zum kleinen Preis ein Grundstück in Bestlage« gesichert habe, während er gleichzeitig im Aufsichtsrat des kommunalen Unternehmens saß, das die Flächen vermarktete. Der Skandal belastet indirekt auch den CDU-Kandidaten Schenk. Er hat zwar nichts mit dem Verkauf zu tun ­gehabt, das Geschäft wird aber vor ­allem der CDU angelastet.

Seit 2022 wird der Fall neu aufgerollt und die Akten von damals werden geprüft. Im Mai beschloss der Stadtrat, dass der damalige Verkauf juristisch aufgearbeitet werden soll. Im Wahlkampf hat sich die AfD das Thema auf die Fahnen geschrieben. Auf ihren Wahlplakaten hieß es: »Goitzsche-Verkauf aufklären!« Die Gewerkschafterin Kutz ist allerdings der Meinung: »Der Verkauf des Sees lenkt die Leute von anderen Problemen ab.«

Die Bündnismitglieder sind sich ­einig: In Bitterfeld hat sich schon viel getan – Betriebsansiedlungen, Sanierung von Kitas, Schuldenabbau. Nervig sei es, dass immer wieder das alte Bild der Stadt hervorgeholt werde. Die Sozialarbeiterin Hauck sagt: »Im Zusammenhang mit Bitterfeld liest man immer nur: ›Kohle, grau, trist.‹ Man könnte auch mal zeigen, was sich hier verändert hat.«

Die Arbeitslosenrate in Bitterfeld liegt unter acht Prozent. Im Chemiepark sind rund 360 internationale Unternehmen angesiedelt, rund 10 000 Arbeitsplätze gibt es dort. Auch die Solarindustrie, die vor über einem Jahrzehnt zusammenbrach, soll wiederbelebt werden. Der Schweizer Photovoltaik-­Hersteller Meyer Burger hat im April angekündigt, seine Produktion in Thalheim bei Bitterfeld-Wolfen aus­zubauen. Im August hieß es jedoch, dass dies verschoben werde; zuerst wolle man in den USA investieren, weil es dort mehr Subventionen gebe.

Der Politologe Höhne ist der Ansicht, dass insbesondere die mittelgroßen Städte im südlichen Ostdeutschland einen guten Nährboden für die AfD ­bieten: »In Dörfern liegen oftmals noch mehr intakte soziale Strukturen vor. Großstädte wiederum sind geprägt von universitären, urbanen und progressiven Milieus.« In Bitterfeld dürften noch andere Faktoren eine besondere Rolle spielen: Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft belegt, dass die AfD in Industriegebieten, die große wirtschaftliche Umbrüche erlebt haben, besonders erfolgreich ist. Höhne betont, man dürfe nicht vergessen, dass nach der friedlichen Revolution von 1989 ganze Industrien zusammengebrochen sind: »Viele fühlen sich abgehängt und alleingelassen.« Zehntausende Bitterfelder verloren in den frühen Neunzigern auf einen Schlag ihre Arbeitsplätze.

Der AfD-Kandidat Henning Dornack arbeitete einst selbst im Bitterfelder Braunkohlekombinat, bis er noch zu DDR-Zeiten Polizist wurde. Die Berufswahl erklärte er in der Mitteldeutschen Zeitung mit den Worten: »Ich hatte immer schon ein Faible für Recht und Ordnung.« Im Wahlkampf inszeniert er sich als Kämpfer gegen Korruption und als echter Bitterfelder. Sein Slogan lautet: »Ich bin einer von Ihnen.«

Im Telegram-Kanal der AfD Bitterfeld-Wolfen fand sich in den Wochen vor der Wahl die übliche Hetze gegen Geflüchtete. Dem CDU-Kandidaten wurde dort »Verstrickungen, Filz und nicht zuletzt die unkritische Umsetzung der desaströsen Ampelpolitik« vorgeworfen. Nach Schenks Wiederwahl wurde indirekt angedeutet, die Stichwahl sei manipuliert worden. Der AfD-Kandidat habe »klar die geheime und freie Wahl an der Wahlurne« gewonnen, nur die »Briefwähler favorisierten Amtsinhaber Armin Schenk«.

Der Rechtsextremismus kam nicht erst mit der AfD nach Bitterfeld, er ist schon lange in der Stadt verwurzelt. 2015 drangen bewaffnete Neonazis in die Wohnungen von linken Bitterfeldern ein, auf ein linkes Kulturzentrum wurde ein Brandanschlag verübt.

Nach den Erfolgen von Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz sprach die AfD ­bereits von einer »blauen Wende«, die sie in Bitterfeld fortsetzen wollte. In Ostdeutschland sei die Demokratie nicht mit den Menschen gewachsen, meint Höhne: »Salopp ausgedrückt, sie wurde übergestülpt.«

Diese Einschätzung deckt sich mit einer Studie der Universität Leipzig, die sich mit der Unzufriedenheit mit der Demokratie in Ostdeutschland auseinandersetzt. Von vielen werde die Demokratie nicht als etwas Eigenes verstanden, heißt es in deren Schlussfolgerung. Die große Mehrheit der Befragten gab an, sich ohne politischen Einfluss zu fühlen. Und: Jeder zweite in Thüringen, Sachsen und auch Sachsen-Anhalt wünscht sich eine »starke Partei«, die die »Volksgemeinschaft« verkörpert.