Rechtsextreme im Box- und Kampfsport

Nazis boxen

Rechtsextreme Hooligans nutzten mehr als ein Jahr lang unerkannt eine Sportstätte des SV Motor Babelsberg.

Körperliche Ertüchtigung, ganz speziell der stilisierte Kampf Mann gegen Mann, ist in der rechtsextremen Szene äußerst beliebt; zumal sich hier das Selbstbild und die öffentliche Selbstdarstellung wie in kaum einem anderen Sportgenre vermischen. Sich soldatische Tugenden anzuerziehen, soll bei den alltäglichen Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern behilflich sein und dient gleichzeitig der Vorbereitung auf einen »Tag X«, von dem die Szene schon seit Jahren träumt.

Denn an diesem imaginierten Tag der Machtergreifung soll, so fabulieren Rechte auf X und anderen Social-Media-Plattformen ganz offen, blutige Rache an den politischen Gegnern genommen werden: Darauf bereitet man sich schon jetzt vor. Viele Rechtsextreme trainieren zu diesem Zwecke in offiziellen Vereinen oder Studios, manchmal werden sie auch als Trainer engagiert.

Jüngstes Beispiel dafür ist der Fall SV Motor Babelsberg. Ende Dezember wurde im Rahmen einer antifaschistischen Recherche der Gruppe Exif über ein Netzwerk von Neonazis, organisierter Kriminalität und Hooliganismus bekannt, dass organisierte Rechtsextremisten seit 2022 in einer Sportstätte des Vereins in Potsdam trainieren konnten. Genutzt wurde eine Sporthalle im Babelsberger Konsumhof, die der Exif-Recherche zufolge »nicht nur mit zahl­reichen Fitnessgeräten bestückt, sondern vor allem mit zwei neuwertigen Box-Ringen ausgestattet ist«. Als Trainer fungierte ein Hooligan des Berliner Fußballvereins BFC Dynamo, der der Gruppe der Alt-Hools zugerechnet wird.

Der Betreiber des Cross­fire Gym in Wismar gehörte in den neunziger Jahren zur rechten Hooliganszene und hat auf seinem Hals das Symbol der Leibstandarte Adolf Hitler tätowiert.

Nach Angaben des Recherchekollektivs machte der Alt-Hool seit dem Frühjahr 2022 die frisch sa­nierten Trainingsräume des Sportvereins »zum Anlaufpunkt der rechten Hooliganszene des BFC Dynamo«. An den Trainingseinheiten hätten sich »um die 30, mal nur fünf, dann wieder rund fünfzehn Personen« be­teiligt. Der Vereinsvorsitzende von Motor Babelsberg, Daniel Keller, der auch Vorsitzender der Landtagsfraktion der SPD in Brandenburg ist, hatte auf einem Foto die von seinem Verein genutzten Räume wiedererkannt. In einer Stellungnahme räumte der verantwortliche Trainings­leiter ein, dass er den Hooligans und Neonazis die Räumlichkeiten überlassen hatte. Zwei Tage nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe entließ der Verein den Boxtrainer.

Außerdem, so hieß es weiter, hätten die Abteilungsleitung Boxen und der Vereinsvorstand gemeinsam entschieden, die Trainingsgruppe zu schließen.
»Wir akzeptieren nicht, dass unbekannte Personen, die nicht Mitglied im Verein sind und nicht die Werte des SV Motor Babelsberg mittragen, in unseren Sporträumlichkeiten trainieren«, teilte der Potsdamer Sportclub mit. Man habe eine »Nulltoleranz-Politik gegenüber rechtsradikalen Strömungen oder Organisationen« und werde »rechtliche Wege nutzen«, um sich »gegen eine Un­terwanderung oder Vereinnahmung einzelner Sportgruppen durch Gruppierungen aus der rechten Hooliganszene zur Wehr zu setzen«.

