Vor zehn Jahren startete »Orange Is the New Black«

Als würde man Dickens lesen

Die Serie »Orange Is the New Black«, die sieben Staffeln lief, erzählte die Geschichte eines Frauengefängnisses – und nutzte dabei Realismus statt Phantasie und Humor statt Belehrungen.

2,5 Milliarden US-Dollar – ein Geldregen dieses Ausmaßes prasselt derzeit auf die Filmbranche von Südkorea ein, und zwar aus der Tasche von Netflix, wie der Medienkonzern kürzlich wissen ließ. Der Grund dafür: Die Serienproduktionen aus dem ostasiatischen Land zählen zu den beliebtesten des Streaming-Diensts, allen voran der sadistische Gewaltporno »Squid Game«, der im Monat nach seiner Veröffentlichung von ganzen 142 Millionen Konten angeklickt wurde – ein Rekord für Netflix. Platz zwei nimmt der Kostümschinken »Bridgerton« ein, eine Art »Gossip Girl« im England der Romantik. Und als die Sci-Fi-Serie »Stranger Things« auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs war, druckte H&M ihr Logo auf T-Shirts und Hoodies.

Doch eine Serie taucht auf den meisten Listen der angeblich besten Serien nie auf, ist nicht mehr unter den Top Ten der Netflix-Shows mit den meisten Aufrufen, hat nicht, obwohl durchaus nominiert, massenhaft Preise abgesahnt (Uzo Aduba erhielt als Einzige aus dem Cast für ihre Rolle als Suzanne »Crazy Eyes« Warren einen Emmy) und ist auch sonst nahezu vergessen. Die Rede ist von »Orange Is the New Black«, dem einstigen Flaggschiff von Netflix, und es hat gerade einmal zehn Jahre gedauert, bis die im Juli 2013 erstmals ausgestrahlte Serie in der Versenkung verschwunden ist. Das ist umso absurder, als »Orange Is the New Black« tatsächlich Fernsehgeschichte geschrieben hat: Dass man sogleich Zugriff auf eine gesamte Staffel (in diesem Fall bestehend aus jeweils 13 Folgen) erhielt, ist heutzutage eine Normalität beim Streamen, wurde aber bei »Orange Is the New Black« mit zum ersten Mal prominent ausprobiert – und hat wohl nicht wenig Schuld daran, dass sich das binge watching etabliert hat.

»Orange Is the New Black« ist auch ein Zeugnis einer Zeit, in der man noch in emanzipatorischer Absicht derbe, wild und witzig über »race«, »class« und »gender« sprechen konnte.

Der diverse Cast der Serie war vor einem Jahrzehnt noch etwas Beson­deres, und zwar genau deswegen, weil eine Serie voller tragender weiblicher, lesbischer, afroamerikanischer oder lateinamerikanischer Figuren noch etwas Radikales an sich hatte, gewagt war – mittlerweile hat sich beispielsweise Amazon Studios selbst auf sogenannte Inklusionsrichtlinien verpflichtet und damit aus der radikalen Setzung von einst einen reinen Verwaltungsakt gemacht. »Orange Is the New Black« war nicht zuletzt in Hinblick auf das Storytelling visionär: Die Serie war einem unkitschigen Sozialrealismus verpflichtet, was sich vor allem in den Dialogen zeigt, in denen die Protagonistinnen ungeschönt so sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Ein Koffer voller Geld
Einfach unterzubringen war die Serie allerdings nicht: Jenji Kohan, die Schöpferin von »Orange Is the New Black«, arbeitete zwar schon Jahrzehnte fürs Fernsehen, hatte unter anderem für »Friends«, »Sex and the City« und »Gilmore Girls« geschrieben und nur kurz zuvor ihre Serie »Weeds« (in der es ebenfalls um Kriminalität geht) nach stolzen acht Staffeln zum Abschluss gebracht, doch all das half nicht. Die Sender HBO und Showtime lehnten ab.

