Über die Gründe des AfD-Erfolgs bei der Stichwahl ums Landratsamt in Sonneberg

Thüringen hat Potential

Für Beobachter der extremen Rechten ist der Wahlerfolg der AfD bei der Stichwahl ums Landratsamt in Sonneberg Ausdruck der Thüringer Zustände.

Der Wahlerfolg der »Alternative für Deutschland« (AfD) am 25. Juni im thüringischen Landkreis Sonneberg schlug bundesweit hohe Wellen. Dass ihr Kandidat, Robert Sesselmann, in der Stichwahl gegen einen Kandidaten der CDU das Landratsamt gewann, kam für einige Politiker offenbar überraschend. Ralf Stegner (SPD), Mitglied des Deutschen Bundestags, twitterte von einem »Tag der Schande«. Der baden-württembergische Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) sah einen »Dammbruch«. Und der ­Co-Vorsitzende der Linkspartei, Martin Schirdewan, bezeichnete die Wahl im ZDF als ein »Alarmsignal für die Demokratie«. Für Antifaschisten aus dem – laut Eigenwerbung – »grünen Herzen Deutschlands« dagegen kam das Ergebnis keineswegs unerwartet.

»Die AfD manifestiert lediglich das vorhandene rassistische und autoritäre Potential«, sagte die Sprecherin von Dissens, einer antifaschistischen Gruppe aus Erfurt, der Jungle World. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg der Partei sei »gerade die Bündelung der extremen Rechten, die sich in Thüringen hinter die AfD stellt und sowohl ideologisch als auch personell die Partei unterstützt«. Das beste Beispiel dafür sei Daniel W., ein Wahlhelfer, der nach der Wahl die übriggebliebenen Luftballons der AfD an Kinder verteilte. Einer gemeinsamen Recherche von MDR Thüringen und dem Spiegel zufolge war W. Anfang der nuller Jahre in der sogenannten Kameradschaft Sonneberg aktiv. Diese habe zum Thüringer Heimatschutz gehört, jenem Netzwerk, aus dem der rechtsterroristische Nationalsozialistische Untergrund hervorging.

Das Wahlergebnis im Landkreis bewertete Axel Salheiser, der wissenschaftliche Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, im Gespräch mit der Jungle World als »Ergebnis einer anhaltenden Entwicklung, die ein gefestigtes, demokratiefeindliches Einstellungspotential hervorbrachte«. Schon bei den Landratswahlen vor vier Jahren sei der kürzlich gewählte Kandidat der AfD auf knapp 30 Prozent gekommen, ergänzte Salheiser. Anfang der nuller Jahre konnte die NPD in einzelnen Gemeinden des Landkreises zweistellige Ergebnisse erzielen. In Lauscha ist sie bis heute im Stadtrat vertreten. Bei der dortigen Bürgermeisterwahl 2018 erhielt ihr Kandidat ein Viertel der ab­gegebenen Stimmen.

Das Wahlergebnis im Landkreis Sonneberg sei das »Ergebnis einer anhaltenden Entwicklung«, meint Axel Salheiser vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft.

In seinem Beitrag zur Broschüre »Thüringer Zustände«, die Ende Juni erschienen ist, schreibt Christoph Lammert von der Mobilen Beratung in Thüringen zwar von einem »Bedeutungsverlust neonazistischer Strukturen«, verweist zugleich aber auf »das Erstarken eines verschwörungsideologischen Milieus«, das sich aus Pandemieleugnern und Reichsbürgern entwickelt habe. Cynthia Freund-Möller vom Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Friedrich-Schiller-Universität Jena teilte der Jungle World mit, nachdem die Reichsbürgerbewegung in den »Querdenken«- und Coronaprotesten vermehrt Zuspruch erhalten habe, gingen die Rechtsextremen »mittlerweile offensiver vor und streuen ihre Ideologie bei eigenen Veranstaltungen und Kundgebungen«. Vor allem ihre Kritik an Regierung und Staat sei populärer ­geworden.

Die Bewegung der Reichsbürger verfüge, schrieb die Antifa Erfurt der ­Jungle World, »in Thüringen über finanzielle und personelle Strukturen« und habe »sich in einigen Teilen wie dem Landkreis Sonneberg« festsetzen können. Im Gegensatz zu den lokalen Akteuren könne die AfD jenes Wählerpotential bündeln, das sich durch ­militant auftretende Rechtsextremisten vielleicht noch abgeschreckt gefühlt habe.

Für die Menschen im Landkreis, die nicht ins extrem rechte Weltbild passen, werde das Ergebnis in Sonneberg gravierende Folgen haben, sagte Magdalena Willer von der Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und ­antisemitischer Gewalt in Thüringen der Jungle World. Sie befürchte »eine Zunahme von rechter Hetze, Bedrohung und Gewalt«, die schon jetzt in Form von rechten Online-Angriffen zu beobachten sei. Dabei gehe es unter anderem um die Einschüchterung von demokratischen Repräsentanten und zivilgesellschaftlich Engagierten.

Immer häufiger betreffe das auch Kommunalpolitiker, die den Rechtsextremen unliebsam sind, sagte Salheiser der Jungle World. Jede achte Person, die in dem Bundesland ein öffentliches Amt ausübe, habe in der Befragung für die Broschüre »Thüringer Zustände« angegeben, »aufgrund der Angriffe in der Amtsausführung beeinträchtigt zu werden oder sogar zu erwägen, das Amt niederzulegen«. Neben persönlichen Anfeindungen seien Lokalpolitiker auch »von gezielten juristischen Interventionen, also der Androhung oder Einleitung anwaltlicher beziehungsweise gerichtlicher Schritte betroffen«. Auch dabei handele es sich um eine Strategie, »die von der AfD verfolgt wird, um Meinungen und Informationen im öffentlichen Diskurs zu verhindern und Engagierte einzuschüchtern«. Darin sieht der wissenschaftliche Leiter des IDZ als ein weiteres »strategisches Mittel im Kampf um Hegemonie«.