Die meisten flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen finden in Sachsen statt

Sachsen mobilisiert

Pegida verliert an Mobilisierungskraft, in Sachsen gibt es aber weiterhin so viele rechtsextreme Demonstrationen wie nirgends sonst in Deutschland. Seit diesem Jahr versuchen Rechtsextreme wieder vermehrt, Menschen mit ausländerfeindlichen Themen zu mobilisieren.

Es sollte ein großes Comeback sein. Nach längerer Pause wollte Pegida zurück auf die Straße und die Empörungswelle weiter reiten. Zur Feier von nunmehr neun Jahren Pegida wurden prominente Redner nach Dresden eingeladen wie der thüringische Fraktionsvorsitzende der AfD, Björn Höcke, sowie der Mitinitiator der montäglichen Proteste in der sächsischen Landeshauptstadt, Lutz Bachmann.

Trotz Geburtstags und prominenter Gäste fiel die Sause jedoch vergleichsweise mau aus. Nur einige Hundert Demonstranten folgten der Einladung. Die Gegendemonstranten waren deutlich zahlreicher. Ihnen gelang es an mehreren Stellen, den Aufmarsch mit Sitzblockaden zu blockieren, weshalb die Polizei nach eigenen Angaben den Aufzug mehrfach umleiten musste. Die in den sozialen Medien groß angekündigte Rückkehr der rechtsextremen Protestbewegung wurde somit ein Reinfall. Der überregionalen Presse waren die Geschehnisse kaum eine Meldung wert.

»Es hat mich überrascht, dass Pegida trotz des Auftritts von Björn Höcke bei seinem Comeback-Versuch noch nicht einmal eine vierstellige Teilnehmerzahl mobilisieren konnte«, teilt Michael Nattke, der Jungle World mit. Er ist der Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, des Trägervereins der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Sachsen. Die mangelnde Mobilisierung dürfte seiner Einschätzung nach »auch für das Pegida-Organisationsteam eine große Enttäuschung sein«. Diejenigen, die sich an den Protesten jetzt noch beteiligen, seien »verfestigte Rechtsextreme aus unterschiedlichen Milieus«. Deren Ziel sei es, als außerparlamentarischer Arm der AfD auf der Straße Stimmung für die kommenden Wahlen zu machen. Im nächsten Jahr finden in dem Bundesland neben der Europawahl auch Kommunal- und Landtagswahlen statt.

Die Antifaschistische Initiative Löbtau (AIL) aus dem gleichnamigen Dresdner Stadtteil hält das Pegida-Jubiläum ebenfalls für gescheitert. »Andreas Kalbitz und Björn Höcke konnten zwar ihre rechte Kernanhängerschaft erreichen«, so die Antifaschisten im Gespräch mit der Jungle World, aber darüber hinaus gelinge »keine breite Mobilisierungswirkung«. Im Gegenteil: Die allseits bekannten rechtsextremen Redner trugen »wohl eher zu der starken antifaschistischen Reaktion bei«. Die vielen Menschen, die sich dem Gegenprotest angeschlossen hatten, konnten die Demonstration mit ihrer durchgehenden lautstarken Begleitung des rechtsextremen Aufmarschs und einer Reihe von kleineren Blockaden und Blockadeversuchen erfolgreich stören. Die Rede von Björn Höcke auf dem Schlossplatz ging größtenteils unter.

»Laut einer Anfrage im Bundestag fanden in diesem Jahr mehr als zwei Drittel aller asylfeindlichen Demonstrationen in Sachsen statt.« Michael Nattke, Kulturbüro Sachsen

Die Undogmatische Radikale Antifa (URA) aus Dresden war in diesem Jahr nicht in die Organisation der Gegenproteste involviert. Pegida ist aus ihrer Sicht »mittlerweile irrelevant und lediglich selbstreferentiell«. Der rechtsex­treme Protestzirkus in der sächsischen Landeshauptstadt habe zu einem Umdenken in der strategischen Ausrichtung geführt. »Vor Jahren haben wir uns dazu entschieden, nicht mehr über jedes rechte Stöckchen zu springen und jeder rechten Mobilisierung hinterherzurennen«, sagt die URA der Jungle World. Stattdessen konzentriere man sich auf die Jugendarbeit, eine bessere Vernetzung sowie Analyse und Weiterbildung. Dennoch werde die URA »natürlich da sein, wenn es wieder nottut, Feuerwehr zu spielen«.

