Bauen, bitte bauen
Inzwischen scheint sich in der Berliner Landespolitik die Einstellung durchgesetzt zu haben, dass Volksentscheide eher als freundlicher Ratschlag der Wähler:innen zu verstehen sind. Das gilt offenbar auch für den Volksentscheid von 2014, der eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes mit sofortiger Gesetzeskraft verbot. Bereits die vorherige rot-rot-grünen Koalition hat für Flüchtlingsunterkünfte das Bebauungsverbot in der Randzone des Feldes gelockert. Die derzeit regierenden Parteien SPD und die CDU wollen nun mit einem 1,2 Millionen Euro teuren internationalen Wettbewerb Ideen für eine mögliche Bebauung sammeln.
Die »Berliner:innen dürfen sich verarscht vorkommen«, kommentierte der wohnungspolitische Sprecher der Fraktion der Linkspartei, Niklas Schenker, vergangene Woche. Er kündigte an: »Wir werden entschieden dafür kämpfen, dass diese grüne Lunge für die Stadt erhalten bleibt.«
Dabei stimmt wohl durchaus, dass der Volksentscheid heute anders ausfallen würde, das zeigen auch Umfragen. 2014 war die Lage für Mieterinnen in Berlin noch deutlich entspannter. Inzwischen sind nicht nur die Mieten enorm gestiegen, auch die Wohnungsknappheit ist schlimmer geworden. Die riesige Freifläche direkt im Stadtzentrum wirkt da verlockend.
Es stimmt, dass der Grund für die Wohnungsknappheit nicht ein Mangel an Baufläche ist. Es wird viel zu wenig gebaut, weil das den Unternehmen derzeit nicht profitabel genug erscheint.
Es stimmt aber auch, dass der Grund für die Wohnungsknappheit nicht ein Mangel an Baufläche ist. Es wird viel zu wenig gebaut, weil das den Unternehmen derzeit nicht profitabel genug erscheint. Der große Wohnungskonzern Vonovia zum Beispiel hat Anfang des Jahres angekündigt, alle in Berlin für 2023 geplanten Neubauprojekte zu verschieben. Dies betreffe 1.500 neue Wohnungen. Man werde neue Wohnungen erst wieder bauen, »wenn die Rahmenbedingungen wieder passen«, sagte eine Konzernsprecherin. Mit anderen Worten: Man wartet lieber, bis sich mit Bauen wieder mehr Geld verdienen lässt.
Bundesweit ist in diesem Jahr die Zahl der neuen Bauanträge dramatisch eingebrochen. Die Baukosten sind hoch, die Finanzierung ist wegen der gestiegenen Zinsen teuer. Also lässt man die Grundstücke lieber brachliegen und wartet, bis sich daran etwas ändert– oder es staatliche Subventionen und andere Verbesserungen der »Rahmenbedingungen« gibt.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) plant bereits, im September Subventionsmaßnahmen für den Neubau zu verabschieden. In Berlin ist unterdessen das »Schneller-Bauen-Gesetz« geplant, das vor allem Bauvorschriften lockern soll; es soll noch dieses Jahr verabschiedet werden. Solche Maßnahmen sollen die Immobilienunternehmen, die in dem vergangenen Boom bestens verdient haben, animieren doch – bitte, bitte – ihr Geld wieder in den Neubau von Wohnungen zu stecken.
Eine Alternative zur Staatshilfe für die Privatwirtschaft wäre, dass der Staat direkt Wohnungsbau finanziert. Doch als die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, kürzlich vorschlug, mit einem sogenannten Sondervermögen die ›Schuldenbremse‹ zu umgehen, um unter anderem staatliche Investitionen in den sozialen Wohnungsbau zu finanzieren, lehnte Geywitz dies ab. »Wenn die Verfassung eine Schuldenbremse vorsieht«, dürfe man nicht versuchen, »einen Schleichweg zu finden«, sagte die SPD-Politikerin Anfang der Woche.
Die Wohnungsnot in deutschen Großstädten wird sich in den nächsten Jahren wohl noch deutlich verschärfen. Besonders der Bestand von Sozialwohnungen wird weiter abnehmen. In Berlin haben dem ZDF zufolge von 1,8 Millionen Haushalten fast die Hälfte – 735.000 – Anspruch auf eine Sozialwohnung. Der derzeitige Bestand beträgt aber nur 96.000 und schrumpft schon seit Jahren. Bis 2025 werden noch mal fast 20.000 Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen; gleichzeitig werden derzeit weniger als 2.000 neue Sozialwohnungen jährlich bewilligt.
Ein valides Argument gegen eine Bebauung wäre, dass dort wohl kaum die schönen, riesigen Sozialbausiedlungen entstehen würden, die Berlin im Stadtzentrum dringend bräuchte.
Angesichts dessen kann man sich nur wundern, warum die Teilbebauung des Tempelhofer Feldes immer noch so vehement bekämpft wird. Ein Argument gegen die Randbebauung war, dass dies besonders im angrenzenden Teil von Neukölln die Aufwertung, Mietsteigerung und Verdrängung beschleunigen würde. Dabei passierte dies ja trotzdem in rasender Geschwindigkeit – gerade wegen des unbebauten Tempelhofer Feldes. Seit der Stilllegung des Flughafens und der Öffnung des Feldes als Freizeitfläche entwickelte sich der kleine Teil von Neukölln, der an das Feld grenzte, »vom verwahrlosten Lärmkiez zum Durchlauferhitzer im Gentrifizierungsprozess«, wie die Berliner Morgenpost bereits 2017 schrieb. Schon damals gehörte die einstmals als schäbig geltende Gegend in puncto Mietpreise zum oberen Fünftel der Postleitzahlen-Gebiete in Deutschland.
Ein valides Argument gegen eine Bebauung wäre, dass dort wohl kaum die schönen, riesigen Sozialbausiedlungen entstehen würden, die Berlin im Stadtzentrum dringend bräuchte. Man kann schließlich an anderer Stelle in Berlin beobachten, was passiert, wenn große Freiflächen in bester Lage den Investoren zum Fraß vorgeworfen werden – etwa anhand der hässlichen, meistens weitgehend menschenleeren Ansammlung von Hotels und Büros an der Eastside Gallery.
Niklas Schenker von der Linkspartei prognostizierte zur geplanten Bebauung des Tempelhofer Feldes: »Wenn dort Wohnungen gebaut werden, wären sie teuer, extrem langwierig in der Entstehung und würden die Wohnungsnot nicht lindern.« Es gibt zwar überhaupt keinen zwingenden Grund, warum das so sein müsste, aber es gibt wohl genug Gründe, davon auszugehen, dass es so kommen wird.