Samstag, 06.04.2024 / 22:36 Uhr

Moria in Berlin

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Das Ankunftszentrum Berlin-Tegel, Bildquelle: Wirhelfenberlin.de

Seit langem ist bekannt, dass die Zustände im "Ankunftszentrums für Geflüchtete" in Berlin-Tegel katastrophal sind. Nun melden sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtung zu Wort.

 

Die Zustände in dem Ankunftszen­trum sind insgesamt katastrophal. Pro Person stehen nur wenige Quadratmeter zur Verfügung. Es fehlt an Privatsphäre. Die hygienischen Zustände sind untragbar. Mitarbeiter sprechen von über mehrere Tage hinweg verstopften Toiletten und mangelnder medizinischer Versorgung. Nichtregistrierte Asylbewerber würden nur notdürftig versorgt

Dies schrieb im Dezember 2023 Ralf Fischer in der Jungle World.über diese Einrichtung, die man offenbar guten Gewissens mit dem alten Moria auf Lesbos vergleichen kann, denn offenbar herrschen dort ähnlich unmenschliche Zustände, an denen sich dann noch obskure Organisationen und Personen eine goldene Nase verdienen.

Gegenüber dem ND berichteten nun drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums anonym, wie es dort zugeht. Sie sprechen über diejenigen, die den Laden leiten:

Martin, Claudia und Matthias arbeiten seit mindestens einem Jahr auf der unteren Ebene eines der beteiligten Hilfswerke. Die Johanniter, der ASB Berlin-Nordwest, die Malteser und drei Kreisverbände des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) teilen die unterschiedlichen Bereiche der Unterkunft unter sich auf, die federführende Leitung hat das Berliner DRK Sozialwerk (DRK-SWB) inne.

Wenn Martin von Leitungskräften erzählt, dann spricht er nur von den »Nachtclubleuten«. Denn auf der Führungsebene finden sich viele Menschen, die vorher in der Berliner Musik- und Clubszene arbeiteten. Während der Corona-Pandemie fanden sie einen Job im Impfzentrum in Tegel, das ebenfalls vom DRK-SWB geführt wurde. »Die ganzen Nachtclub-Mitarbeiter waren arbeitslos«, erklärt Martin den Wechsel in die Gesundheitsarbeit. (...)

So herrsche eine Atmosphäre des Unwissens und der Untätigkeit, weil die Mitarbeiter*innen auf unterster Ebene keine Aufgaben zugewiesen bekämen. »Weil es nichts zu tun gab, hieß es irgendwann, wir sollen uns Arbeit ausdenken. Jetzt müssen wir rumlaufen, aber das ist nur Show«, sagt Martin. Als Sozialbetreuerin müsste sie dann »nach dem Rechten schauen«, damit nicht zu viele Angestellte gleichzeitig am Counter des jeweiligen Zeltkomplexes säßen. Claudia ergänzt: »Die Hilfswerke beschönigen die Arbeit, die wir machen, immer für die höhere Ebene.«

Von ihrer tatsächlichen Arbeit – der Betreuung von Geflüchteten im Camp – halte die Schichtleitung sie ab. Schon der Kontakt zu den Bewohner*innen sei nicht erwünscht. »Wenn du zu den Gästen freundlich bist, heißt es: Mach das nicht, sonst fliegst du raus«, sagt Matthias. Claudia stimmt zu: »Wenn du Geflüchtete unterstützen willst, zum Beispiel bei einem Sozialantrag oder bei der Wohnungssuche, musst du damit rechnen, dass dein Vertrag nicht verlängert wird.« Weil die Verträge meist auf drei Monate befristet seien, ginge das schnell und ohne Begründung. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) bestätigt die Befristung: »Bis Ende 2023 wurden die verschiedenen dort tätigen Hilfsorganisationen vertraglich immer nur für drei Monate gebunden.«

Um die Flüchtlinge dagegen kümmert sich niemand, ja wer es tut, dem droht die Kündigung. Rechts- oder psychologische Beratung: Fehlanzeige. Von hygienischen Bedingungen ganz zu schweigen:

Laut Claudia, Matthias und Martin erschwere die mangelnde Betreuung und die Untätigkeit der Leitung den Bewohner*innen nicht nur das Ankommen, sie gefährdet ihre Gesundheit. »Alle sind ständig krank«, sagt Martin. Das liege an unhaltbaren Hygienezuständen. »Seit einem Jahr gibt es selten Seife auf den Toiletten, keine Trockentücher und kein Desinfektionsmittel«, sagt Claudia. Wenn sie den Mangel meldeten, heiße es bei ihrem Hilfswerk, dass eine externe Firma zuständig sei. »Und dann passiert nichts.« Bei defekten Toiletten und Duschen komme dieselbe Antwort. »Es wird sich nur die ganze Zeit darum gestritten, wer zuständig ist.« Zuletzt hätten in ihrem Zeltareal nur drei Frauenduschen funktioniert, von 40 Toiletten war die Hälfte gesperrt. (...)

 

Die drei Mitarbeiter*innen zeigen Fotos, die sie heimlich in den Leichtbauhallen aufgenommen haben. Das sei eigentlich absolut verboten, sagt Martin. Darauf zu sehen: große Wasserlachen auf den Böden der Schlafzelte und der Bäder, leere Desinfektionsspender, defekte Waschbecken hinter rot-weißem Absperrband, Seifenbehälter ohne Seife, verstopfte Klos, Müll in den Sanitäranlagen.

Die Tische in den Essensbereichen würden überhaupt nicht gereinigt – wohl ebenfalls mit der Begründung, dass die Hilfswerke nicht zuständig seien. Auch das belegen Fotos: Essensreste und Pappgeschirr liegen auf den Tischen und am Boden, außerdem würden wohl die Tischoberflächen nicht desinfiziert, berichten die drei.

Es lohnt den ganzen Bericht zu lesen und dem ND gebührt Dank, ihn veröffentlicht zu haben. Er endet mit der Information, dass "am 26. März 2024 der Berliner Senat (beschloss), den Betrieb des Ankunftszentrums für ein weiteres Jahr bis Ende 2025 zu verlängern".