Selbsterklärende Tat
Der Judenhass, für den das Wort Antisemitismus steht, ist kein bloßes Vorurteil oder eine Form der Diskriminierung. Er ist eine Praxis der Gewalt in Wort und Tat und deren gleichzeitige Rechtfertigung. Den als Juden identifizierten Menschen soll unbedingt Gewalt angetan werden. Dieses in Öffentlichkeit und Politik viel zu wenig beachtete Wesen des Antisemitismus haben jüngst Ereignisse in Hamburg illustriert.
Nach dem antisemitischen Massaker und der misogynen Gewalt im Süden Israels am 7. Oktober, verübt von palästinensischen Terrormilizen aus dem Gaza-Streifen unter Führung der islamistischen Hamas, erklärte sich nahezu das ganze »offizielle Hamburg« solidarisch mit dem angegriffenen Judenstaat und seinen Bewohner:innen. Das Rathaus wurde mit der israelischen Fahne beflaggt und auch an einem anderen überregional bekannten Gebäude der Stadt, dem seit über 30 Jahren besetzten Autonomen Zentrum Rote Flora im Schanzenviertel, wurde zügig eine Plakatwand beklebt. »Killing Jews is not fighting for freedom!« stand dort seit dem 13. Oktober, darunter: »Wir sind solidarisch mit allen Menschen in Israel und allen Jüdinnen und Juden weltweit. You are not alone!« Bilder davon gingen noch in der Nacht durch die sozialen Medien, geteilt von antifaschistischen Gruppen und Privatpersonen bis hin zum Antisemitismusbeauftragten der Hansestadt.
Medien wie der NDR oder das Hamburger Abendblatt zeigten sich davon überrascht. Das ist insofern verständlich, als große Teile der globalen radikalen Linken den antisemitischen Mord zum »legitimen Widerstand« erklärt haben. Doch zeugt diese Überraschung der großen Medien auch von deren kurzem Gedächtnis: Die schärfsten Kritiker:innen des Judenhasses unter Linken gehörten und gehören selbst zur Linken.
Die schärfsten Kritiker:innen des Judenhasses unter Linken gehörten und gehören selbst zur Linken.
Gerade aus der Roten Flora heraus hat man in den vergangenen 15 Jahren immer wieder klar gegen Antisemitismus und Israelhass Stellung bezogen. Zuletzt zeigte sich dies während des G20-Gipfeltreffens 2017, als über dem Gebäude ein Transparent mit der Aufschrift »Gegen jeden Antisemitismus« angebracht wurde. Bis heute ist ein Foto des Transparents in besagten Medien immer wieder zu sehen.
Was nun mit dem Plakat anlässlich des Massakers in Israel geschah, demonstriert die Gegenwart der Gewalt in Wort und Tat, die Antisemitismus heißt. Bereits während es angebracht wurde, wurden die Aktivist:innen dem Vernehmen nach bepöbelt – ähnlich wie es auf fast jeder israelsolidarischen Kundgebung in den vergangenen Wochen der Fall war.
Einige Tage später war statt »Killing Jews« plötzlich »Killing Humans« zu lesen und die Solidarität mit »allen Jüdinnen und Juden weltweit« wurde um »Palästinenserinnen und Palästinenser« sowie um »Gaza« erweitert. Das Ersetzen von »Jews« durch »Humans« demonstriert mindestens Ignoranz und moralische Gleichgültigkeit gegenüber einer Tat, die sich selbst erklärt, bestreitet der Judenhass doch ganz praktisch, dass Juden Menschen seien. Und was sollte Antisemitismus sein, wenn nicht der massenhafte Mord an Juden?
In einem weiteren Schritt wurden noch die Worte »Israel« und »Jüdinnen und Juden« überklebt. Nicht nur das individuelle Leid und der gewaltsame Tod sollen also hinter dem Allgemeinsten verschwinden, sondern selbst die Identität der Opfer, der Name, unter dem sie von den Tätern ermordet und gequält wurden, musste wörtlich ausgelöscht werden.
Dieses Fehlen jedweder Empathie und jeder Reflexion ist Bestandteil des Antisemitismus im 21. Jahrhundert; ebenso wie das entlastende Verleugnen und die projektive Umkehrung: Die Juden mussten den Palästinensern weichen, die Opfer sollen zu Tätern erklärt werden. Die Opfer werden für ihre eigene Verfolgung, für den Hass und die Gewalt, die auf sie gerichtet werden, verantwortlich gemacht.
Gegen den islamistischen, antisemitischen, misogynen Terror hängt über der Roten Flora mittlerweile, nicht ohne weiteres erreichbar, ein weiteres Transparent: »Free the world from Hamas«.