Durchtanzte Nächte und fast 60: Im Zoo geht dem analogen Mann die Puste aus

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Erschöpft

»Ja, du bist jetzt auch schon bald 60. Vielleicht kannst du nicht mehr drei Nächte in der Woche tanzen gehen?« vermutet Julia mit mahnendem Unterton. »Das würde dir gefallen! Nee, Nee, daran liegt es nicht«, antworte ich erschöpft. »Ich glaube, ich bin krank. Vielleicht habe ich Corona? Ich sollte einen Test machen. Oder vielleicht ist es nur die berühmte Frühjahrsmüdigkeit? Ist doch seltsam, diese Schlappheit. Schon die ganze Woche lang bin ich vollkommen erschöpft.«

Ich weiß natürlich, das sie recht hat, aber will es nicht zugeben. Ich bin in meinem Erwachsenenleben immer mehrmals in der Woche ausgegangen und das soll sich auch nicht ändern. Ich trinke keinen Alkohol mehr, esse keinen Quatsch und bin allgemein so fit wie seit zehn Jahren nicht.

Eigentlich habe ich immer sehr viel Spaß daran, gemeinsam mit Julia draußen zu zeichnen. Jetzt werfe ich motorisch zwei, drei wilde Striche aufs Papier.

Trotzdem ist es wahrscheinlich nicht vorgesehen, dass man bis ins Greisenalter durchfeiert. Macht ja auch sonst niemand. Die meisten Leute müssen morgens sehr früh aufstehen, sind beruflich eingebunden, haben Familie und darüber irgendwann den Spaß am Ausgehen verloren.

Am Dienstag hat das Toolbox Orchestra im Crack Bellmer gespielt. Ich habe vier Stunden getanzt. Müde bin ich um ein Uhr eine anstrengende halbe Stunde mit dem Fahrrad von Friedrichshain zurück nach Kreuzberg gefahren.

Wie jede Woche hat am Donnerstag das Time Rag Departement in der Villa Neukölln gespielt. Wieder habe ich zwei Stunden lang getanzt, Platten aufgelegt und bin erschöpft um halb zwei nach Hause geradelt.

Am Freitag waren Julia und ich auf der Party einer Freundin. Wieder habe ich stundenlang getanzt. Am Samstag waren Julia, unsere Freundin Anja und ich im Zoo. Sehr müde, an der Grenze zur Bocklosigkeit sitze ich in der »Welt der Vögel«, einem offenen Gehege, in dem die Vögel ganz nah an uns herankommen.

Eigentlich habe ich immer sehr viel Spaß daran, gemeinsam mit Julia draußen zu zeichnen. Jetzt werfe ich motorisch zwei, drei wilde Striche mit dem »Pitt Oil Based Extra Soft«-Stift von Faber-Castell aufs Papier. Ich liebe diesen Stift, es ist wirklich der beste Zeichenstift für schnelle Skizzen, mit dem sich ganz zarte, aber auch wuchtige, fette Linien darstellen lassen.

Meine Zeichnung sieht schlimm aus. Dann kommt auch schon die Durchsage: »Sehr geehrte Gäste, der Zoo schließt in wenigen Minuten … « Wir gehen zu Anja nach Hause und machen Retusche. Stundenlang sitzen wir gemütlich zusammen und aquarellieren. Mein ursprünglich rohes Bild wird zarter.

Müde, aber zufrieden schleppe ich mich am späten Abend nach Hause. Am Sonntag habe ich Schüttelfrost, bin dann plötzlich fiebrig. Ich schlafe lange und bin am Montag vollkommen wiederhergestellt. Wahrscheinlich habe ich mir das alles doch nur eingebildet. Auf jeden Fall freue ich mich jetzt schon auf morgen, da ist wieder Jam Cats, die monatliche Jam Session im Crack Bellmer.