Das bisschen Diktatur
Bis zu einer zweiten US-Präsidentschaft für Donald Trump ist es noch ein weiter Weg. Wegen der Vielzahl juristischer Verfahren, die gegen ihn laufen, hofften seine politischen Gegner darauf, dass seine Popularität schwinden wird. Doch bislang ist nichts dergleichen eingetreten. In den Umfragen zu den republikanischen Vorwahlen liegt Trump kontinuierlich weit vorne. Eine Wiederwahl Trumps muss als ein überaus realistisches Szenario gelten. Das zeigte zuletzt eine Umfrage der New York Times im November, in der Trump in fünf von sechs swing states führt (Nevada, Georgia, Arizona, Michigan und Pennsylvania; nur in Wisconsin lag Joe Biden vorn).
Die Erkenntnis, dass Trump gute Chancen hat, erneut ins Oval Office einzuziehen, und seine anhaltende Agitation, in der viele Beobachter eine weitere Verschärfung seiner autoritären Rhetorik erkennen, führen regelmäßig zu einer Diskussion über die Frage: Wie würde eine zweite Amtszeit von Donald Trump aussehen? Seine Aussage, dass er kein Diktator sein werde, abgesehen von seinem ersten Tag im Amt, war der Aufhänger für liberale und konservative Medien im ganzen Land, dieser Frage in zahlreichen Kolumnen, Analysen und Dossiers nachzugehen.
In einem sind sich die verschiedenen Gegner Trumps weitgehend einig: Eine zweite Amtszeit des ehemaligen Präsidenten dürfte deutlich autoritärer ausfallen als die erste.
Trump bedient sich seit Beginn seines Vorwahlkampfs immer wieder einer autoritären Rhetorik, doch das Wort »Diktator« sorgte für eine neue Stufe der Aufregung. In den Wochen zuvor hatte er seine politischen Gegner bereits als Ungeziefer (vermin) bezeichnet, erneut gegen Immigranten gehetzt, die das Blut des Landes vergiften würden, und sich seinen Unterstützern als Krieger angeboten, der ihnen »im letzten Kampf« Vergeltung verschaffen werde. Bezüglich der Ausgangsfrage herrscht im Detail keine Einigkeit. In einem aber sind sich die verschiedenen Gegner Trumps weitgehend einig, selbst wenn sie außer dessen Ablehnung nichts verbindet: Eine zweite Amtszeit des ehemaligen Präsidenten dürfte deutlich autoritärer ausfallen als die erste.
Angesichts des permanenten Machtmissbrauchs während seiner ersten Amtszeit, der mit der Nichtanerkennung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahlen endete und in der daraus resultierenden Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 gipfelte, dürften kaum Zweifel an seinem künftigen Verhalten im höchsten Staatsamt bestehen. Im Gegensatz zu manch anderen aufstrebenden Alleinherrschern machen weder Trump noch seine einflussreichen Unterstützer einen Hehl aus ihren autokratischen Absichten.
Wenn Trump öffentlich erklärt, entweder zerstöre der deep state, der »Tiefe Staat«, Amerika oder »wir zerstören den Tiefen Staat«, dann ist klar, dass er damit demokratische Beschränkungen und in erster Linie ihm lästige politische Institutionen meint. Kevin Roberts, ein Vertrauter Trumps und Präsident der Heritage Foundation, einer der einflussreichsten erzkonservativen Denkfabriken der USA, sieht in Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán »nicht nur ein Modell konservativer Staatskunst, sondern das Modell«.
Die Frage ist also weniger, ob Trump das politische System zu seinen Gunsten umbauen und langfristig ein autokratisches Regime errichten will. Trump und viele in der Republikanischen Partei glauben, dass demokratische Regeln außer Kraft gesetzt werden können oder sogar müssen, um das Land vor Demokraten und Minderheiten zu retten. Um eine Vormachtstellung gegenüber den »unamerikanischen« Kräften auf der Linken zu erlangen und zu verteidigen, scheint ihnen jedes Mittel legitim. Das bedeutet zwangsläufig eine schrittweise Abkehr von demokratischen Prinzipien.
Wichtiger ist daher zum einen, ob Trump im Falle seiner Wiederwahl bei dem Versuch, mehr Macht in seinen Händen zu konzentrieren, klüger als in seiner ersten Amtszeit vorgehen, und zum anderen, wer ihn dabei unterstützen würde. Sollte Trumps etwaige Amtszeit eine konzertierte Aktion gegen die geltenden demokratisch-rechtsstaatlichen Schranken der USA werden, stellt sich die Frage, ob die politischen Institutionen so stabil sind, dass die demokratischen Kräfte in ihnen den schrittweisen Abbau der Demokratie verhindern können.
Trumps Auffassung zufolge haben die Strafverfolgungsbehörden ihn und seine Anhänger nach dem Ende seiner Amtszeit politisch verfolgt, und nun beabsichtigt er, dasselbe mit seinen Gegnern zu tun.
