Hunderte geflüchtete Rohingya erreichen derzeit mit dem Boot die indonesische Provinz Aceh

Flüchtlinge nicht willkommen

Etwa 1.000 Rohingya kamen Mitte November innerhalb einer Woche mit dem Boot in der indonesischen Region Aceh an. Die Anwohner empfingen sie eher feindselig.

Jakarta. Jedes Jahr, wenn die Monsunzeit in Bangladesh endet, treten Rohingya aus den Flüchtlingslagern nahe der Grenze zwischen Bangladesh und Myanmar eine riskante Bootsreise in Richtung Malaysia und der benachbarten indonesischen Insel Sumatra an; nicht alle erreichen ihr Ziel lebend. Im November kamen aber fünf Boote mit insgesamt über 1.000 abgemagerten Flüchtlingen an verschiedenen Orten entlang der Küste der westlichsten indonesischen Provinz Aceh, die auf Sumatra liegt, an.

In zwei Fällen haben Dorfbewohner aus Aceh die Boote an den Anlegestellen zurück aufs Meer geschickt. Aufnahmen von BBC Indonesien zeigen, wie in Muara Batu Hunderte von erschöpften Rohingya-Migranten am Strand sitzen, während einige Dorfbewohner Lebensmittel verteilen – und andere sie zugleich unter Androhung von Schlägen auffordern, zu den Booten zurück­zukehren. Ein weiteres Video zeigt, wie Rohingya-Migranten zu ihrem Boot ­zurückgezerrt werden.

Dieses Vorgehen steht im Kontrast zur früheren Aufnahme von Rohingya, die auf traditionellem Seegewohnheitsrecht beruht, das zur Seenotrettung verpflichtet. In den vergangenen zehn Jahren war Aceh die erste Anlaufstelle für die Flüchtlinge, und die dortige Bevölkerung brachte sie auch an Land – manchmal sogar gegen Anweisungen des indonesischen Militärs.

In Bangladesh leben fast eine Million Rohingya in Flüchtlingslagern. Sie waren gezwungen, aus ihrem Herkunftsland Myanmar fliehen, nachdem in dem überwiegend buddhistischen Land das Militär seit August 2017 brutal gegen die muslimische Minderheit vorgegangen war.

Die Feindseligkeit der Dorfbewohner stärkt die Position der indonesischen Behörden, die sich immer entschiedener gegen die Ankunft weiterer Rohingya in Indonesien aussprechen. Dass die Flüchtlingsabwehr den Behörden wichtiger ist als die Rettung von Menschenleben, zeigt eine gemeinsame Operation der Polizei, Marine und der Nationalen Such- und Rettungsbehörde Basarnas, die Dorfbewohner und Fischer unterstützt haben. Statt Menschen in Seenot zu retten, wurden die Patrouillen verstärkt, um ausländische Schiffe in den indonesischen Hoheitsgewässern zu erfassen.

Einige verärgerte Indonesier beklagten sich über die Undankbarkeit früher aufgenommener Rohingya, die aus den Lagern in Aceh weggelaufen waren. ­Andere warnten vor Missverständnissen oder einer Zunahme von Kriminalität. Auch die Verurteilung von drei acehnesischen Fischern als Schleuser, die im Juni 2020 99 Rohingya von einem sinkenden Boot gerettet hatten, schürte negative Gefühle gegen die Flüchtlinge.

In Bangladesh leben fast eine Million Rohingya in Flüchtlingslagern. Sie waren gezwungen, aus ihrem Herkunftsland Myanmar fliehen, nachdem in dem überwiegend buddhistischen Land das Militär seit August 2017 brutal gegen die muslimische Minderheit vorgegangen war. Viele – unter anderem seit 2022 die USA – sprechen von einem Genozid. Im Jahr 2019 reichte Gambia Klage wegen Völkermord gegen Myanmar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein. Deutschland, ­Dänemark, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und Kanada be­absichtigen, sich der Klage anzuschließen. Ein Urteil wird frühestens 2025 ­erwartet.

