Mit Swing gegen Rechte

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Auf der Demo gegen rechts

»Ganz Berlin hasst die AfD«, schreit ein etwa sechsjähriges Mädchen neben mir. An der einen Hand hält es die Hand der Mutter, in der anderen Hand ein Schild, auf dem »FCK AFD« steht.

Von der Bühne vor dem Kanzleramt brüllt entfernt eine Stimme. Kurz darauf donnert zehntausendfacher Beifall. »Zum Glück sind das die richtigen Leute«, sage ich zu Schellackplattensammler, DJ und Swing-Experte Stefan Wuthe, »sonst würde ich Angst haben!« Ich habe ein Schild gemalt, auf dem steht: »Swing Out gegen Rechts«.

»Ich wollte ein Schild machen mit dem Zitat von Coco Schumann. ›Wer den Swing in sich hat, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren‹, aber das war leider zu lang«, sagt Stefan. Stefans Freund meint: »Zum letzten Mal waren hier so viele Leute, als es hieß: ›Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!‹«

Wir sind eine Gruppe von Swingtänzer:innen, die tanzend gegen rechts demonstrieren, ein fröhliches Minispektakel, das von anderen Demonstrierenden amüsiert fotografiert und gefilmt wird. Praktischerweise können wir uns so auch ein wenig aufwärmen.

Es ist eine Demonstration eher zum Stehen als zum Laufen. Weil so viele Leute gekommen sind, hält der Zug schon nach wenigen Hundert Metern an, und so bleibt es auch für die nächsten zwei Stunden. Ich friere. Wir sind eine Gruppe von Swingtänzer:innen, die tanzend gegen rechts demonstrieren, ein fröhliches Minispektakel, das von anderen Demonstrierenden amüsiert fotografiert und gefilmt wird. Praktischerweise können wir uns so auch ein wenig aufwärmen.

Die Berliner Swingtanzszene ist mehrheitlich links. Aber in der Pandemie haben sich auch Leute mit weniger progressiven Haltungen gezeigt. Coronaleugner:innen und Maß­nah­mengegner:innen spalteten sich ab und tanzten während der Pandemie. Viele kamen nach dem Ende nicht zurück. Manche, die damals mit den Leugnern tanzten, aber sich nicht dazu äußerten, mischten sich klammheimlich wieder unter die Mehrheit. Andere blieben in ihren reaktionären Tanzgrüppchen oder suchten sich ein anderes Hobby.

Auf der Demo am Sonntag sah ich zumindest einen Tänzer, der sich damals als Maßnahmengegner mit vielen Leuten gestritten hatte. Ich sprach ihn nicht an. Und in der Villa Neukölln sah ich unlängst einen anderen, der sich vor drei Jahren als Leugner gemobbt fühlte und daraufhin demonstrativ aus der damals inaktiven Tanzszene verabschiedet hatte. Auch ihn ignorierte ich.

Vor der Pandemie unterhielten wir uns gelegentlich und ich war freundlich. Aber schon damals kam er mir körperlich immer zu nah und sprach zu laut. Ein großer, massiger Mann, Mitte 40, Ostberliner, der Typ, der sich gern bei mir, dem kleineren Mann, auf der Schulter aufstützt.

Mit dieser Macke, die auch der junge Hitler hatte: ein zu großes Bild von sich selbst, aber zu wenig Anerkennung. An der fehlenden Anerkennung muss irgendwer schuld sein, jedenfalls nicht er selbst. Also sind die anderen alle Idioten. Vielleicht haben alle von der AfD diese Kollektivneurose? Mich hat seine dominierende Art schon damals gestört.

Unzählige Leute mit selbstgemalten Schildern zogen an mir vorbei. Mich beschlich das Gefühl, dass die vielen Slogans komplett unwirksam sind.

Aber um im Gespräch zu bleiben, weil das Nähe herstellt und Verständnis, und auch weil ich spürte, dass er bei mir eigentlich nur gut ankommen wollte, blieb ich immer freundlich. Jetzt, nach der Pandemie, habe ich irgendwie keine Lust mehr dazu. Es ist zu anstrengend. Obwohl es vielleicht gerade jetzt umso wichtiger wäre. Aber irgendwie will niemand diesen Job machen.

Es ist ja auch tatsächlich Arbeit, also die von Sozial­arbei­te­r:in­nen, ein offenes Ohr zu haben. Oder auf Menschen mit leichten oder schwereren sozialen Macken zuzugehen und zu versuchen, diese zu verstehen, zu überwinden und aufzulösen. Im gemeinsamen Tanz ist das auch oft möglich. Ohne Worte und nur begleitet von Musik.

Dann wurde es mir trotz Tanz doch zu kalt. Meine Füße spürte ich kaum mehr. Ich verabschiedete mich und ging zu meinem Fahrrad. Unzählige Leute mit selbstgemalten Schildern zogen an mir vorbei. Mich beschlich das Gefühl, dass die vielen Slogans komplett unwirksam sind. Wir haben sie für uns selbst auf die Pappe geschrieben, um uns zu bestärken, auf der guten Seite zu stehen. Selbstverständlich, mit den richtigen Faschisten braucht man nicht zu reden. Um die müssen sich letztendlich Polizei und Justiz kümmern. Aber die anderen erreicht man nur, wenn man im Gespräch bleibt. Auch wenn sich dann gelegentlich einer aufstützt.