Israelfeinde, CDU-Politiker, Trommelgruppen: unsere schlimmsten Demoerlebnisse

Homestory #04/24

Israelfeinde, CDU-Politiker, Trommelgruppen - die Mitglieder des »Jungle World«-Kollektivs haben auf Demos im Sinne breiter Bündnisse schon einige Unzumutbarkeiten tolerieren müssen.

Bei der großen Demonstration gegen Rechtsextremismus am Wochenende wünschte sich ein Redner »mehr Führung« vom Bundeskanzler. Ob er damit dessen Versprechen meinte, »im großen Stil« abzuschieben, erwähnte er nicht. Aber so ist das eben meistens, wenn man für eine Sache auf die Straße geht: Man kann man sich seine Mitdemonstranten nicht immer aussuchen (viele Redebeiträge seien aber auch sehr gut gewesen, sagt ein Kollektivmitglied).

Wenn es um ein unterstützenswertes Anliegen geht, hört man sich auch manches an. Wer zum Beispiel im Oktober in Berlin bei der großen Solidaritätskundgebung für Israel war, hat dort auch einer Rede des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) gelauscht. Das habe einem Kollektivmitglied nach eigenen Angaben auch keine größeren Bauchschmerzen gemacht als so manche »Linke« (Anführungszeichen im Original), mit denen es vorher zum Beispiel für die Enteignung der Wohnungskonzerne demonstriert habe.

Wirklich vermeiden lassen sich unangenehme Mitdemonstranten nur, wenn man ganz alleine auf die Straße geht.

Manchmal kann das Protestbündnis aber auch ein wenig zu breit sein. Die Erfahrung machte ein Kollege bei seinem letzten Besuch des Kreuzberger transgenialen CSD, als er feststellen musste, wie viele BDS-Unterstützer dort mitliefen. Da wurde er plötzlich vom Demonstranten zum Beobachter – und schrieb später seinen ersten Text für die Jungle World über die Erfahrung. Etwas Gutes hatte das Ganze also.

Etwas Ähnliches erlebte ein anderer Kollege, als er das erste Mal in Berlin demonstrieren ging, nämlich beim 1. Mai 2016. Eigentlich habe er gar nicht mitlaufen, sondern sich das Ganze vom Balkon anschauen wollen, sei dann aber doch mittendrin gelandet. Irgendwann habe er gemerkt, dass er seit gut einer Stunde nur unweit vom BDS-Block mitgelaufen war.

Das sei auch für ihn der Moment gewesen, an dem er sich vom Demonstranten zum Beobachter verwandelte. Er habe dann mit einer kleinen Gruppe am Rand gestanden, in der einer eine winzige Israel-Flagge hochgehalten habe. Als der BDS-Block vorbeigekommen sei, seien sie angegriffen worden, man habe sie mit Spezi beschüttet und mit Fahnenstangen nach ihnen geschlagen.

Meistens aber – wenn man sich die Demonstrationen gut aussucht – sind die anderen Menschen dort erträglich, manchmal sogar sympathisch, und allerhöchstens ein kleines Ärgernis. Die Musik sei häufig sehr schlimm, so hört man im Kollektiv, das ständige Trommeln gehe auf die Nerven – aber wenn’s der Sache dient, erträgt man es halt.

Wer braucht schon Freunde?

»Wer braucht schon Freunde?« Alleine auf die Straße wäre ganz im Sinne des alten »Jungle World«-Mottos

Bild:
Archiv 2. Juni

Wirklich vermeiden lassen sich unangenehme Mitdemonstranten nur, wenn man ganz alleine auf die Straße geht. In Russland geschieht das in jüngster Zeit häufiger: Rechtlich gesehen gilt das dann nicht als Demonstration, so dass man für seinen Protest eigentlich nicht festgenommen werden kann. Das passiert natürlich trotzdem häufig. Man darf vermuten, dass die wenigen Leute, die sich noch trauen, in Putins Russland mit einem oppositionellen Anliegen auf die Straße zu gehen, sich wohl eher das vielzitierte breite Bündnis wünschen würden.

Kreuzworträtsel
Um es klar auszusprechen: Wittgenstein hielt nicht Trotzki, sondern Tolstoi für einen großen Schriftsteller. (Jungle World 2/2024, Dschungel-Seiten 10/11)