Die erste Frage lässt sich klar beantworten: Eine zweite Regierung Trump und die damit verbundene politische Strategie würden sich deutlich von der ersten unterscheiden. Trumps Plan, die Macht zu zentralisieren, sollte er wiedergewählt werden, wurde von einer Gruppe konservativer Organisationen um ihn herum entwickelt, angeführt von der Heritage Foundation und ihrem »Project 2025«. Ziel ist es, die Kontrolle über die bundesstaatliche Bürokratie zu erlangen. Der Plan sieht vor, zunächst Schlüsselpositionen mit Trump-Loyalisten zu besetzen. Eines der größten Hindernisse für Trumps Präsidentschaft war der administrative Widerstand gegen einige seiner extremen Forderungen.
Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit könnte Trump in einer etwaigen zweiten Amtszeit auf ein bereitwilliges administratives Umfeld zählen. Organisationen wie die Heritage Foundation prüfen bereits Kandidaten für rund 20.000 Stellen, die Trump in verschiedenen Regierungsbehörden vergeben könnte, um mögliche Hindernisse zu beseitigen.
Ein weiterer Schritt in Trumps Plan zielt darauf, Karrierebeamte einzuschüchtern und gefügig zu machen. Zu diesem Zweck plant er die Wiedereinführung der Schedule-F-Verordnung vom Ende seiner ersten Amtszeit, die Präsident Joe Biden zurückgenommen hatte. Damit könnte er Tausende erfahrene Beamte in politisch bedeutsamen Positionen entlassen. Insgesamt könnten bis zu 50.000 Beamte betroffen sein. Berichten zufolge haben Trump-Loyalisten Listen von Beamten, die entlassen werden sollen, weil sie während seiner ersten Amtszeit als nicht kooperativ genug angesehen wurden.
Zudem soll ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der es erlaubt, staatliche Ressourcen zum Angriff auf politische Gegner und zur Durchsetzung politischer Ziele ohne Zustimmung des Kongresses zu nutzen. Trump orientiert sich dabei an anderen Autokraten und konzentriert sich nicht nur auf den Kulturkampf, sondern bereitet auch Mittel vor, um weitere Angriffe auf politische Gegner zu ermöglichen.
Dies erfordert die Besetzung regierungsinterner Juristenposten mit loyalen Unterstützern, die Trumps autoritäre Ambitionen rechtfertigen sollen. Respektieren die Regierungsanwälte nicht mehr die Unabhängigkeit des Justizministeriums (welches in den USA zugleich als Generalstaatsanwaltschaft fungiert), sondern verhalten sich dem Präsidenten gegenüber loyal, plant Trump, das Justizministerium einzusetzen, um ein rechtliches Vorgehen gegen das Regierungshandeln zu erschweren und seine politischen Gegner zu verfolgen.
Trumps Auffassung zufolge haben die Strafverfolgungsbehörden ihn und seine Anhänger nach dem Ende seiner Amtszeit politisch verfolgt, und nun beabsichtigt er, dasselbe mit seinen Gegnern zu tun. Eine Politisierung des Justizministeriums durch Trump ergebene Kräfte, die die lange Tradition der Unabhängigkeit des FBI und des Justizministeriums von parteipolitischen Einflüssen beendet, wäre dafür eine wesentliche Voraussetzung.
Die Absichten und Pläne für eine zweite Amtszeit Trumps sind klar erkennbar und werden von engen Beratern sowie autoritär radikalisierten Teilen der Republikanischen Partei unterstützt.
Sollte dies gelingen, hätten die extremeren politischen Pläne und Ideen Trumps und seiner Berater in einer zweiten Amtszeit eine größere Chance, verwirklicht zu werden. Neben dem Umbau des politischen Systems zur Konsolidierung seiner persönlichen Macht gehören dazu auch als dezidiert rechtsextrem zu bezeichnende Ziele wie ein Einreiseverbot für ausländische Muslime in die USA, die Bestrafung von sanctuary cities (Städte, die illegalisierte Migranten vor dem Zugriff der Behörden schützen) und der Bau einer Grenzmauer zu Mexiko ohne Zustimmung des Kongresses.
Die Absichten und Pläne für eine zweite Amtszeit Trumps sind klar erkennbar und werden von engen Beratern sowie autoritär radikalisierten Teilen der Republikanischen Partei unterstützt. Fraglich ist, ob die wichtigsten politischen Institutionen in der Lage wären, der Verwirklichung dieser Pläne wirksam entgegenzutreten. Beobachter halten die Gefahr einer Politisierung der Bundesbürokratie und des Justizministeriums für durchaus hoch. Sollten die Republikaner auch die Kontrolle über beide Kammern des Kongresses gewinnen, dürfte dieser viele von Trumps Vorhaben unterstützen. Sollten die Demokraten weiterhin eine der beiden Kammern kontrollieren, könnten Gesetzesvorhaben blockiert werden. Dennoch könnte Trump mit Hilfe von Executive Orders (Präsidialdekreten) einige Vorhaben ohne Zustimmung des Kongresses vorantreiben.
Sollte Trump wiedergewählt werden, dürfte die Rolle der Justiz von entscheidender Bedeutung sein. Trumps Nominierungen für den Obersten Gerichtshof haben es der rechtskonservativen Bewegung bereits ermöglicht, einige ihrer ehrgeizigsten Ziele zu erreichen, darunter die Abschaffung des bundesweiten Rechts auf Abtreibung. Die Frage ist, ob diese Richter auch dann im Sinne Trumps entscheiden würden, wenn er begänne, die Pressefreiheit, die akademische Freiheit oder der Meinungsfreiheit einzuschränken.