Coole Redakteur:innen tragen kein Pali-Tuch

Homestory #48/23

Immer wenn es gegen Israel geht, erfährt die Kufiya, das sogenannte Pali-Tuch, Hochkonjunktur. Auch bei der »Jungle World« hat das Kleidungsstück seine Geschichte.
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Rund um das Büro Ihrer Lieblingszeitung in Mitte sieht man sie nicht häufig: die Kufiya, genannt Pali-Tuch. Das populäre palästinensische Nationalsymbol mit dem weiß-schwarzen Fischnetzmuster erlebt alle paar Jahre im Zuge stärkerer Aufmerksamkeit für den israelisch-palästinensischen Konflikt in Deutschland ein modisches Revival. Wenn Bomben auf Israel fallen oder Attentäter ins Land einfallen, wird das Tuch wieder aus der Mottenkiste linker Kleidungssünden gezogen.

Derzeit ist eindeutig wieder Hochsaison. Jedoch halten sich die Sichtungen seitens der Redaktionsmitglieder noch je nach Berliner Stadtteil in Grenzen. In Kreuzberg hat einer kürzlich sein erstes Wickelkind seit Wochen rumlaufen sehen, davor in Wilmersdorf und Lichtenrade lag die Trefferquote bei null. Eine sieht nur seit vier Wintern einer Wollvariante des beliebten Schals an einem Ständer an der Steglitzer Supermarktkasse beim Verstauben zu.

Der Fatah-Führer Yassir Arafat achtete einst darauf, die Kufiya so zu drapieren, dass sie einen spitzen Rand erhielt, der angeblich die Umrisse Palästinas darstellen sollte.

Bereits öfters hat einer die seidene Stilvariante mit palästinensischer Flagge und al-Quds-Motiv gesehen – Neukölln scheint da wohl der Trendsetter-Bezirk zu sein. Hier wird der Schal auch durch alle Milieus hindurch getragen, wie ein Foto von Lokalpolitikern der Linkspartei Neukölln zeigt, auf dem sie mit umgeworfener Kufiya ein »Ende von Krieg, Terror und Besatzung« fordern und »für die Meinungsfreiheit« eintreten. Die Partei hat derzeit auf dem Weg zur Erneuerung eh Schwierigkeiten, alte Muster abzulegen.

Natürlich waren auch die Kollektivmitglieder mal Teenager mit Pali-Tuch um den Hals – als Jungpunker zum Bundeswehrparka getragen, als Junghippie zur U.S.-Army-Jacke, auch als Gothic-Hippie passte es in die Garderobe. Für eine war das Tuch eine Art Ausweis für das Linkssein. Sie hatte damals ein Jahr in einem Kibbuz erwogen, in das sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtsahnend umwickelt eingelaufen wäre.

Das Unwissen über die politische Bedeutung zeichnete auch viele andere in ihrer Jugend aus, über die Jahre scheint sich nicht viel geändert zu haben: »Neulich, die Nichte, die wusste auch nichts« über ihren Schal. Der Fatah-Führer Yassir Arafat achtete einst darauf, die Kufiya so zu drapieren, dass sie einen spitzen Rand erhielt, der angeblich die Umrisse Palästinas darstellen sollte. Ursprünglich trugen auch die Juden in Palästina das Tuch – ein bekanntes Bild von 1948 zeigt Israels ersten Ministerpräsidenten David Ben-Gurion während einer Patrouille mit weißer Kufiya um den Hals –, bis der Krieg von 1967 zum Aufstieg der Fatah-Bewegung unter Arafat führte. Der erhielt sogar den Spitznamen »Abu al-Hata«, »hata« ist das lokale arabische Wort für Kufiya.

Ein Redaktionsmitglied wurde schon früh vom Vater belehrt, dass es sich um einen »Antisemiten-Lappen« handele – den es damals bei H&M zu kaufen gab. Und: »In Hamburg sagte man schon in den achtziger Jahren Pali-Feudel, zugegebenermaßen eher aus ästhetischen Gründen.« Aus solchen wird der Schal eh viel zu selten abgelegt.