Trotz der schwachen Mobilisierung zum neunten Jahrestag von Pegida Anfang November bleiben Sachsen und die Landeshauptstadt Dresden Zentren des rechtsextremen Demonstrationsgeschehens. »Laut einer Anfrage im Bundestag fanden in diesem Jahr mehr als zwei Drittel aller asylfeindlichen Demonstrationen in Sachsen statt«, fasst Nattke die Situation derzeit zusammen. »Spätestens seit diesem Jahr versuchen extrem rechte Kräfte in Sachsen wieder vermehrt, Menschen über ausländerfeindliche Themen zu mobilisieren«, sekundieren die Antifaschisten aus Löbtau. Rassistische Proteste nehmen ihrer Wahrnehmung zufolge wieder an Häufigkeit und Intensität zu. »Damit gehen Angriffe auf geplante Asylunterkünfte einher«, sagt ein Mitglied der AIL der Jungle World.

Ende Oktober besetzten Neonazis im Dresdner Ortsteil Alttorna eine Unterkunft, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Vor dem Gebäude bildete sich zudem eine nicht angemeldete Spontandemonstration, an der Anhänger der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen und der bekannte Neonazi-Kader Max Schreiber teilnahmen. Dabei zündeten die Rechtsextremen Pyrotechnik und rollten ein Transparent aus, auf dem zu lesen war: »Kein Raum für Überfremdung – Remigration«. Erst ein Spezialeinsatzkommando beendete die Besetzung des Dachs.

Vor allem die Kader der Freien Sachsen nutzen die asylfeindliche Stimmung im Land immer wieder für Mobilisierungen auf der Straße. »In Dresden und umliegenden Orten wird ein Großteil dieser Demonstrationen von dem Neonazi Max Schreiber angemeldet und angeführt«, berichtet Nattke; man treffe dort »den immer gleichen überschaubaren Haufen von Teilnehmern«. Es handle sich um »eine Art rechten Wanderzirkus, der in verschiedenen Stadtteilen an unterschiedlichen Tagen immer wieder aufmarschiert«.

Im Oktober mobilisierten die Freien Sachsen wegen der geplanten Unterbringung von Geflüchteten in einer ehemaligen Schule. Rund 300 Rechtsex­treme zogen unter dem Motto »Nein zum Heim« und »Guten Morgen, Herr Kretschmer« vor das Wohnhaus des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) in Dresden-Klotzsche. »Politiker dürfen sich zu Hause nicht mehr wohlfühlen«, verkündete Max Schreiber durch das Mikrophon. Die ehemalige Schule war seitdem wiederholt Ziel von Brandanschlägen.

Außerhalb der sächsischen Landeshauptstadt konnte Schreiber Nattke zufolge »mit seinen rassistischen Demonstrationen ein paar wenige Achtungserfolge feiern«. So sei den Aufrufen der Freien Sachsen in Sebnitz und in Bad Gottleuba-Berggießhübel jeweils eine vierstellige Teilnehmerzahl gefolgt. In beiden Städten der Sächsischen Schweiz demonstrierten sie gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Die URA verweist ebenfalls auf einen Unterschied zur Situation 2015/2016. Derzeit seien keine rechtsextremen Agitatoren zu erkennen, »die es darauf absehen, die Proteste gezielt zu eskalieren wie einst in Heidenau, Freital oder Bautzen«. Wobei »man hier in Sachsen diesbezüglich nie etwas ausschließen sollte«.