Freitag, 19.04.2019 / 19:37 Uhr

Betreutes Grooven

Von
Knud Kohr

Meine Damen und Herren, geht es Ihnen gut? Freut mich zu lesen. Da es mir nämlich auch ziemlich gut geht, haben wir etwas gemeinsam. Sind also quasi schon zu zweit. Und zu zweit ist man weniger allein. Wie man schon den Inschriften antiker Vasen aus Mesopotamien entnehmen kann. Oder aus dem alten Ägypten? Oder gar dem Zweistromland?

Meine Damen und Herren, Auf jeden Fall ahnen Sie, dass ich gerade wieder mit meinem Nachmittagstief zu kämpfen habe, das mich fast täglich überfällt. Ungefähr auf halber Strecke zwischen meiner Morgenirritation und der abendlichen Erschöpfung.

Nun, meine Damen und Herren, als ich gerade eben eine Mittagspause an der Straße einlegte, rollte ich fast in einen alten Freund hinein. „Hallo, Knud, lange nicht mehr gesehen“, grinste er breit. „Hallo, wie viele Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen?“ Spontan entschloss ich mich, ebenso spontan wie trocken zu husten. „Tschuldigung“, quetschte ich dann zwischen den einzelnen Hustern hervor. Weil mir nämlich mehrere Fakten zu dem Mann praktisch gleichzeitig einfielen.

Erstens hatte ich ihn auf einem Meeting der Anonymen Narkotiker (NA) kennengelernt, das ich seit einigen Jahren nicht mehr besuchte. Zu meinen zwanzigsten Cleanjubiläum vor drei Jahren hatte ich mich noch zu einigen Meetings einladen lassen. Wo ich dann eine halbe Stunde lang über meine eigenen Erfahrungen mit dem cleanen Leben berichten durfte.

„Just for today“, also nur für heute war einer der prägnanten Sätze, die mich von Anfang an bei NA angesprochen hatte. Zu der Zeit hatte ich schon eine mehr oder minder lebensbedrohliche Karriere als Alkoholiker hinter mir. Bei meinem letzten Rückfall wurde ich mit vier Komma drei Promille mit Blaulicht in die Nervenklinik Spandau gefahren. Wo ich dann mehrere Tage brauchte, um halbwegs wieder nüchtern zu werden. Bis ich die Klinik wieder verließ, verging mehr als ein halbes Jahr.

Jeden zweiten Tag bekam ich Besuch von einer Frau aus Basel, die für knapp zwei Jahrzehnte meine Freundin werden sollte. Über all das redete ich also während der halben Stunde, die ich zum Jubiläum von den Narkotikern geschenkt bekommen hatte. Warum ich zu einem der wenigen Alkoholiker geworden war, die eine so lange Strecke ohne Rückfall geschafft haben, kann ich gar nicht sagen. Schon wieder einen Rückfall knapp zu überleben, schon wieder halbtot eingeliefert zu werden, schon wieder in einem Sechsbett-Zimmer zwischen ein paar stinkenden und schnarchenden Männern aufzuwachen, all das wäre mir vielleicht auch nur zu peinlich gewesen. Und zu langweilig.

Denn das ist vielleicht das stärkste Argument für das Cleanbleiben: Die Alternativen sind so todlangweilig. Ich ließ mich also von dem Mann, der mir zugelaufen war, in ein Gespräch verstricken, das rund um die Frage ging, wie ich eigentlich Alkoholiker wurde. Und wie viele Gläser Alkohol man in der Woche trinken kann, ohne zum Alkoholiker zu werden. Schon nach wenigen Minuten übernahm mein innerer Homer Simpson. „Laang-weilig“ sagte der. Wenig später würgte ich das Gespräch ab. Komplimentierte den Mann aus meiner Wohnung. Und saß dann noch ein wenig allein bei mir herum. Zuerst vor dem Computer, und dann auf meinem Balkon.

Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, richtig unterhaltsam wird der Tag auch für mich nicht mehr. Aber immerhin – sobald es dunkel wird und ich ins Bett gebracht werde, hat es mal wieder geklappt mit dem „Just for today“. Und ja, meine Damen und Herren, war schon ganz schön langweilig, dieser Tag. Manchmal gibt es leider nicht mehr. Aber wenn ich mir vorstelle, das ich gerade jetzt ein Wasserglas Wodka in den Rachen kippen würde, um mir danach einzureden, dass erstens alles nicht sooo schlimm sei und dass zweitens einer wie Keith Richards ja schon viel länger mit viel härteren Drogen lebt, dann, ja dann, meine Damen und Herren, erschiene mir ein beherzter Sprung aus dem Fenster vielleicht als tragfähigere Alternative. Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche wieder.