Dabei war bereits das Buch, auf dem die Serie basiert, ein Bestseller gewesen. »Orange Is the New Black: My Year in a Women’s Prison« erschien 2010, es sind Memoiren von Piper Kerman, die 2004 wegen Drogenhandel und Geldwäsche zu 15 Monaten Haft verurteilt worden war. Ein Jahrzehnt zuvor hatte sie einen Koffer voller Geld für ihre Geliebte geschmuggelt, die im Drogengeschäft tätig gewesen war.

Taystee (Danielle Brooks, 2. v. l.) lässt sich während des Aufstands im Gefängnis nicht bestechen

Burning Cheetos. Taystee (Danielle Brooks, 2. v. l.) lässt sich während des Aufstands im Gefängnis nicht bestechen

Bild:
JoJo Whilden / Netflix

Genauso ergeht es in der Serie Piper Chapman (Taylor Schilling), die, frisch verlobt mit Larry (Jason Biggs), ihre Haftstrafe in einem Gefängnis unweit von New York City antreten muss. Piper stammt aus einer typischen Mittelschichtsfamilie – und hat es trotzdem, oder gerade deswegen, faustdick hinter den Ohren. Im fiktiven Gefängnis von Litchfield, New York, angekommen, bekommt sie aber sogleich ihre erste Abreibung, denn auch ihre ehemalige Geliebte Alex Vause (gespielt von der unglaublichen Laura Prepon), die ihr den ganzen Mist eingebrockt hat, sitzt hier ein. Über sieben Staffeln wurde die Geschichte von Piper, Alex und all den anderen Insassinnen erzählt, von einer Weihnachtsfeier oder einem Muttertag im Gefängnis über die Verabschiedung entlassener Mithäftlinge, Drogengeschäfte innerhalb der Gefängnismauern, die Schwangerschaft von Dayanara »Daya« Diaz (Dascha Polanco) und die Privatisierung des Gefängnisses bis hin zu einem Aufstand in selbigem und schließlich der Verlegung der Insassinnen in den Hochsicherheitstrakt. Der Zeitraum, in dem die Serie selbst spielt, umfasst dabei nur knapp 15 Monate.

Humor als Strategie
Das Besondere an »Orange Is the New Black« ist neben dem schon erwähnten Cast ihr Humor. Ein Humor, der schwarz ist, böse, der jeder Triggerwarnung trotzt. »Ich glaube, Humor ist eine Überlebensstrategie«, sagte Produzentin Jenji Kohan in einem von Netflix zu Promo-Zwecken geführten Interview, um es in einem anderen zu wiederholen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Plan nicht gewesen sei, ein Gefängnis als »Spaß« darzustellen. Aber dennoch, sie fährt fort: »Niemand ist die ganze Zeit ernst.« Vor zehn Jahren mag das noch der Fall gewesen sein, heute trifft das angesichts von lauter Moralaposteln, Miesepetern und Kulturkämpfern, die sich quer durch die Gesellschaft tummeln, nicht mehr zu. »Orange Is the New Black« ist deswegen auch das: ein Zeugnis einer Zeit, ­in der man noch in emanzipatorischer Absicht derbe, wild und witzig über race, class und gender sprechen konnte.

Wie großartig das in »Orange Is the New Black« gelingt, lässt sich an einer einzigen Szene aus der ersten Staffel der Serie zeigen. In ihr dreht sich alles um die Wahl eines Gefängnisrats, jede Gruppe des Gefängnisses soll eine Repräsentantin bekommen, die die Kommunikation mit dem Gefängniswärter und Sozialarbeiter Sam Healy (Michael J. Harney) übernimmt. Jede Gruppe? In der Tat, im Gefängnis herrscht selbstgewählte Segregation: Weiße, Schwarze und Latinas sprechen kaum miteinander, bleiben unter sich und haben designierte Schlaf- und Waschräume – ein nicht von der Serie erfundenes, sondern durchaus realistisches Szenario. Healy setzt diese Wahl nun nicht an, um der Demokratie zu huldigen – er hat einfach keine Lust, dauernd von allen möglichen Insassinnen angesprochen zu werden, er will seine Ruhe haben, was er sich davon verspricht, wenn er nur noch mit fünf Frauen (auch die älteren Frauen, die sogenannten Golden Girls, bekommen eine Repräsentantin, so wie die »others«) zu tun hat als mit Hunderten.

