Viele linke Gruppen in den USA verurteilen Israel, nicht den Hamas-Terror

Neue Kluft innerhalb der Linken

In den USA reagieren viele Linke auf den brutalen Terror gegen israelische Zivilisten und die militärische Reaktion Israels mit viel Verständnis – für die Hamas.

Als der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober bekannt wurde, reichten die Reaktionen fast aller großen Palästina-Aktivistengruppen in den USA von freudigem Jubel bis hin zu sofortigen Schuldzuweisungen an Israel, ohne dass die Hamas auch nur andeutungsweise kritisiert wurde. Die Anschläge, bei denen rund 1.400 Israelis ermordet wurden, gaben der Bewegung auch sofort Auftrieb – seitdem hat sie immer größere Märsche veranstaltet. Bei einer Reihe von ihnen haben Redner die Angriffe im Allgemeinen offen gelobt, wobei einige sogar so weit gingen, ausdrücklich die Ermordung von Zivilisten zu begrüßen.

Die ideologischen Hintergründe sind dabei unterschiedlich. Die dogmatisch antiimperialistische Party for Socialism and Liberation sagte, das Massaker sei »eine moralisch und rechtlich legitime Antwort auf die Besatzung«. Sie organisierten eine Kundgebung in New York City am 8. Oktober, gemeinsam mit den Students for Justice in Palestine, die das Hamas-Massaker als »historischen Sieg für den palästinensischen Widerstand« bezeichneten. Die Ortsgruppe der Democratic Socialists of America (DSA) – die größte Gruppe ihrer Art im Land – empfahl die Kundgebung ebenfalls. Nach landesweiter Kritik widerrief sie das jedoch.

Andere DSA-Sektionen waren überschwänglicher, eine nannte den Angriff einen »beispiellosen antikolonialen Kampf«. Die antizionistische Jewish Voice for Peace, die wiederholt wegen Antisemitismus kritisiert worden ist, veröffentlichte im Internet sofort verbale Angriffe auf Israel, ohne das Massaker zu verurteilen, sah sich aber bald gezwungen, dies zurückzunehmen. Die National Lawyers Guild, eine Gruppe von Juristen, die Linke verteidigen, sprach dem palästinensischen »bewaffneten Kampf« ihre Unterstützung aus. Und Black Lives Matter Chicago postete ein Bild eines Fallschirmspringers, um das Massaker zu feiern.

Eine gängige Sichtweise ist, dass die Palästinenser politisch nicht handlungsfähig seien und nur auf Israel reagieren könnten; daher sei letztlich Israel für das Massaker verantwortlich.

Diese Befürwortung der Hamas und ihres Terrors hat glücklicherweise nicht die gesamte Linke erfasst und machte halt vor dem sozialdemokra­tischen Mainstream. Der demokratische Senator Bernie Sanders verur­teilte den »entsetzlichen Anschlag«. Alexandria Ocasio-Cortez, Abgeordnete der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus und das prominenteste Mitglied der DSA, rügte die Verbrechen der Hamas scharf. In Colorado traten mehrere DSA-Stadträte zurück, weil sich ihre Organisation für die Unterstützung der Hamas ausgesprochen hatte.

Aber links davon sind – abgesehen von bestimmten Einzelpersonen – eindeutige Verurteilungen der Hamas immer noch selten. Weniger selten sind oberflächliche Aussagen wie »Zivilisten zu töten, ist immer schlecht«, unmittelbar gefolgt von Anschuldigungen gegen Israel ohne weitere Erwähnung der Hamas und des Terrorangriffs. Selbst diese Distanzierung hat sich im Verlauf des israelischen Beschusses von Gaza abgeschwächt. Einige argumentieren sogar, dass das Sprechen über den Terrorangriff, einschließlich des Verweises auf die Geiseln der Hamas, Wasser auf die Mühlen der israelischen Armee sei. In der Tat gibt es zahlreiche Berichte über antizionistische Aktivisten, die Plakate mit den Bildern der Geiseln abreißen.

Jahrzehntelang hat die Linke Israel wahlweise als imperialistischen oder gar faschistischen Staat denunziert. Seit einigen Jahren hat die US-Linke die Theorie des »Siedlerkolonialismus« und die damit verbundene Idee der »Dekolonisierung« zu ihrer Doktrin gemacht. Linke erkennen fast nie an, dass Israel als jüdischer Staat aufgrund des weltweiten Antisemitismus gegründet wurde, ja noch nicht einmal, dass Juden ursprünglich aus diesem Gebiet stammen; vielmehr wird Israel fast ohne Ausnahme als völkermörde­rischer Siedlerkolonialstaat dargestellt.

Vom »Recht auf Rückkehr« – die für Israel unerfüllbare Forderung, dass sämtliche acht Millionen Nachfahren der Flüchtlinge des Arabisch-Israelischen Kriegs von 1948 das Recht haben sollen, in das Israel innerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949 »zurückzukehren«, wodurch die Juden dort zur Minderheit würden – oder der antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS ist kaum noch die Rede, stattdessen werden zahlreiche Argumente zur Unterstützung der Hamas angeführt. Dazu gehört die ausdrückliche Berufung auf die Theorie des Siedlerkolonialismus, die alle Israelis als »Siedler« abstempelt, die keinen Status als Zivilisten beanspruchen könnten – und sie damit zum Töten freigibt. Das bekannte Argument, dass man »den Unterdrückten« nicht vorschreiben könne, »wie sie sich zu wehren haben«, dient häufig als Freibrief selbst für die schlimmsten Abscheulichkeiten.

