Bari Weiss gibt in ihrem neuen Buch Tipps für den Kampf gegen Antisemitismus

Keine bloße Rhetorik

Die ehemalige »New York Times«-Redakteurin Bari Weiss hat ein Buch geschrieben: »Wie man ­Anti­semitismus bekämpft« liefert einen guten ­Überblick über rechten, linken und islamischen ­Antisemitismus. Die Tipps am Ende sind aber zuweilen etwas floskelhaft geraten.

Als die Journalistin Bari Weiss am 2. November 2018 als Gast in der Talkshow »Real Time with Bill Maher« auf ihrem Stuhl Platz nahm, waren gerade einmal sechs Tage vergangen, seit der rechtsextreme Attentäter Robert Bowers die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh mit einem Gewehr und drei Handfeuerwaffen betreten und elf Menschen ermordet hatte. Während des Gesprächs mit dem Moderator Maher wirkte es so, als müsse sie Tränen unterdrücken. Weiss kam direkt aus Pennsylvania und hatte bereits einen Artikel über den Anschlag geschrieben, vor allem aber war es ihre Synagoge, die angegriffen worden war: Ihre Eltern besuchen sie regelmäßig, Weiss selbst erlebte dort ihre Bat Mizwa.

Weiss unterzog den Attentäter einer politischen Analyse, sprach über die allgemeine Stimmung in den USA während der damals noch andauernden Präsidentschaft von Donald Trump und erinnerte daran, dass es sich beim Antisemitismus nicht einfach nur um ein Vorurteil, sondern immer um eine Verschwörungstheorie handelt. Dann fragte Maher sie naiv: »Warum die Juden?« Weiss lachte und antwortete prompt: »Wie viel Zeit haben wir?« Genug Zeit hatten sie nicht, und so wird Weiss spätestens an diesem Abend beschlossen haben, ein ganzes Buch über das Thema zu schreiben. »How to Fight Anti-Semitism« erschien 2019 in den USA und kürzlich unter dem Titel »Wie man Antisemitismus bekämpft« auch auf Deutsch.

Seit der Erstveröffentlichung ist im Leben von Bari Weiss viel passiert. Im Sommer 2020 wurde sie noch einmal bekannt, als sie ihre Stelle als Redakteurin bei der New York Times kündigte und diesen Schritt in einem auf ihrer Website veröffentlichten Brief begründete. (Es geht nicht um Inhalte). Ihr wichtigster Grund war, dass der Einfluss von Twitter negative Auswirkungen auf den Journalismus habe, die Times zu sehr auf die Online-Debatten schiele und diese bedienen wolle.

In dem Brief aber berichtete sie auch über den Umgang von Kolleginnen und Kollegen mit ihr, die ihre Arbeit mit den genervten Worten kommentierten, Weiss würde »mal wieder über die Juden schreiben«, und sie als »Rassistin« und »Nazi« bezeichneten. Dass Weiss ebenfalls 2020 den im Harper’s Magazine erschienenen »Letter on Justice and Open Debate« unterzeichnete, der sich gegen Illiberalismus vor allem in Hinblick auf die freie Rede aussprach und kontrovers diskutiert wurde, wird ihrem Ruf nicht gerade förderlich gewesen sein. Zu Wort meldet sie sich seit ihrer Kündigung vor allem in dem von ihr betriebenen Podcast.

Denjenigen, die Weiss für eine Rechte oder einen »Nazi« halten (was eben vor allem auch deswegen perfide ist, weil sie Jüdin ist), bietet »Wie man Antisemitismus bekämpft« keine Gelegenheit, ihre Beleidigungen argumentativ zu unterfüttern. Als Herzstück des Texts können drei Kapitel in der Mitte des Buchs gelten, die sich den Gruppen widmen, von denen der zeitgenössische Antisemitismus am stärksten ausgeht. Eines dieser Kapitel dreht sich exklusiv um »Die Rechte«, wobei Weiss nicht nur an die ­Unterstützung Hitlers aus den USA durch die sogenannten Silberhemden erinnert, sondern auch, unter ­anderem, an Angriffe des Ku-Klux-Klans auf ­Synagogen in den fünfziger Jahren.

Antisemitismus gab es in den USA also bereits vor der Präsidentschaft von Donald Trump, wie Weiss vermerkt. Sie stellt aber auch fest, dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten einem Fanatismus Vorschub geleistet hat, der auch Antisemiten bestärke. Trump habe beispielsweise die Alt-Right zwar nie öffentlich gelobt, doch das müsse er auch nicht, denn Slogans wie »America First« seien »vollkommen aus­reichend«.

Die amerikanischen Juden haben Weiss zufolge Angst davor, »von weißen Herrenmenschen erschossen« zu werden, und zugleich davor, »als weiße Herrenmenschen bezeichnet zu werden«.

Interessant sind ihre Analysen der Kulturkampfstrategie der Neuen Rechten in den USA, beispielsweise, wenn sie den Autor Yair Rosenberg zitiert, der treffend formulierte: »Die Alt-Right macht sich heimtückisch die tief verwurzelten Werte von Liberalen und Minderheiten zu eigen, um diese anzugreifen«, und zwar mit dem Ziel, diese pervertierten liberalen Werte dann wieder gegen Juden und andere Minderheiten in Anschlag zu bringen – ein Trick, so will man folgern, den große Teile der Linken einfach nicht verstehen wollen, da sie selbst ein zumindest am­bivalentes Verhältnis zu eben jenen Werten pflegen.

