Stefanos Kasselakis ist der umstrittene neue Vorsitzende der linken Partei Syriza

Die politische Unbekannte

Die linke griechische Partei Syriza hat mit Stefanos Kasselakis einen umstrittenen neuen Vorsitzenden; sein Vorgänger Alexis Tsipras hatte ihn rekrutiert.

Die größte griechische Oppositionspartei, Syriza, hat einen neuen Vorsitzenden: den US-amerikanischen und griechischen Staatsbürger Stefanos Kasselakis. Erst seit knapp 30 Tagen Parteimitglied, konnte er sich mit einer populistischen Kampagne ohne klare politische Inhalte in der Stichwahl am 24. September, an der sich 136.000 von 180.000 Parteimitgliedern beteiligten, mit rund 56 Prozent gegen seine linke Konkurrentin Efi Achtsioglou durchsetzen. Die Partei steht nun vor einer Zerreißprobe.

Kasselakis will eine »moderne patriotische Linke« schaffen und Syriza nach dem Muster der US-Demokraten organisieren. Dabei möchte er den Begriff »links« von seiner hergebrachten Besetzung lösen und neu definieren. Die Werke von Karl Marx kennt er nicht. Passend zu Kasselakis’ beruflichem Hintergrund als ehemaliger Banker gibt es in den griechischen Medien Kommentare, die von einer »feindlichen Übernahme« berichten.

Tatsächlich sind einige seiner politischen Ankündigungen fragwürdig. Die fundamentale Forderung aller griechischen linken Parteien nach einem reinen Verhältniswahlrecht hält er für sinnlos. Das verfassungsmäßige Verbot privater Universitäten, welches griechische Linke gemeinhin als eine zu verteidigende Errungenschaft betrachten, möchte er durch eine Kooperation einheimischer Bildungsinstitute mit ausländischen Privatuniversitäten aushebeln.

»Syriza als linke Partei ist tot«, kommentiert Stelios Kouloglou, Abgeordneter von Syriza im EU-Parlament. Sein Parteikollege, der ehemalige Bildungsminister Nikos Filis, sieht in Kasselakis eine Mischung aus Donald Trump und Beppe Grillo. Filis lässt in seiner Kritik zudem kein gutes Haar am vorherigen Vorsitzenden Alexis Tsipras, der Kasselakis rekrutiert hatte. Der ehemalige Ministerpräsident habe die Partei, die zuvor ein kollektives Organ der Politik gewesen sei, in ein vom absolutistischen Willen eines Vorsitzenden abhängiges Gebilde verwandelt und dadurch den derzeitigen Niedergang verschuldet, sagt er.

Der neue Vorsitzende setzte umgehend den Parteisprecher, den Fraktionssekretär und weitere Personen auf Schlüsselpositionen ab. Die Geschassten erfuhren davon aus dem Rundfunk. An deren Stelle berief Kasselakis seine Unterstützer in sein Führungsteam, zum Beispiel den Admiral a. D. Evangelos Apostolakis, der in der vergangenen Legislaturperiode beinahe ein Ministeramt unter dem konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis angenommen hätte.

»Syriza als linke Partei ist tot.« Stelios Kouloglou, Syriza-Abgeordneter im EU-Parlament

Der im Februar wegen Amtsmissbrauchs verurteilte ehemalige Minister für digitale Politik, Telekommunikation und Medien, Nikos Pappas, der früher als Tsipras’ rechte Hand galt, wird nun auch Kasselakis engster Vertrauter. Der Anhängerschaft werden solche Rochaden als »Erneuerung« verkauft. Wer nicht mitzieht, könne ja gehen, verkündete Apostolakis im Fernsehen; es solle keine Fraktionen in der Partei geben. Der Direktor der Parteizeitung Avgi quittierte bereits den Dienst. Die Parteijugend hat ihr diesjähriges Festival kurzfristig abgesagt.

