Hetze an der Küste
Rund 950 Menschen versammelten sich am Samstag auf dem Clara-Zetkin-Platz im beschaulichen Neukloster, um gegen die geplante Unterbringung von Flüchtlingen zu demonstrieren. Das meldete die Polizeiinspektion Wismar. »Kein Asyl-Camp in Neukloster. Aufnahmestopp sofort!« war unter anderem auf den mitgebrachten Schildern zu lesen. Die Ordnungsbehörden sprachen von einem »grundsätzlich störungsfreien« Verlauf, obwohl »es vereinzelt zum Zünden von Pyrotechnik« kam. An einer Gegenkundgebung nahmen nach Angaben der Polizei 90 Personen teil.
Die nordwestmecklenburgische Landstadt Neukloster ist Teil der Metropolregion Hamburg, sie ist 45 Kilometer von Rostock und etwa 20 Kilometer von Wismar entfernt. Der Ort hat etwas über 4 000 Einwohner, entsprechend stark fällt es ins Gewicht, wenn fast 1 000 Menschen dagegen protestieren, Geflüchteten vorübergehend Obdach zu gewähren. Die Versammlung war zudem kein Einzelfall. Im gesamten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wird gegen die Unterbringung von Flüchtlingen protestiert.
»Die Lage ist sehr angespannt«, berichtet Robert Schiedewitz von der Landesweiten Opferberatung Beistand und Information für Betroffene von rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern (Lobbi). Die Haltung der kommunalpolitisch Verantwortlichen zu den Protesten sendet aus seiner Sicht völlig falsche Signale und »könnte im Endeffekt dazu dienen, rechte Gewalttäter:innen zu ermutigen – genau wie wir es 2015 schon erlebt haben«. Im Gespräch mit der Jungle World verweist Schiedewitz auf vier Stufen der Eskalation: »Erst die Hetze, dann die fehlende Haltung der Politik, dann die Proteste auf der Straße und letztlich die rassistische Gewalt.«
In der Gemeinde Upahl, ebenfalls im Landkreis Nordwestmecklenburg gelegen, fand am Wochenende eine weitere Versammlung statt, die sich gegen den Zuzug von Flüchtlingen richtete. Hier demonstrierten der Polizei zufolge 435 Menschen gegen die Errichtung eines Containerdorfs, obwohl am Vortag das Verwaltungsgericht Schwerin eine einstweilige Anordnung erlassen hatte, dass der Landkreis dieses erst errichten darf, wenn eine unter Beteiligung der Gemeinde erteilte Baugenehmigung vorliegt. Im Dorf Upahl leben 500 Einwohner.
Ende Januar befanden sich 685 Menschen im Asylverfahren in Nordwestmecklenburg. Landrat Tino Schomann (CDU) begründet die Wohnraumknappheit für Flüchtlinge mit Versäumnissen in der Vergangenheit. »Da wurde auch gepennt«, sagte Schomann im Kreistag. Im Landkreis seien in den vergangenen Jahren zu wenige Unterkünfte geschaffen worden, so der CDU-Politiker weiter, der damit auf seine Vorgängerin im Amt, Kerstin Weiss (SPD), verwies. »Die politischen Verantwortlichen haben die Situation zu lange ausgesessen und dann auch noch handwerklich Fehler gemacht«, versucht Schiedewitz die Situation zu erklären. Es wurde weder rechtzeitig nach Lösungen gesucht, noch trat der Kreis, wie es rechtlich notwendig ist, mit den Gemeinden in Austausch.
»Erst die Hetze, dann die fehlende Haltung der Politik, dann die Proteste auf der Straße und letztlich die rassistische Gewalt.«
Robert Schiedewitz, Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt
Das Unterbringungsproblem sorgt nun landesweit für Unmut. In Greifswald eskalierte Ende Februar ein Protest. In der Kreisstadt des Landkreises Vorpommern-Greifswald versammelten sich 500 Personen zu einer nicht angemeldeten Demonstration in unmittelbarer Umgebung einer geplanten Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete.
Zur gleichen Zeit fand in einer nahegelegenen Schule eine Sitzung der Ortsteilvertreter statt, an der auch der Greifswalder Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Bündnis 90/Die Grünen) teilnahm. Als Fassbinder das Schulgebäude verließ, versuchten der Polizei zufolge mehrere Demonstranten, ihn anzugehen. Mit einer Kette aus Beamten musste der Kommunalpolitiker vor den aggressiven Versammlungsteilnehmern geschützt werden. Um Fassbinder unbehelligt von der Sitzung wegzueskortieren, setzten die Polizisten körperliche Gewalt ein.
Bereits zuvor waren in den sozialen Medien Aufrufe zu einer Versammlung vor Fassbinders Haus aufgetaucht. Der Druck auf die Kommunalpolitiker nimmt immer weiter zu. Einen Grund dafür sieht Schiedewitz in der schlechten Vorbereitung. »Man hat eine Lösung übers Knie gebrochen, die eigentlich für niemanden gut sein kann – insbesondere nicht für die Menschen, die in der Unterkunft letztendlich leben müssen, was häufig vergessen wird.« Deshalb fordert er grundsätzlich ein Konzept für dezentrale Unterbringung, so dass große Gemeinschaftsunterkünfte oder gar Container allerhöchstens eine Übergangslösung darstellen.Gerade in strukturschwachen Regionen, und dort besonders in Dörfern, sei das dringend notwendig.
Jedoch könne, wie Schiedewitz der Jungle World sagte, »die Planlosigkeit, mit der die politisch Verantwortlichen in Teilen zu agieren scheinen«, keine Ausrede dafür sein, rassistische Proteste auf die leichte Schulter zu nehmen. »Wer Rassismus zur Sorge verharmlost und einem Mob, der sich selbst ermächtigt, die von einer unfähigen Politik hinterlassene Lücke füllen zu wollen, Verständnis entgegenbringt, nimmt zukünftige Gewalttaten in Kauf und hat diese letztlich auch mitzuverantworten.«