Weiss verweist bereits in dem Kapitel über die Rechten mehrfach implizit auf die Linke, etwa dann, wenn sie konstatiert, rassistische und antisemitische Memes seien »keine besondere neue Form von Rassismus und Antisemitismus«, und schlussfolgert, wer zu viel Zeit mit der Analyse dieser Insiderwitze verbringe, wie es eben die aktivistische Linke oft tut, gehe den ­Tätern auf den Leim.

Zwar stellt sie in ihrem Kapitel über linken Antisemitismus heraus, dass dieser in der Regel nicht mit physischer Gewalt einhergehe, charakterisiert ihn aber als einen, der raffinierter und subtiler vorgehe, indem er »die Sprache der sozialen Gerechtigkeit und des Antirassismus, der Gleichheit und der Befreiung« verwende. Sprich: Wer Zionist ist, ist aus der Warte des linken Antisemitismus eben damit auch ein Rassist. Weiss nennt diese meist mit akademischem Titel ausgestatteten Antisemiten solche, die »ihre Bi­gotterie als aufgeklärtes Denken verteidigen«, weswegen sie in mancher Hinsicht schwieriger zu bekämpfen seien als Neonazis. Letztlich bricht sie es auf folgende Gleichung herunter: Die amerikanischen Juden ­haben Angst davor, »von weißen Herrenmenschen erschossen« zu werden, und zugleich davor, »als weiße Herrenmenschen bezeichnet zu werden«.

Was Weiss mit am meisten umtreibt, ist die Frage, wieso sich der Antisemitismus auch in den USA durchsetzen konnte, einem Land, das Rede- und Religionsfreiheit hochhält und gemeinsame Werte anstelle der Abstammung betont und ihr deshalb als ein »neues Jerusalem für das jüdische Volk« erscheint. Im ­Gegensatz zu den Europäern, so führt sie den Rabbiner Meir Soloveichik zitierend aus, hätten die Amerikaner immer eine Faszination für die Geschichte der Juden gepflegt, die auch der erste Präsident George Washington teilte. Einen der Gründe für das Erstarken des Antisemitismus sieht sie in der intersektionalen Theorie, die zu einer »Retribalisierung« und damit zu einer Entindividualisierung führe – eine Weiss zufolge genauso unamerikanische Idee wie die der Rechten, die sich für »amerikanischer« als andere halten.

Auch im Kapitel zum »Radikalen Islam« geht Weiss auf die Linke ein, namentlich auf Ilmar Reepalu, den langjährigen Bürgermeister von Malmö, einer Stadt, die nach seiner Aussage »keinen Antisemitismus und keinen Zionismus« akzeptiere. Reepalu sagte das 2010, als es einen starken Anstieg antisemitischer Straftaten in der schwedischen Stadt gab – mutmaßlich begangen von Muslimen. Reepalu gab in der Folge Juden die Schuld – da sie sich als Unterstützer Israels gezeigt und damit die Taten geradezu provoziert hätten.

Lakonisch kommentiert Weiss auch andere Politiker oder Würdenträger, die den islamischen Antisemitismus herunterspielten, wie den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt an der Porte de Vincennes in Paris davon sprach, der Täter habe »wahllos« Menschen in einem Feinkost­geschäft erschossen. Tatsächlich war der Täter gezielt und nicht zufällig in den koscheren Supermarkt gegangen. Weiss zufolge veranlasste die Äußerung Juden dazu, sich selbst spöttisch das »zufällig ausgewählte Volk« zu nennen.

Der Buchtitel bleibt am Ende nicht nur rhetorisch: Weiss gibt tatsächlich im Ton einer pragmatischen Amerikanerin einen Haufen an Tipps, wie man Antisemitismus bekämpfen könne. Viele davon sind brauchbar: Sie warnt davor, mit der extremen Rechten gemeinsame Sache zu machen (und kritisiert in diesem Zusammenhang immer wieder Benjamin Netanyahus gute Beziehungen beispielsweise zum ungarischen Präsidenten Viktor Orbán), rät dazu, nüchtern die Sache beim Namen zu nennen und Ideen anstelle von Identitäten zu kritisieren. Damit einher geht auch ihre Absage an »hierarchische« Identitätspolitik sowie die Aufforderung, vor dem im eigenen Milieu grassierenden Antisemitismus nicht die Augen zu verschließen.

Ihre zuweilen mit zu viel Pathos getränkten Tipps, in die sich auch ­liberale Floskeln wie die von der »gesunden Demokratie« oder der un­angenehme Aufruf zur Bildung von »Gemeinschaften« eingeschlichen haben, lassen aber interessanterweise eine Art, dem Antisemitismus entgegenzutreten, außen vor, und zwar den Humor. Der jüdische Humor, der beißend antisemitische Stereotypen erledigt und es gleichzeitig noch schafft, sich über sich selbst lustig zu machen, ist eine aufklärerische Angelegenheit, die auch durch Schock und Übertreibung ihre Wirkung erzielt – ein gutes Beispiel ­dafür ist die US-amerikanische Komikerin Jessica Kirson, die es in ­ihren rants gleichermaßen schafft, Linksliberale wie Rechtsextreme zu ärgern. Interessanter, als eine ominöse »jüdische Identität« zu »pflegen«, wie es bei Weiss ein Mal heißt, ist das allemal.

Bari Weiss Antisemitismus Buchcover

Bari Weiss: Wie man Antisemitismus bekämpft. Eine Streitschrift gegen Geschichtsvergessenheit, Selbstgefälligkeit und ­Konfliktscheu. Aus dem amerikanischen Englisch von Mark Feldon. Edition Tiamat, Berlin 2022, 216 Seiten, 20 Euro