Die Demos gegen rechts und ihr blinder Fleck

Deutschland trötet

Das Medium. Es ist gut, wenn Hundert­tausende gegen Rechtsextremismus demonstrieren. Unbehagen macht jedoch, dass Juden und Jüdinnen nicht überall in den Aufzählungen der durch Nazis bedrohten Min­derheiten vorkamen.
Kolumne Von

Nun isser vorbei, der Winter, jedenfalls in dieser Woche, und rund eine halbe Stunde ist es auch schon ­länger hell als zu Zeiten der großen Finsternis am Jahresende. Das ist durchaus begeisternd, aber die ganz große, so­zusagen exorbitante ­Begeisterung gilt derzeit nicht den Wetterfortschritten, sondern der massenhaften Gutheit.

Und da fängt das Problem auch schon an: Selbstverständlich ist es gut, wenn insgesamt Hundert­tausende, wie am Wochenende, gegen Nazis demonstrieren, und natürlich ist es auch schön, wenn die rechten »Wir sind das Volk«-Blöker pikiert und zutiefst beleidigt versuchen, Social-Media-Plattformen mit plumpen Bildfälschungen und Fake-Zitaten zu überziehen, weil, egal wie schnell Faktenchecks die Wahrheit feststellen, die eigenen Leute glauben den Quatsch halt. Und ja, dass sich in manchen ostzonalen Städtchen so viele Leute trauen, gegen AfD und Co. auf die Straße zu gehen, ist richtig, richtig gut.

Vielleicht wollte man sich die schöne Stimmung und vor allem die tolle Einigkeit nicht dadurch verderben lassen, auch gleich gegen Antisemitismus aufzutreten, vielleicht wurde es auch einfach nur vergessen, ­Judenhass zu erwähnen.

Bleibt trotzdem ein gewisses Unbehagen, vor allem beim Betrachten der Livestreams der Kundgebungen. Mancherorts wirkte die ganze Sache nämlich so, als ob die Demonstrierenden mit großer Begeisterung auch in einschlägige Slogans wie »Kindermörder Israel« oder »From the river to the sea« eingefallen wären, wenn sie nur von der Bühne aus oder übers Megaphon von der Kundgebungsleitung angestimmt worden wären.

Zumal Juden und Jüdinnen nicht überall in den Aufzählungen der durch Nazis bedrohten Min­derheiten vorkamen, wofür es sicher Gründe gibt, aber die scheinen niemanden weiter zu interessieren. Vielleicht wollte man sich die schöne Stimmung und vor allem die tolle Einigkeit nicht dadurch verderben lassen, auch gleich gegen Antisemitismus aufzutreten, vielleicht wurde es auch einfach nur vergessen, ­Judenhass zu erwähnen, vielleicht, vielleicht, man weiß es nicht.

Jedenfalls, jetzt hat Deutschland sozusagen sein Wintermärchen und alles ist ganz großartig und man war so zahlenstark und alle sind begeistert und schön gesungen wurde auch und 2024 wird Deutschland Fuß­balleuropameister, tröööööööt.