Wie die Reflexion auf die Shoah in die Kritische Theorie kam und warum sie wieder daraus vertrieben wird

Kritische Theorie ohne Auschwitz

Ein umfangreiches Programm samt buntem Abend in der »Petite Auberge Aufbruch«: Seinen 100. Geburtstag feiert das Frankfurter Institut für Sozialforschung unter seinem neuen Direktor Stephan Lessenich unter Ausschluss des für die Kritische Theorie elementaren Themas: der Vernichtung der europäischen Juden. Warum die Beschäftigung mit dem Holocaust in das Zentrum des philosophischen Denkens rückte, wie es daraus wieder vertrieben wird und warum das Forschungsinstitut diese Entwicklung noch befördert.
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Pfingsten 1923 fand im thüringischen Geraberg ein denkwürdiges Treffen statt. Rund 25 marxistische Intellektuelle kamen zu einer Klausurtagung, wie man heute sagen würde, zusammen, um über die damalige Krise, Fragen der Methodik und der Wissenschaftsorganisation zu diskutieren. Unter ihnen befanden sich der Unternehmer Felix Weil, der zum Mäzen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) werden sollte, sowie der Ökonom Friedrich Pollock und die Philosophen Georg Lukács und Karl Korsch.

Lukács hatte kurz zuvor »Geschichte und Klassenbewusstsein« veröffentlicht, das zu einem der Initiationstexte des »westlichen Marxismus« werden sollte. Korschs Buch »Marxismus und Philosophie«, das ähnlich bedeutend ist, aber stets im Schatten von »Geschichte und Klassenbewusstsein« stand, erschien kurz nach der Zusammenkunft, im Frühsommer 1923. Die Idee des Treffens, das den Titel »Erste Marxistische Arbeitswoche« trug, ging vermutlich auf Korsch zurück; organisiert wurde es von Richard Sorge.

Es ist diese Tradition, die das Institut für Sozialforschung zu beschwören versuchte, als es anlässlich seines 100jährigen Bestehens in diesem Jahr über die Pfingsttage zur »Zweiten Marxistischen Arbeitswoche« nach Frankfurt am Main lud. Mit fast 60 Veranstaltungen – 44 Workshops, sieben Großvorträge, fünf Podiumsdiskussionen, ein Stadtspaziergang und ein bunter Abend – wollten die Organisatoren eines der beherrschenden Themen der Tagung von 1923 »aktualisierend aufnehmen«: Es ging um die »Behandlungsarten des gegenwärtigen Krisenproblems«, wie es in Anlehnung an das Programm der »Ersten Marxistischen Arbeitswoche« hieß.

Der Anschluss an die Arbeiterbewegung wurde bei jungen Juden aus bürgerlichen Familien bald zum Massenphänomen. Der Universalismus der Klasse schien eine Antwort auf die Anfeindungen aufgrund von Herkunft zu bieten.

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