»Filis hat sich mit seinen Äußerungen selbst aus der Partei geworfen«, meinte Petros Pappas, einer der ersten Parlamentarier, die sich an die Seite von Kasselakis stellten. Der wiederum geht auf das Mobbing seiner Anhänger gegen die parteiinterne Opposition nicht ein. Selbst als Efi Achtsioglou im Wahlkampf öffentlich bat, die Verbreitung von ­persönlich verletzenden Falschnachrichten über sie zu kommentieren, fand er keine Worte.
Der linke Flügel, darunter viele Gründungsmitglieder der Partei, hofft auf den Parteitag, den ein Beschluss des Politbüros bereits vor der Wahl des Vorsitzenden für November terminiert hat. Auf dem Parteitag müsste sich der Vorsitzende den Mitgliedern, aber auch dem Politbüro stellen.

Doch derzeit sieht es danach aus, als würde er ausfallen. Denn Kasselakis’ Team sieht keinen Grund für einen Parteitag.

Demnächst will der neue Vorsitzende den wegen seines US-Aufenthalts ausgesetzten Militärdienst antreten, er hat allerdings die Möglichkeit, sich nach drei Wochen Dienstzeit freikaufen. Er möchte zudem sein Griechisch verbessern. Sprachliche Defizite und Unkenntnis in Sachen griechischer Geschichte und linker griechischer Positionen haben ihn bereits vielfach ins Fettnäpfchen treten lassen.

Der 35jährige Kasselakis war bis Ende Juni in Griechenland fast unbekannt. Alexis Tsipras hatte den Unternehmer, ehemaligen Reeder und früheren Broker als zweiten Vertreter der Auslandsgriechen für die beiden diesjährigen Parlamentswahlen rekrutiert. Mit dem aussichtslosen neunten Platz auf der Landesliste war er zunächst reiner Zählkandidat. Ende Juni erlangte er zum ersten Mal öffentliche Aufmerksamkeit, als er bei einer Fernsehtalkshow die homophoben Hasstiraden eines rechtsextremen Parlamentskandidaten abschmetterte, indem er sich selbst als homosexuell outete.

Als Tsipras kurz danach wegen der beiden haushoch verlorenen Parlamentswahlen vom Parteivorsitz zurücktrat, bot sich Kasselakis, damals noch nicht Parteimitglied, zunächst Efi Achtsioglou als Unterstützer an. Erst am 2. September unterschrieb er seinen Aufnahmeantrag für Syriza und ließ seine von 30 Unterschriften aus dem Politbüro unterstützte Kandidatur vom Ständigen Parteikongress absegnen. Vorher war er am 29. August mit einem vom erfolgreichen griechischen Regisseur Nikos Soulis gedrehten Video an die Öffentlichkeit getreten und hatte seine Absicht verkündet, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Er sei besser und könne besser Englisch als der verhasste rechtsnationale Ministerpräsident Mitsotakis, den er aus dem Amt zu jagen fähig sei.

Danach veröffentlichte Kasselakis immer mehr Videos in sozialen Medien. Ältere Veröffentlichungen dort, beispielsweise auf seinem seit 2013 bestehenden Account bei X (früher Twitter), hatte er gelöscht – denn bis mindestens 2016 war er Unterstützer von Mitsotakis, wie er auch selbst zugab. Fragen zu offensichtlichen Widersprüchen in ­seinem geschönten Lebenslauf wich er bislang aus. Kasselakis war mit seiner Familie im Alter von 14 in die USA ausgewandert. Er hatte als Wahlhelfer Joe Biden bei dessen Bemühungen um die Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2008 unterstützt, die schließlich Barack Obama gewann; Biden wurde dessen Kandidat für die Vizepräsidentschaft.

Kasselakis kam im Wahlkampf insbesondere seine Medienpräsenz zugute. Über mehrere Stunden am Tag verfolgten ihn die Kameras. Jedes Detail wurde bekannt – wo er Kaffee trinkt, wo er Gewichte hebt, wo er seine Hündin Gassi gehen lässt. Nur was er politisch im Sinn hat, das weiß noch niemand so richtig.