Die proislamistische Stimmung, die in den nuller Jahren in der Linken verbreitet war, ist wieder erstarkt. Es heißt, die Hamas sei der »einzige wirksame Widerstand« gegen Israel, auch wenn dieses Argument nach der Bombardierung des Gaza-Streifens an Bedeutung verloren hat. Das Massaker sei nachvollziehbar gewesen, weil es »keine andere Option« gegeben habe und es der »Wille des Volkes« gewesen sei – obwohl der erhoffte Aufstand im Westjordanland ausblieb. Eine gängige Sichtweise ist auch, dass die Palästinenser politisch nicht handlungsfähig seien und nur auf Israel reagieren könnten; daher sei letztlich Israel für das Massaker verantwortlich.

Die DSA-Unterorganisation Libertarian Socialist Caucus hat dieses Argument ausdrücklich vorgebracht. Jede Verurteilung von Islamisten sei eurozentrisch und Ausdruck des weißen Privilegs. Eine Woche nach dem Angriff der Hamas behaupten einige Linke mittlerweile, dieser sei nie von ihnen gerechtfertigt worden. Weitverbreitete Trugbilder über den Konflikt begünstigen all das. Obwohl die Palästinenser im Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit stehen, gelten sie als die am meisten marginalisierte Gruppe der Welt, die dem repressivsten aller Staaten in einem manichäischen Kampf zwischen Gut und Böse gegenüberstehen.

Unvermeidlicherweise hat die Zahl der Todesopfer des Gegenangriffs auf den Gaza-Streifen die des Hamas-Massakers bald übertroffen. Er ist umfassender als die israelische Militär­operation im Gaza-Streifen 2014 in Reaktion auf anhaltenden Raketenbeschuss Israels durch die Hamas, bei der über 2.000 Menschen getötet wurden. Das ist das beliebteste Argument dafür, dass Israel einen Völkermord begehe. Der Vorwurf wird freilich schon seit Jahrzehnten erhoben; anspruchsvollere Aktivisten begründen diese Anklage mit einer so weiten Auslegung einer UN-Definition, dass sie die Unterdrückung fast aller ethnischen oder nationalen Gruppen umfassen könnte.

Aber die Darstellung Israels als Völkermörder wird kaum hinterfragt und verschärft die ohnehin schon schrille Rhetorik noch weiter. Natürlich haben die Äußerungen einiger israelischer Politiker das noch verstärkt. Die Ironie, dass Israel zugleich ethnische Säuberung vorgeworfen wird, weil es versucht, die Menschen im Gaza-Streifen von der Bombardierung weg – und sogar nach Ägypten – zu zwingen, ist den ­Anklägern entgangen.

Die Mitarbeiter des Magazins Jewish Currents, die sich dafür eingesetzt haben, dass der Antizionismus ins Zen­trum der linken jüdischen Identität gerückt wird, und gleichzeitig linken Antisemitismus heruntergespielt haben, gehörten zu denjenigen, die am meisten erschraken.

Ohne mit der Wimper zu zucken, sind die antizionistischen Aktivisten von der Rechtfertigung oder Entschuldigung des Massakers zum Protest gegen den israelischen Angriff auf Gaza übergegangen. Sie sind sich offensichtlich der Kluft nicht bewusst, die sie zu vielen anderen Linken, insbesondere Juden, aufgerissen haben, die langwirkende Folgen haben dürfte.

Die Mitarbeiter des Magazins Jewish Currents, die sich dafür eingesetzt haben, dass der Antizionismus ins Zen­trum der linken jüdischen Identität gerückt wird, und gleichzeitig linken Antisemitismus heruntergespielt haben, gehörten zu denjenigen, die am meisten erschraken, als sie erkannten, dass ihre Genossen die Ermordung von Israelis geradezu mit Luftsprüngen begrüßt hatten. Auch viele andere ­Juden und für Antisemitismus zumindest einigermaßen sensibilisierte Leute, von denen nicht wenige selbst Antizionisten sind, reagierten mit ­Abscheu.

Diese Reaktion wurde noch verstärkt durch das vor allem in den ersten Tagen weitverbreitete Schweigen linker Plattformen, die das Massaker offenbar nicht gutheißen wollten, aber um Worte verlegen waren. Nach einer ­Woche konnten einige Radikale wieder Fuß fassen und Slogans wie »Gegen ­Hamas und Israel« verbreiten. Die Gruppe If Not Now hat sich trotz ihrer dürftigen Erklärung zu Beginn der ­Ereignisse zur wichtigsten Organisation der Szene entwickelt, die das Massaker und die Apologetik der Hamas anprangert. Die Antifa von Atlanta veröffentlichte eine solide Erklärung, in der sie die Hamas und Kriegsverbrechen verurteilte. Andere Antifa-Gruppen haben sich dazu jedoch nicht geäußert.

Die Palästina-Aktivisten haben gezeigt, dass sie alles, was sie bislang Israel vorgeworfen haben – die Ermordung von Kindern, die mutwillige Verletzung des Völkerrechts und Kriegsverbrechen –, ohne zu zögern feiern, sobald es von Palästinensern tatsächlich begangen wird. Was das und das Beharren auf einer Einstaatenlösung ­politisch für den Palästina-Aktivismus bedeutet, wird sich zeigen. Eines ist ­jedoch sicher: Als Folge der Ereignisse hat ein neuer Schub an Antisemitismus unter Linken eingesetzt.