Piper (Taylor Schilling, l.) und Alex (Laura Prepon)

Sie küssten und sie schlugen sich. Piper (Taylor Schilling, l.) und Alex (Laura Prepon)

Bild:
JoJo Whilden / Netflix

Und so bereiten sich die Insassinnen in der Mensa beim Mittagessen auf die Wahl vor, kandidieren, hecken Wahlslogans aus und diskutieren nebenbei darüber, was im Gefängnis so alles schiefläuft. Am Tisch der weißen Frauen wird es linksliberal: Piper ist ganz konsterniert über das Prozedere, dass jeder »Tribe«, wie es ihr Lorna Morello (Yael Stone) in rassistischer Manier erklärt, nur seinesgleichen wählt, und wirft ein: »Nicht jeder Hispanic will dasselbe!« Was Lorna sogleich grinsend mit der Aussage quittiert: »Doch, sie alle wollen nach Amerika kommen.«

Auch die Transfrau Sophia Burset (Laverne Cox) am Tisch der Schwarzen will politisch debattieren und nicht wie ihre schwarzen Mitgefangenen über die Kontrolle über das Fernsehprogramm, denn die Gesundheitsversorgung ist mies und die Menschenwürde ist durch lauter übergriffige Wärter in Mitleidenschaft gezogen. »Du wirst diesen Scheiß nie ändern!« wirft Tasha »Taystee« Jefferson (Danielle Brooks) ein, um sogleich mit ihrer ebenfalls am Tisch sitzenden Freundin Poussey Washington (Samira Wiley) die »white people politics« von Sophia zu persiflieren, indem die beiden mit verstellten Stimmen ein typisches Gespräch zweier betu­licher Mittelschichtsfrauen nachäffen, das sich nur kurz um Gesundheitsversorgung dreht und schnell bei den Themen Veganismus, Yoga und Weinverkostung landet.

Um Essen geht es zunächst auch am Tisch der lateinamerikanischen Frauen. »If you want more pizza, vote for Maritza« lautet der Wahlslogan der sichtlich stolzen Maritza Ramos (Diane Guerrero). Ihre beste Freundin Marisol »Flaca« Gonzales (Jackie Cruz) ist nicht sonderlich begeistert, lenkt das Gespräch aber sogleich auf ein anderes Thema, nämlich darauf, dass ihr Onkel ihr einmal erzählt habe, schwarze Menschen könnten nicht schwimmen, da ihre Knochen zu schwer seien. Nachdem Flaca ausgelacht wurde, holt Aleida Diaz (Elizabeth Rodriguez) aus: »Sie stinken, sind dumm und faul, aber ihre Knochen sind nicht anders!«

Die Kamera hebt ab und schwebt über die Köpfe der mittlerweile grölenden und jauchzenden Frauen. Was man hier zu sehen bekommt, ist ein schonungsloses Bild von Gesellschaft in nuce: Nicht nur sind im Gefängnis die Dynamiken aller möglicher Institutionen wie der Schule, dem Heim (ein Kinder- wie ein Altenheim), einer Jugendherberge oder einer Psychiatrie auf die Spitze getrieben. Auch sind die hier zusammengepferchten Menschen dauernd hin- und hergeworfen zwischen privaten Interessen und politischen Positionen, sie sind konfliktbeladen, rücksichtslos, widersprüchlich, sie sind rassistisch und ekelhaft und immer zur Aushandlung genötigt – Rückzug ist keine Option, das System hat sie in der Mangel. Die Szene zeigt die Prinzipien der Serie auf: Erstens ist sie getrieben von den Dialogen, und zweitens wird hier eine humanisierende Bloßstellung der Hauptfiguren betrieben – und um diese zu erreichen, muss gegen alles und jeden gefeuert werden.

