Die Drogenkrise könnte im US-Präsidentschaftswahlkampf wichtig werden

Wahlkampfschlager Drogensumpf

Enthüllungen über Wahlkampfhilfe eines Drogenkartells für den mexikanischen Präsidenten López Obrador belasten die Beziehungen zu den USA. Angesichts der Drogenkrise in den USA fordern Politiker der Republikanischen Partei bereits einen US-Militäreinsatz gegen Drogenhändler in Mexiko.

Die Nachricht platzte mitten in den mexikanischen Wahlkampf: Präsident Andrés Manuel López Obrador steht im Verdacht, in der Vergangenheit von einem Drogenkartell unterstützt worden zu sein. Ein Recherchenetzwerk, an dem die gemeinnützige US-amerikanische Organisation Propublica und die Deutsche Welle beteiligt sind, hatte öffentlich gemacht, dass die US-ameri­kanischen Behörden in den Jahren 2011 und 2012 dem Verdacht nachgingen, dass der Linkspopulist López Obrador im Präsidentschaftswahlkampf 2006 eine Millionenspende der zum Sinaloa-Kartell gehörenden Beltrán-Leyva-­Organisation erhalten habe.

Für den mexikanischen Präsidenten kommt dieser Skandal zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn Anfang Juni finden Wahlen statt. Weil die Journalisten offenbar auf interne Quellen bei der US-amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA zugreifen konnten, droht López Obrador nun mit dem Ende der Zusammenarbeit mit den USA beim Kampf gegen Drogenkriminalität: »Wie können wir uns an einen Tisch setzen und über den Kampf gegen Drogen sprechen, wenn ihre Behörden Informationen durchsickern lassen, um mir zu schaden?«

Sollte er seine Drohung wahrmachen, wäre das ein schwerer Rückschlag für die Drogenpolitik von US-Präsident Joe Biden. Dieser stützt sich im Kampf gegen den Schmuggel in hohem Maß auf Kooperation mit Mexiko, wo größere Produktionsanlagen des Opioids Fentanyl vermutet werden, das sich derzeit in den USA stark verbreitet. Noch im ­vergangenen April hatten sich die zwei Länder auf Drängen der USA darauf ­geeinigt, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu gründen, um an der Grenze koordiniert gegen Schmuggler vorzugehen.

Schon jetzt steht die Grenze zu Mexiko im Zentrum des US-Präsidentschaftswahlkampfs, nachdem sich jüngst die Zahl der Grenzübertritte deutlich erhöht hatte.

Im Gegenzug hatten die US-amerika­nische Regierung Schritte angekündigt, um den illegalen Verkauf von Schusswaffen nach Mexiko zu unterbinden. Zugleich kündigte Biden Sanktionen gegen Kartellangehörige und fünf chinesische Firmen an, die unter Verdacht stehen, Rohmaterialien für Fentanyl an die Kartelle zu liefern.

Sollte Biden keine Erfolge vorzuweisen haben, könnte ihm das Thema im Wahlkampf gefährlich werden. Schon jetzt steht die Grenze zu Mexiko im Zentrum des US-Präsidentschaftswahlkampfs, nachdem sich jüngst die Zahl der Grenzübertritte deutlich erhöht hatte. Die Republikanische Partei und ihr wahrscheinlicher Präsidentschaftskandidat Donald Trump nutzen das Thema der Grenzübertritte und die Drogenkriminalität, um Biden anzugreifen. Von der Opioidkrise sind zudem mehrere der für den Wahlausgang ent­scheidenden swing states besonders betroffen. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Tode durch Überdosis in den USA mit über 112.000 einen neuen Höchststand.

Während Bidens Strategie einer vertieften Zusammenarbeit mit Mexiko zu scheitern droht, profiliert sich die politische Konkurrenz mit martialischen Forderungen: Die Kartelle müssten als Terrororganisationen eingestuft werden, denen das Verteidigungsministerium dann »maximalen Schaden« zufügen solle – und zwar auf beiden Seite der Grenze, tönte Trump auf seiner Internetpräsenz. Für Drogenschmuggler solle die Todesstrafe eingeführt werden.

Noch weiter ging Ron DeSantis. Der republikanische Gouverneur Floridas ist zwar aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur ausgestiegen, Trump selbst hat ihn aber als möglichen Vizepräsidenten ins Spiel gebracht. DeSantis fordert einen »­Militäreinsatz« in Mexiko und will Grenzschützer ­ermutigen, Grenzgänger bei dem Verdacht, dass sie Drogen schmuggeln, zu ­erschießen.

