Die britische Regierung will sich an der brachialen Abschottungspolitik in »Down under« orientieren

Vorbild Australien

Großbritannien eifert Australiens Asylpolitik nach. Doch die taugt nicht zur Nachahmung.
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Immer wieder schauen europäische und britische Politikerinnen nach Australien, da es dem Land gelungen zu sein scheint, die Anlandungen ungewollter Bootsflüchtlinge weitgehend zu unterbinden. Australiens zweifelhafter Erfolg gründet auf drei Maßnahmen, deren Legalität umstritten ist. Erstens werden jene, die ohne Genehmigung nach Australien gelangen, in gefängnisähnlichen Lagern inhaftiert (mandatory detention). Zweitens wird versucht, Flüchtlinge, die das Land per Boot ansteuern, auf hoher See abzufangen, in welchem Falls sie in die – selten sicheren – Länder zurückgeschickt werden, aus denen sie losgefahren sind. Sollte das nicht möglich sein, werden die Bootsflüchtlinge, drittens, auf den pazifischen Inseln Nauru oder Manus für unbestimmte Zeit festgehalten (offshore ­detention). Es kostet umgerechnet rund 350 000 Euro pro Jahr, eine einzige Person dort unterzubringen.

Obwohl Australien lange Zeit versuchte, die Berichterstattung über die Zustände auf Manus und Nauru zu unterbinden, sind Details und Augenzeugenberichte über Menschenrechtsverletzungen und Todesfälle an die Öffentlichkeit gelangt. Behrouz Boochani, ein kurdischer Journalist und ein ehemaliger Insasse der Lager, verglich die grausame und erniedrigende Behandlung dort mit »mentaler Folter«.

Von einigen abgefangenen Bootsflüchtlingen, die nach Vietnam oder Sri Lanka zurückgebrachten wurden, ist bekannt, dass sie von dortigen Behördenvertretern nach ihrer Rückkehr misshandelt und bestraft wurden. Indonesien hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet und sieht sich daher nicht verpflichtet, in das Land abgeschobene Flüchtlinge zu integrieren. Sie dürfen zwar im Land bleiben, aber keiner Arbeit nachgehen. Auch ein Anrecht auf staatliche Bildung war bis 2019 nicht vorgesehen und Gesundheitsfürsorge bleibt nach wie vor sporadisch.

Ehemalige australische Grenzbeamte und Minister verdingen sich in Großbritannien als Berater der Regierung Sunak.

Ginge es nach populistischen Politikern, dann sollte das britische Recht nach dem Vorbild Australiens verändert und nichtsanktionierte Migration stärker unterbunden und bestraft werden. Während kontinentaleuropäische Politiker daran zweifeln, ob sich das aus­tralische Modell auf die EU übertragen lässt, bezieht sich die britische Regierung mit Inkrafttreten des Nationality and Borders Act im vergangenen Jahr ganz unverhohlen auf Australiens Vorbild. Einen Anfang März im Unterhaus eingebrachten Gesetzentwurf bewirbt Innenministerin Suella Braverman mit Australiens Schlachtruf »Stop the boats«.

Dieser Entwurf sieht ganz nach australischen Vorbild vor, dass illegal einreisende Asylsuchende nach ihrer Inhaftierung keinen Asylantrag mehr stellen können, um eine Abschiebung in ihr Herkunftsland oder in einen als sicher geltenden Drittstaat zu verhindern. Ehemalige australische Grenzbeamte und Minister verdingen sich nun in Großbritannien als Berater der Regierung Sunak. Sollten die Pläne verwirklicht werden, käme das für jene, die gefährliche Überfahrten auf sich genommen haben, weil sie keine sichere und legale Alternative dazu hatten, einer Abschaffung des Rechts gleich, in Großbritannien um Asyl zu ersuchen.

Anders als in Australien dürften in Großbritannien Bravermans Pläne auf juristische und politische Hindernisse stoßen. Ohnehin wäre es an der Zeit, aus Australiens Fehlern und den Nebenwirkungen seiner Asylpolitik zu lernen. Andere Länder, darunter auch Deutschland, haben die australische Regierung zu Recht wiederholt wegen ihrer Behandlung von Asylsuchenden und Flüchtlingen kritisiert.

Seit 2013 hat sie fast sechs Milliarden Euro für ihre Abschreckungs- und Grenzschutzpolitik ausgegeben. Wenngleich die Zahl der Bootsflüchtlinge gesunken ist, hat die Anzahl Asylsuchender zugenommen, die auf anderem Weg nach Australien gelangten – mit dem Flugzeug waren es zwischen 2014 und 2019 mehr als 95 000. Da die Regierung die Bearbeitung der Asylgesuche mehrere Jahre ausgesetzt oder aufgeschoben hat, droht ihnen zwar keine unmittelbare Abschiebung oder Internierung in den pazifischen Lagern, da die Asylsuchenden noch gerichtlich gegen Ablehnung vorgehen können, aber in der Zwischenzeit werden sie wirtschaftlich ausgebeutet.

Dem Vorsitzenden des britischen Flüchtlingsrats, Enver Solomon, zufolge machten Bravermans Pläne »die langjährige Verpflichtung Großbritanniens im Rahmen der UN-Konvention« zunichte, Menschen eine faire Anhörung ihres Asylgesuchs zu gewähren, »unabhängig davon, auf welchem Weg sie nach Großbritannien gekommen sind«. Die Pläne der britischen Regierung werden die Boote nicht aufhalten.

Da es viel mehr Asylsuchende nach Großbritannien als nach Australien zieht, ist es unwahrscheinlich, dass Abschiebungen schnell und in ausreichend hoher Zahl organisiert werden können, um tatsächlich eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Statt­dessen dürften Zehntausende eingesperrt und als Kriminelle behandelt werden, weil sie es gewagt haben, Asyl zu suchen. Das australische Modell taugt nicht zur Nachahmung, es ist kostspielig, ineffektiv und rechtlich untragbar.