Viele Israelis in Berlin sind entsetzt über manche Reaktionen auf den Hamas-Terror

Trauer, Sorge und Frust unter Israelis in Berlin

In Berlin leben viele Israelis, die Freund:innen, Angehörige und Bekannte bei den blutigen Massakern der Hamas verloren haben. Viele Reaktionen in Deutschland frustrieren sie.

Israel ist ein kleines Land. Nach den beispiellosen Angriffen der Hamas am 7. Oktober kennt dort nahezu jede:r Menschen, deren Familienangehörige ermordet oder verschleppt worden sind. Auch für mehrere Tausend Israelis, die in Berlin leben, änderte sich innerhalb eines Tages alles. Viele von ihnen trauern und bangen um Familie, Freund:innen und die Zukunft Israels. Doch auch die Spannungen in Berlin machen vielen große Sorgen. Die Angst vor antisemitischer Gewalt ist für sie mittlerweile allgegenwärtig. Etliche fühlen sich derzeit im Stich gelassen.

Einer von ihnen ist der 29jährige Ofir. Um seine Hilflosigkeit zu überwinden, habe er sich an der Organisation einer Mahnwache am Berliner Wittenbergplatz beteiligt, bei der der Opfer des Terrors der Hamas gedacht wurde. Seit mittlerweile sechs Jahren lebe er in Berlin. Eine solche Form der Ohnmacht habe Ofir noch nie erlebt. Der Jungle World berichtet er, wie er am Morgen des 7. Oktober um 5.30 Uhr zunächst vom Raketenalarm seines Handys wach wurde, sich jedoch im ersten Moment nichts dabei dachte: »Das passiert alle paar Jahre und bedeutet meistens nichts.« Als die Nachrichten aus Israel sich vermehrten, sei ihm jedoch klargeworden, dass es dieses Mal anders war.

Die Gräueltaten der Hamas waren der schlimmste Angriff auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Dennoch nimmt Ofir kaum Empathie und Solidarität wahr: »Niemand stellte sich auf die Seite von al-Qaida oder des IS. Und nun sitzen Menschen hier im progressiven Berlin, rechtfertigen die Taten der Hamas und kommen damit davon.« Ofir sagt, er setze sich seit Jahren für eine Zweistaatenlösung ein. Er bezeichnet sich selbst als propalästinensisch. Darum gehe es diesmal jedoch nicht. »Die gesellschaftliche Linke begreift nicht, dass es dieses Mal etwas ganz anderes ist.« Der Terror der Hamas habe nichts mit der Befreiung Palästinas zu tun. »Hier geht es einzig darum, Jüdinnen und Juden zu schaden.« Zu einigen seiner Freund:innen habe er den Kontakt abgebrochen, weil sie die Taten der Hamas gerechtfertigt hätten.

Zu einigen seiner Freund:innen hat Ofir den Kontakt abgebrochen, weil sie die Taten der Hamas gerechtfertigt hätten.

Ganz anders erlebte Sagi* den Morgen des 7. Oktober: Der Jungle World erzählt er, dass er von den telefonischen Hilferufen eines Freundes geweckt worden sei, der sich auf dem Supernova-Festival im Süden Israels im Gebüsch vor den Terroristen der Hamas versteckt habe. Er habe umgehend versucht, Hilfe von Polizei und Militär in Israel zu organisieren. Sieben Stunden habe es gedauert, bis sein Freund gerettet werden konnte. 260 Menschen fielen dem Massaker der Hamas allein bei diesem Festival zum Opfer. Nach derzeitigem Stand ermordeten sie insgesamt über 1.300 Menschen – darunter auch Verwandte und Kolleg:in­nen von Sagi.

Der Jungle World sagt er: »Es fühlte sich an, als wären die Schrecken hier passiert, in meinem Berliner Wohnzimmer.« Und obwohl Sagi die Anstrengungen deutscher Behörden wahrnimmt, für die Sicherheit israelischer und jüdischer Menschen zu sorgen, meint er: »Mich verstört andererseits die Skepsis, mit der das Ausmaß der Grausamkeiten von manchen politischen Aktivist:in­nen in Frage gestellt wird.«

Auch Ido verlor durch die Attacken der Hamas eine Freundin. Sie, ihr Mann und ihre drei Kinder wurden in einer Ortschaft nahe der Grenze zu Gaza ermordet. Die Versammlungen in Neukölln, bei denen die PFLP-Vorfeldorganisation Samidoun Süßigkeiten verteilte und Hunderte den Mord an den über 1.300 Israelis feierten, hätten ihn nachhaltig schockiert. »Es darf jetzt keine Täter-Opfer-Umkehr passieren. Der Täter ist die Hamas und ihr Opfer sind nicht nur wir Israelis, sondern auch die Zivilbevölkerung in Gaza. Es kann nur Versöhnung geben, wenn die Hamas Geschichte ist«, sagt er der Jungle World.

Die Solidaritätskundgebungen, die in Berlin seit den Anschlägen stattfanden, würden ihm Kraft geben. Am ersten Schabbat nach dem Terroranschlag hatten sich mehrere Hundert Menschen vor der Synagoge am Fraenkelufer versammelt, um ein Zeichen der Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu setzen.

Was Ofir, Sagi und Ido berichten, gilt in ähnlicher Form für viele weitere Israelis in Berlin. Viele fühlen sich in ihrem Alltag bedroht, fürchten antisemitische Übergriffe auch in Deutschland. Manche trauen sich derzeit nicht, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen. Für sie ist nun die Krisenhotline Matan erreichbar. Bereits seit Januar bietet das Projekt der Beratungsstelle Ofek und der ZWST (Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) niedrigschwellige Beratung und Unterstützung durch Freiwillige auf Hebräisch.

Seit den Anschlägen vom 7. Oktober hat sich stark geändert, mit welchen Problemen Menschen Hilfe bei den Freiwilligen von Matan suchen: »Alle Anrufe beziehen sich auf den Krieg«, sagt Nitzan Meilin, die Projektleiterin von Matan, der Jungle World. Die Anrufer:innen sorgten sich um Angehörige und Freund:in­nen, erlebten akute Angst- und Stressreaktionen und müssten diese Krise in der Diaspora überstehen. Denn während der 7. Oktober für viele Israelis einen schmerzhaften Bruch bedeutete, läuft das alltägliche Leben in Berlin weiter. Zeit zum Innehalten bleibt dabei kaum. Daher haben die Freiwilligen von Matan die Telefonzeiten ausgeweitet, bieten zusätzlich Gesprächsräume und vermitteln psychotherapeutische Erstgespräche.

* Name von der Redaktion geändert.