Lars Henrik Gass, künstlerischer Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, im Gespräch über Israelfeinde in der Kulturszene

»Eine Verfallserscheinung linken Denkens«

Am 20. Oktober postete die Facebook-Seite der Oberhausener Kurzfilmtage eine israelsolidarische Erklärung. Der künstlerische Leiter des Festivals, Lars Henrik Gass, rief darin zur Teilnahme an einer Kundgebung des Zentralrats der Juden auf, um zu zeigen, dass »die Neuköllner Hamas-Freunde und Judenhasser in der Minderheit sind«. Die Reaktionen darauf waren heftig. Kurz darauf wurde ein offener Brief veröffentlicht, der wegen des Postings einen Boykott des Festivals forderte sowie Maßnahmen, »um eine verantwortungsvolle Führung in Zukunft sicherzustellen«. Bald hatte der Brief um die 1.800 Unterschriften, viele von Personen aus der internationalen Filmwelt. Die Initiatoren der Kampagne blieben anonym. Die »Jungle World« sprach mit Lars Henrik Gass.
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Wie schätzen Sie den offenen Brief ein?
Die Kampagne bedient sich asymmetrischer Methoden, die sowohl demokratischer Öffentlichkeit als auch dem Rechtsstaat widersprechen: Aus der Anonymität heraus werden Ressentiments bewirtschaftet und Affekte gesteuert, die einen autokratischen Willen durchsetzen sollen. Das ist ein unverkennbar gegenaufklärerisches Projekt, eine Verfallserscheinung linken Denkens.

Warum ist der Hass auf Israel in der Kunst- und Kulturszene so verbreitet?
Der Glaubenssatz vom »Globalen Süden« hat einen antisemitischen Kern: die Projektion auf Israel als den Endgegner, den kapitalistischen Juden – diese Fiktionen begründen eine Gesinnungsgemeinschaft. Deshalb haben entsprechende Kampagnen immer auch eine Funktion nach innen: zu zeigen, wer noch dazugehört. Wir sind schon in einer Art Bürgerkrieg, aber ohne Bürger.

Gibt es Akteure, die hier besonderen Einfluss ausüben?
Leute in hohen Positionen an Hochschulen und im Kulturbetrieb sind in diesem Land für justitiable Hassreden nachweislich verantwortlich, für Aussagen wie: »They will pay a million fold for every drop of blood in GAZA! Palestine shall be free … come rain or shine!« (Der heutige Leiter des Berliner Hauses der Kulturen der Welt, Soh Bejeng Ndikung, postete diesen Satz während des Gaza-Kriegs 2014 auf Facebook, Anm. d. Red.) BDS ist ja nicht die nette Volkstanzgruppe von nebenan, sondern der Zugriff der Hamas auf die Zivilgesellschaften.

Die gesellschaftliche Funktion der Kunst ließe sich gegenwärtig als eine Form der Erlebnispädagogik beschreiben, die ideologischen Vorgaben folgt. Sie waren in den vergangenen Jahren nicht immer auf Linie. So äußerten Sie sich kritisch zu Bestrebungen, Filmförderung an den Kriterien einer woken Identitätspolitik auszurichten. Täuscht der Eindruck, dass Ihre israelsolidarische Stellungnahme dem tonangebenden Milieu willkommenen Anlass bot, Sie endlich abzusägen?
Als Held bin ich ungeeignet, aber ich bin ein Angriffsziel, weil ich mich von diesem Milieu fernhalte. Wir alle haben zu lange geduldet, dass Leute, die Israel am liebsten von der Landkarte tilgen würden, viel zu großen Einfluss im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb erhalten. Das muss endlich aufhören. Ein paar Leute, etwa auch Peter Gorschlüter im Museum Folkwang, widerstehen – und sind nun selbst Ziel von Angriffen.

Für wie echt halten Sie die Empörung der Szene?
Es geht ihnen nur um Meinungshoheit über den Kultur- und Wissenschaftsbetrieb, Skandalisierung abweichender Meinungen sowie Machterhalt und -erweiterung.

Auf die Anschuldigungen reagierten Sie mit einer zweiten, um Deeskalation bemühten Stellungnahme. Die Reaktion darauf war ein weiterer offener Brief, in dem die Vorwürfe nur noch vehementer wiederholt wurden.
Jemand im Ministerium sagte mir vorher: »Vergessen Sie’s, da will niemand reden und verstehen. Die stellen die Machtfrage.« Ich wollte dennoch Leute, die ich mag und mit denen ich vertrauensvoll arbeite, aus der Schusslinie nehmen. Das ist misslungen und macht deutlich, dass es hier nur um Einschüchterung geht, nicht um sinnerfassende Lektüre oder Argumente.