Die Anteilnahme an Chile markierte den Anfang der deutschen Lateinamerika-Solidaritätsbewegung

Linke für Lateinamerika

In den frühen Siebzigern entstand in der Bundesrepublik eine große Chile-Solidaritätsbewegung, die die deutsche Linke viele Jahre lang prägen sollte.

Der gewaltsame Sturz der Regierung Allende führte 1973 weltweit zu Protesten. In der Bundesrepublik entstand die größte internationale Solidaritätsbewegung der Nachkriegszeit: In den Wochen nach dem Putsch gingen bundesweit 150.000 Menschen auf die Straße, über 1.000 Chile-Komitees wurden gegründet. Die ersten dieser Gruppen waren schon vor dem Putsch entstanden, um den »chilenischen Weg zum Sozialismus« zu unterstützen.

Seit der Wahl Salvador Allendes zum Präsidenten 1970 hatte sich eine wachsende Chile-Begeisterung unter deutschen und anderen europäischen Linken breitgemacht. So gab es zum Beispiel kurzzeitig die Überlegung, das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, das 1970 gegründet wurde, Salvador-Allende-Institut zu nennen. Der Versuch, den Sozialismus auf demokratischem Weg zu erreichen, wirkte vor dem Hintergrund der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und der neuerlichen Verhärtung der Repression in den realsozialistischen Staaten besonders verlockend.

Auch half die Unterstützung eines revolutionären Kampfs in einem weit entfernten Land, sich über das Scheitern der Studentenbewegung hinwegzutrösten. Zugleich unterschied sich die Solidarität mit Chile von der mit antikolonialen Befreiungsbewegungen, bei denen gern über reaktionäre Tendenzen hinweggesehen wurde – sie galt hier ja einem explizit sozialistischen, nicht einem nationalen Projekt.

Den Putsch nahmen Linke freilich im Rahmen des unter ihnen hegemonialen antiimperialistischen Weltbilds wahr – wie sollte es auch anders sein, schließlich war die Unterstützung und Billigung des Staatsstreichs seitens der USA schon damals nicht zu übersehen.

Der Putsch in Chile eignete sich also perfekt, um die europäische Linke zu emotionalisieren: auf der einen Seite das unschuldige sozialistische Projekt, das sich nicht durch Gewalt befleckt hatte – auf der anderen Seite das bekannte Feindbild, die interventionistischen USA. Der beliebte chilenische Sänger Víctor Jara avancierte bald zur Verkörperung dieses Bilds: Jara, der mit seiner glasklaren Stimme seine Arbeitereltern genauso besungen hatte wie Che Guevara und Ho Chi Minh, war während des Putsches verhaftet und mit Tausenden anderen im Nationalstadion interniert worden. Soldaten brachen ihm die Finger und verhöhnten ihn; als er »Venceremos«, das Lied der Unidad Popular (UP), sang, töteten sie ihn mit 44 Schüssen.

Die Unterstützung eines revolutionären Kampfs in einem weit entfernten Land half auch, sich über das Scheitern der Studenten-bewegung hinwegzutrösten.

Die zahlreichen Chile-Komitees schlossen sich auf internationaler Ebene zusammen und es entstanden große Netzwerke zur Unterstützung von Chilen:innen, die vor der Repression flohen. Die im Juni 1973 gegründeten deutschsprachigen Chile-Nachrichten erzielten Ende des Jahres eine Auflage von 6.000. Sie dienten als Dokumentations- und Informationsorgan der Solidaritätsbewegung. 1977 in Lateinamerika-Nachrichten umbenannt, erscheinen sie bis heute.

Die Solidarität reichte weit ins linksbürgerliche Lager hinein. So gründete die Hans-Böckler-Stiftung des DGB ihren bis heute existierenden internationalen Solidaritätsfonds zur Unterstützung fliehender Chilen:innen und setzte ihre Kontakte zum deutschen Kapital ein, um Flüchtlingen Stellen zu verschaffen. Beide deutsche Staaten wurden zu beliebten Exilländern – die Bundesre­publik aufgrund der gut vernetzten Solidaritätsbewegung und der relativ großen Freiheiten; die DDR war gerade für viele Kommunisten naheliegend, über die KP Chiles gab es gute Kontakte, unmittelbar nach dem Putsch begann die DDR, Chilenen aufzunehmen.

Freilich gab es auch Vorbehalte. In der BRD fürchteten sich Politiker vor dem Import von »Berufsrevolutionären«, in der DDR wollte man den Exilanten nicht allzu offen zeigen, wie das Leben im Sozialismus tatsächlich aussah, und ließ sie bespitzeln – eine Erfahrung, die der Schriftsteller Carlos Cerda später in seinem Buch »Morir en Berlín« (deutscher Titel: »Santiago – Berlin, einfach«) verarbeitete, woraufhin ihm chilenische Genossen Undankbarkeit gegenüber dem Gastland vorwarfen.

Auch nach dem Abflauen der Repression in Chile Ende der Siebziger blieb die Solidaritätsbewegung aktiv, und mit der Machtübernahme der Sandinisten in Nicaragua 1979 ergab sich ein neues Objekt der Hoffnung. Die Chile-Solidarität markiert ohne Zweifel die Geburtsstunde der Lateinamerika-Solidarität in Deutschland, auch wenn bereits zuvor in der Studentenbewegung das Interesse an Lateinamerika stark ausgeprägt war.

Nach der Demokratisierung Lateinamerikas in den achtziger und neunziger Jahren und dem Ende des Kalten Krieges infolge des Zusammenbruchs des Realsozialismus hat sie stark an Bedeutung verloren. Doch als zentrale Erfahrung vieler Linker hat sie Spuren hinterlassen – das weiß jeder, der als Kind schon Lieder von Víctor Jara hörte.