Zwischen 2012 und 2015 begaben sich circa 112.500 Rohingya mit Hilfe von Schmugglern über die Andamanensee im östlichen Indischen Ozean nach Malaysia. Als regionale Behörden 2015 gegen diese Schleusernetzwerke vorgingen, waren rund 8.000 Rohingya auf ihren Booten ohne Anlaufstelle. Die ­sogenannte Andamanensee-Krise von 2015 wurde gelöst, als Malaysia und Indonesien den Booten erlaubten anzulegen. Durch verstärkte Grenzpatrouillen an der Küste von Bangladesh ging die Zahl der von dort auslaufenden Boote Richtung Südostasien kurzzeitig ­zurück. Die Covid-19-Pandemie sowie Rationskürzungen in den Flüchtlingslagern in Bang­ladesh führten jedoch zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Rohingya, die über den Seeweg nach Indonesien und Malaysia fliehen, wo ­jedoch die Boote immer häufiger zurückgewiesen werden.

Indonesien ist als Unterzeichner des UN-Seerechtsübereinkommens und anderer internationaler Gesetze dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten.

Muhamad Iqbal, Sprecher des indonesischen Außenministeriums, machte für die dennoch eintreffenden Boote Schleppernetzwerke verantwortlich, »die nun die Freundlichkeit Indonesiens missbrauchen und finanziellen ­Gewinn aus den Flüchtlingen ziehen wollen, ohne sich um die hohen Risiken zu kümmern, denen sie die Flüchtlinge aussetzen«. Rettungen auf See mit der grenzüberschreitenden Kriminalität des Menschenschmuggels in Verbindung zu bringen, gefährdet die Leben der Bootsflüchtlinge, die in Seenot geraten. Die jüngste Ankunft hat die Debatte über Indonesiens Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen neu entfacht. Iqbal behauptet, dass ­Indonesien als Nichtunterzeichner der Flüchtlingskonvention von 1951 und des dazugehörigen Protokolls von 1967 »keine Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen« habe. Allerdings ist Indonesien als Unterzeichner des UN-Seerechtsübereinkommens und anderer internationaler Gesetze dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten.

Die indonesische Präsidialverordnung Nr. 125 von 2016 gibt der Regierung ausdrücklich die Befugnis zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen. Basarnas koordiniert solche Rettungen und wird dabei von Marine, Polizei und anderen Behörden unterstützt. Iptu Zainurrusydi von der Seepolizei sagte, dass sie »natürlich Maßnahmen gemäß den geltenden Vorschriften ergreifen«, doch scheint ein Mangel an staatlicher Rechenschaftspflicht zu bestehen. Obwohl es keine Bestätigungen seitens der indonesischen Regierung gibt, dass derzeit Pushbacks stattfinden, befürchten viele Beobachter, dass Indonesien der Abschreckungspolitik Malaysias und Thailands folgt, die seit Jahren recht unverhohlen die Abweisungen auf See zugeben.

In Indonesien sind im Februar 2024 Wahlen anberaumt; so besteht die Gefahr, dass Angst um die »nationale Sicherheit« und vor Flüchtlingen geschürt wird. Verteidigungsminister Prabowo Subianto, der für die Präsidentschaft kandidiert, zeigte Verständnis für die Rohingya, betonte jedoch die Herausforderungen bei der Aufnahme und deren Auswirkungen auf die indonesische Wirtschaft.

Derzeit wird debattiert, gestrandete Rohingya auf eine abgelegene Insel zu verlegen, um Konflikte mit den Einheimischen zu vermeiden. Ein solches Vorhaben hat Bangladesh bereits auf der Insel Bhasan Char im Golf von Bengalen verwirklicht: Über 30.000 Rohingya sitzen dort fest und leben ohne angemessene medizinische Versorgung, Bildung und grundlegende Freiheiten in Angst vor Stürmen und Überschwemmungen. Derweil hat die Saison für Überfahrten gerade erst begonnen hat; wahrscheinlich werden also in den kommenden Wochen noch mehr Rohingya in Indonesien und Malaysia anlanden.