In den USA hat sich der Anteil der Drogentode an den Sterbefällen in den vergangenen 20 Jahren gut vervierfacht. Eine Überdosis ist für die Gruppe der 18- bis 45jährigen nun die häufigste Todesursache.

In Mexiko sieht man sich für das Problem nicht zuständig. Die US-Drogenkrise sei auf »sozialen Verfall«, das Auseinanderbrechen von Familien und zu viel Individualismus zurückzuführen, sagte Präsident López Obrador im März vergangenen Jahres. »Warum wird das Problem nicht dort bekämpft?« meinte er. Damit trifft er durchaus ­einen wunden Punkt: Die Produktion von Fentanyl mag zwar im Ausland stattfinden, aber sie befriedigt eine gewaltige Nachfrage in den USA. Die in den vergangenen Jahren stark angestiegene Verbreitung von Fentanyl wird dort als die dritte Welle einer seit den neunziger Jahren anhaltenden Opioidkrise bezeichnet.

Zwar hat auch in Europa der Missbrauch von Opioiden, also in ihrer Wirkung Opium ähnelnden Wirkstoffen, zugenommen, allerdings nur in vergleichsweise geringem Maß. In den USA hat sich der Anteil der Drogentode an den Sterbefällen in den vergangenen 20 Jahren gut vervierfacht. Eine Überdosis ist für die Gruppe der 18- bis 45jährigen nun die häufigste Todesursache. Selbst während des Beginns der Covid-19-Pandemie, als die Zahl der Drogen­toten weltweit erheblich sank, stieg sie in den USA weiter.

Ganze Straßenzüge werde vom offenen Konsum bestimmt. Vor allem die Großstädte Philadelphia, Portland und San Francisco werden in Schockreportagen konservativer Fernsehsender als abschreckende Beispiele für eine liberale Drogenpolitik präsentiert. In allen diesen Städten wird der Besitz kleinerer Mengen harter Drogen nicht strafrechtlich verfolgt. Die erhofften posi­tiven Effekte dieser Politik sind bislang ausgeblieben. Allein auf der Kensington Avenue, der offenen Drogenszene in Philadelphia, sind 2022 900 Menschen an einer Überdosis verstorben.

Das extrem potente Fentanyl – einst ein Mittel gegen extreme Schmerzen von Krebskranken – hat in den USA Heroin weitgehend verdrängt.

Die einseitige Politisierung durch die Republikaner wird der Sache allerdings kaum gerecht: Tatsächlich sind relativ zur Bevölkerungszahl ländliche und konservative Bundesstaaten wie West Virginia oder Tennessee am stärksten von der steigenden Zahl von Überdosierungen betroffen. Hier sind die Kontinuitäten der bereits seit etwa 30 Jahren anhaltenden Opioidkrise am deutlichsten zu erkennen: In den von harter körperlicher Arbeit dominierten Wirtschaftsräumen wurden Opioide als Schmerzmittel schon früh aggressiv vermarktet, dabei wurde das Suchtrisiko heruntergespielt.

Die Schmerztabletten verbreiteten sich schnell auch als Rauschmittel und waren für viele der Einstieg in die Opioidabhängigkeit. Seit die Ärzte Schmerzmittel wie Oxycodon wieder zurückhaltender verschreiben, sind viele der Süchtigen auf illegale Drogen umgestiegen. Das extrem potente Fentanyl – einst ein Mittel gegen extreme Schmerzen von Krebskranken – hat Heroin dabei weitgehend verdrängt. Hinzu kommt, dass zahlreiche kriminelle Organisationen in das Fentanylgeschäft eingestiegen sind, seit Cannabis in zahlreichen US-Staaten legalisiert wurde.

Eine echte Lösung kann keine der beiden Parteien anbieten. Biden hatte jüngst angekündigt, die Mittel für Be­ratungsstellen und medizinische Forschung zu erhöhen. Viele Leben hat wohl eine Entscheidung gerettet: Seit vergangenem Jahr ist Opioid-Anta­gonist Naloxon unter dem Handelsnamen Narcan rezeptfrei erhältlich. Das als Nasenspray verkaufte Mittel hilft effektiv bei einer Überdosis. Für manche ist das Medikament eine lohnende Einnahmequelle: In den Kiosken an der Kensington Avenue in Philadelphia kostet ein Narcan-Spray 150 US-Dollar.