Die Kulturpartnerschaft zwischen PLO und DDR sollte das Nation Building befördern

Arafats Gespür für Bilder

Mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) pflegte die DDR eine enge Kulturpartnerschaft. Die Palästinenser setzten die Kultur für ihre weltweiten Solidaritätskampagnen ein, die DDR wollte mit Hilfe der Kunst ihre Eigenständigkeit demonstrieren. Für beide Seiten sollte die Kunst eine Nationalkultur stiften.

In den 40 Jahren ihres Bestehens unternahm die DDR zahlreiche Anstrengungen, um sich als eigenständige Nation zu profilieren. Aus dem von sowjetischen Truppen besetzten mitteldeutschen Restterritorium sollte ein neues Deutschland, eine sozialistischen Nation werden, die die wahre deutsche Kultur verkörpert. Vor allem der Leistungssport wurde hierfür als Instrument genutzt, aber auch Kunst und Kultur sollten die Leistungsfähigkeit und Überlegenheit des sozialistischen deutschen Staates demonstrieren.

Es ist auch heute eine weit verbreitete Strategie, die bildende Kunst im Rahmen internationaler Diplomatie einzusetzen. Kulturaustausch spielt eine wichtige Rolle in jenen »Soft Power«-Konzepten, die Nationalstaaten und Metropolen zur Verbesserung ihres Images entwickelt haben.

Marketingtechnik im Rahmen des nation branding

Kunstausstellungen und Museumskooperationen bahnen der Politik ihren Weg, dienen zugleich aber auch als zeitgemäße Form der Propaganda. Es handelt sich um eine Marketingtechnik im Rahmen des nation branding, die sowohl von Demokratien als auch von autoritären Systemen genutzt wird.

Zudem hat sich die Überzeugung verbreitet, dass die bildende Kunst bei der inneren Formierung einer Nation eine konstruktive Rolle spielen könnte. Die DDR versuchte bereits in den siebziger und achtziger Jahren, positive Assoziationen, die mit moderner Kunst verbunden sind, auf das eigene politische System zu übertragen und zudem einen engen Kulturaustausch mit verbündeten Staaten und politischen Bewegungen zu pflegen. Ein Schwerpunkt dieser Politik war der Nahe Osten, und hier vor allem die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO).

Viele afrikanische und asiatische Nationen erlangten die Unabhängigkeit in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Einige mussten beim nation building quasi bei null anfangen. Für den realsozialistischen Staatenblock ergab sich damals die historische Chance, sich zu einem globalen System zu erweitern und strategische Überlegenheit zu erreichen.

Auf verschiedenen Ebenen agierte die DDR in Afrika und Nahost als Juniorpartner der UdSSR und bemühte sich, den Staatsaufbau in diesen Regionen voranzutreiben. Man unterstützte nationale Befreiungsbewegungen, von denen man glaubte, dass sie eines Tages Territorien beherrschen würden, so auch die PLO und die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), von denen die Staatsführungen in Moskau und Ostberlin hofften, dass sie ein zukünf­tiges Palästina dem östlichen Lager zuführen würden. Nicht nur durch Hilfe und Zusammenarbeit in den Bereichen von Militär, Wirtschaft und Verwaltung sollte langfristiger Einfluss auf die neuen Führungsschichten jener Staaten beziehungsweise jener Staaten, deren Bildung man erwartete, gesichert werden, sondern auch durch den Export von Kunst und Bildung.

Es sollte der Eindruck erweckt werden, dass hier ein Kulturvolk um seine Existenz kämpft, nicht etwa eine dubiose Terrororganisation, der es um den eigenen Machtzuwachs geht.

Für die PLO trat in den frühen siebziger Jahren eine internationale ­Solidaritätsbewegung ein, die in ihrer Intensität und Massenwirkung nach dem Zweiten Weltkrieg beispiellos war. Hier versuchte sich die DDR als strategischer Partner zu profilieren. 1973 hatte der Verband Bildender Künstler der DDR Beziehungen zur PLO-nahen Union of Palestine Artists aufgenommen. Zusammen mit dem palästinensischen Kunsthistoriker und Maler Ismail Shammout (1930–2006) wurde der Plan gefasst, eine Gruppenausstellung palästinensischer Künstler in der DDR zu veranstalten und regelmä­ßige Kontakte beider Künstlerverbände zu pflegen.

Shammout, der nach der Vertreibung aus Lydda nahe Tel Aviv mit seiner Familie zunächst im Gaza-Streifen lebte, studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Kairo, wo seine Karriere als Künstler und Kulturfunktionär begann. Er wurde nach seiner Rückkehr in den Gaza-Streifen nicht nur Leiter der PLO-Kulturabteilung, sondern war in Personalunion auch Generalsekretär der Vereinigungen arabischer und palästinensischer Künstler. Kunst und Kultur verstanden die Palästinenser explizit als notwendige Elemente ihres Kampfes.