Die von Exif aufgeführten Verflechtungen personeller und organisatorischer Art lassen darauf schließen, dass es in den vergangenen Jahren wieder vermehrt zu einer Zusammenarbeit zwischen rechtsex­tremen Rockern, Kleinkriminellen und organisierten Neonazis gekommen ist, deren Kontakte bis weit in die Treffpunkte und Clubhäuser des Hells Angels MC und des Gremium MC reichen. Besonders hilfreich für diese Kooperation ist die Tatsache, dass einige Mitglieder dieser Rockergruppierungen in ihrer Jugend in rechtsextremen Kreisen verkehrten. Deshalb können organisierte Neo­nazis heutzutage auch auf Fitnessstudios zurückgreifen, die unter der Kontrolle von Motorradclubs stehen.

In Wismar wurde mit dem Cross­fire Gym eine solche Anlaufstelle etabliert. Der Betreiber gehörte in den neunziger Jahren zur rechten Hooliganszene und hat auf seinem Hals das Symbol der Leibstandarte Adolf Hitler tätowiert. Das Studio wurde im Sommer 2023 als Kulisse für ein Musikvideo des ehemaligen Sängers der rechtsextremen Band Kategorie C, Hannes Ostendorf, genutzt. Der Titel des Songs: »KDN«. Gewidmet ist er dem neonazistischen Kampfsportnetzwerk »Kampf der Nibelungen«, welches im vorigen Jahr sein zehnjähriges Bestehen feierte. In dem Video tritt der Betreiber, der bis 2022 noch Profiboxer im Schwergewicht war, selbst als Statist auf.

Im Dezember 2022 berichtete das Nachrichtenportal Belltower News über eine »Benefiz Fight Night« in Güstrow mit dem Motto »Güstrows Bürger kämpfen für Güstrows Kinder«. Organisiert wurde das Event vom Allround Sport Gym, das Fi­lialen in Stralsund, Güstrow und Rostock betreibt. Mehrere Personen mit Bezug zur rechtsextremistischen Szene standen bei der Veranstaltung im Ring. Ein Teilnehmer der »Fight Night« trat für den von Sebastian Kairies gegründeten Verein »Tätowierte gegen Krebs« an. Kairies, einst in der Kameradschaft Werwölfe Wismar aktiv, war ein führendes Mitglied im Club Schwarze Schar und später bei den Hells Angels Rostock organisiert.

Die Aufdeckung rechtsextremer Viten ist gerade im Box- und Kampfsport eine wahre Sisyphusarbeit.

Im Publikum fand sich, so Bell­tower News, »genug Material für einen rechten Modekatalog«, es gab »von Klassikern wie dem verbotenen Landser-Bandshirt oder Thor-Steinar-Klamotten mit dem alten, ebenfalls verbotenen Logo bis zu Shirts der lokalen Neonaziband ›Painful Awakening‹ alles zu sehen«. Auch zahlreiche Neonazis aus dem Umfeld der Kleinstpartei »Neue Stärke Partei« sowie der Kameradschaft ­Aktionsblog hätten das Event besucht.

Christian Bürki, der Veranstalter der »Benefiz Fight Night«, sagte dem NDR, er habe direkt nach der Box­nacht zwei jener Boxer mit Neonazi-Hintergrund konfrontiert: »Wir hatten ihnen fälschlicherweise vertraut und sie in der Konsequenz direkt aus den jeweiligen Vereinen und natürlich auch vom Wettkampfbetrieb ausgeschlossen.« Bürki ist auch Vorsitzender des Allround Sport Gym in Rostock.

Ein dritter Faustkämpfer, der sich an rechtsextremen Demonstrationen beteiligt hatte, soll aber voraussichtlich im Ring bleiben. Man habe mit ihm und seiner Familie gesprochen und sei überzeugt davon, dass »er diese Phase hinter sich gelassen« habe und nun »neu anfangen« wolle, so Bürki weiter. Die Aufdeckung rechtsextremer Viten ist gerade im Box- und Kampfsport eine wahre ­Sisyphusarbeit. So konnte der Neonazi-Kader Andrew Stelter jahrelang ungestört im Boxclub Strausberg als Trainer fungieren. In den zuständigen Verbänden und Strukturen wird viel zu wenig Präventionsarbeit geleistet, man duckt sich weg und hofft darauf, dass das Thema in der Öffentlichkeit letztlich niemand interessiert. Bisher ist diese Strategie ­aufgegangen.