1964 wurde die PLO gegründet; die Organisation rief im Jahr darauf ­bereits eine Abteilung für Kunst und Kultur ins Leben: Diese hatte die Aufgabe, Plakate, Filme, Kunstwerke, Theater- und Tanzaufführungen und ­Publikationen zu produzieren und zu verbreiten. Kultur war gefragt als Bindemittel für das zu entwickelnde Nationalbewusstsein der in viele Länder verstreuten Exilpalästinenser. Kunstsammlungen sollten den Grundstock für Museen und andere staatliche Institutionen eines zu gründenden Staates Palästina bilden.

Huldigung einer dubiosen Terrororganisation. Ismail Shammout: »Fateh«, 1972

Huldigung einer dubiosen Terrororganisation. Ismail Shammout: »Fateh«, 1972

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Zugleich sollte aber die Weltöffentlichkeit auf der Ebene der Kultur von der Legitimität des Kampfes überzeugt werden. Es sollte der Eindruck erweckt werden, dass hier ein Kulturvolk um seine Existenz kämpft, nicht etwa eine dubiose Terrororganisation, der es um den eigenen Machtzuwachs geht – ein heikler Punkt, war doch Palästina bislang bloß eine ehemalige osmanische Provinz mit konfessionell gemischter Bevölkerung und ohne ausgeprägte regionale Identität gewesen.

Diese musste erst geschaffen werden. Wanderausstellungen mit Trachten und kunsthandwerklichen Produkten Palästinas gingen nun in Europa auf Tour, wurden oft auch in der DDR gezeigt. PLO-Führer Yassir Arafat besuchte Ostberlin ein halbes Dutzend Mal. Weitere wechselseitige Ausstellungen in Berlin und Beirut folgten, wobei die Einladung von einigen DDR-Künstlern in den Libanon den eigentlichen Höhepunkt der Kulturbeziehungen zwischen der DDR und der PLO darstellte.

Begegnung mit Arafat

In der Zeit des libanesischen Bürgerkrieges beherrschte die PLO weite Teile des Landes und der Hauptstadt Beirut, um von dort aus den Kampf gegen Israel weiterzuführen. Fünf ostdeutsche Künstler, Edmund Bechtle, Falko Behrendt, Uwe Bullmann, Christian Heinze und Günther Rechn, besuchten 1980 während ihrer Reise Ortschaften im Süden des Libanon, die umkämpfte Bekaa-Ebene und ­andere Kriegsschau­plätze sowie einige Flüchtlingslager.

Dabei kam es auch zu einer Begegnung mit Arafat. In der Galerie der Union Palästinensischer Künstler im von der PLO beherrschten Westteil Beiruts wurde ein Jahr später die Ausstellung unter dem Titel »Palästina kämpft – Malerei und Grafik von fünf Künstlern aus der DDR« eröffnet. Hier präsentierten die ostdeutschen Künstler die Ergebnisse ihrer Reise. Es dominierten Landschaftsbilder, Szenen aus dem Leben in den Flüchtlingslagern und Porträts von Kindern, Frauen und Kämpfern.

Der PLO war es gelungen, Kunst und Kultur geschickt und intensiv für ihre politische Ziele einzusetzen; wohl kaum eine andere nationale Befreiungsbewegung ist im Bestreben erfolgreicher gewesen, eine derartig große Resonanz zu erzeugen und sich in einem solchen Ausmaß internationale Solidarität zu sichern.

Eine Sondermaschine der Interflug hatte Künstler, Diplomaten und Botschaftsmitarbeiter eigens dafür nach Beirut gebracht. PLO-Militärverbände zogen vorbei, es gab gelegent­liche Schusswechsel und Bomben­angriffe israelischer Flugzeuge. Doch die Ausstellung in belebter Stadtlage fand trotz der unsicheren Situation Interesse beim Publikum. Die DDR-Künstler waren offizielle Gäste der PLO und wurden von deren Sicherheitskräften begleitet und abgeschirmt. Die Künstlerdelegation besuchte Dörfer, ein Krankenhaus und militärische Stellungen der Fatah. Es gab zudem Treffen mit arabischen Künstlerkollegen in ihren Ateliers.

Ein Höhepunkt war die Besichtigung der Kunstsammlung, die sich im Besitz der PLO befand. Weitere Ausstellungen palästinensischer Künstler in der DDR sollten folgen, wie auch von ostdeutschen Künstlern im Kulturzentrum der PLO in Beirut, etwa die Ausstellung »60 Jahre politische Grafik« und eine Einzelausstellung Walter Womackas. Der PLO war es gelungen, Kunst und Kultur geschickt und intensiv für ihre politische Ziele einzusetzen; wohl kaum eine andere nationale Befreiungsbewegung ist im Bestreben erfolgreicher gewesen, eine derartig große Resonanz zu erzeugen und sich in einem solchen Ausmaß internationale Solidarität zu sichern.

Dennoch zeigt das Beispiel der Achse DDR–PLO, dass die Wirkung der Kunst auf das nation building nicht überschätzt werden darf. Dass die DDR nicht mehr existiert und die Palästinenser noch immer auf ihren eigenen Staat warten, lag sicher nicht am mangelnden Engagement der beteiligten Künstler und Künstlerinnen, sondern an historischen Faktoren, die stärker sind: Ökonomie und politische Machtverhältnisse.