Unterhalten und Aufklären
»Generell scheue ich mich nicht vor viel«, erzählte Kohan schmunzelnd im schon erwähnten Interview, was erklärt, wieso die Serienmacherin mit solch einer Leichtigkeit alle möglichen sozialen Gruppen aufs Korn nimmt und eine diebische Freude bei der Verwendung unkorrekter Sprache empfindet. Doch auch ein produktionsbedingter Aspekt führte dazu, wie sie weiter ausführt: Dass »Orange Is the New Black« keine reine Dramaserie ist, hat auch damit zu tun, dass Kohan schlicht keine Lust hatte, eine solche zu schreiben, das wäre nämlich, in ihren Worten, »bedrückend« gewesen. Und außerdem: »Du willst Leute nicht belehren, niemand hat Lust, belehrt zu werden. Mein Beruf ist es zu unterhalten, und wenn das dafür sorgt, dass ein Gespräch in Gang kommt oder Menschen miteinander reden, umso besser! Ich habe immer eine Agenda im Hinterkopf.« Die Agenda ist klar: So manche Figuren aus »Orange Is the New Black« sind wegen absurder Delikte eingesperrt – dumme Zufälle, schlechte Verhältnisse, ökonomische Zwänge oder Kindereien haben sie in den Knast gebracht. Den US-amerikanischen prison-industrial complex und die Armut, die ihn ermöglicht, zu denunzieren, das ist der Kern von »Orange Is the New Black«.

Suzanne (Uzo Aduba), genannt »Crazy Eyes«

Ob auch ein Dickens dabei ist? Suzanne (Uzo Aduba), genannt »Crazy Eyes«

Bild:
JoJo Whilden / Netflix

Diese Mischung aus Unterhaltung und Aufklärung ist nichts Neues, tatsächlich könnte man sie als literarische Tradition bezeichnen, die nicht zuletzt auf Charles Dickens zurückgeht. Der britische Schriftsteller schrieb nämlich überraschend heitere und sarkastische Geschichten über das Elend des viktorianischen Zeitalters, über Armenhäuser, Bettler, Pfaffen – und zählte nicht umsonst zu den Lieblingsautoren von Karl Marx. Dass Anspielungen auf Dickens und seine Hauptfiguren wie Oliver Twist mehrmals in »Orange Is the New Black« zu finden sind, kann man durchaus als Statement verstehen. Eine davon ist besonders bezeichnend: Als die Wärterinnen und Wärter dazu angehalten werden, strenger zu sein und härter zu arbeiten, erklärt sich die eigentlich naive und furchtbar nette Susan Fischer (Lauren Lapkus) dazu bereit, die Telefonate der Insassinnen mitzuhören, um schließlich ihrem Vorgesetzten, dem schmierigen, aber dennoch inte­gren Joe Caputo (Nick Sandow), in viel zu enthusiastischer Weise mit­zuteilen: »Es ist, als würde man Dickens lesen!«

Statt in einem Buch von Dickens wähnt man sich als Zuschauer aber beizeiten auch in einem Stück von Bertolt Brecht. Im Gefängnis von Litchfield wimmelt es nur so vor Frauen, die an die Spelunken-Jenny, Johanna Dark, Teresa Carrar, die Mutter Courage oder Shen Te gemahnen. Vor allem Taystee, neben Piper die heimliche Hauptfigur, vereint gleich mehrere Eigenschaften der Brecht’schen Charaktere auf sich: ­Die eigentlich heitere junge Frau wird von den Verhältnissen so erdrückt, dass sie am Ende kurz vorm Suizid steht. Taystee ist ein herzensguter Mensch, der alles richtig machen will, doch das ist in einer falsch eingerichteten Welt, respektive im Gefängnis, schlicht nicht möglich – und genau das versucht »Orange Is the New Black« mit einem an das epische Theater erinnernden Gestus darzustellen, der eben nicht ohne einen klassenkämpferischen Ton auskommt.

Keeping it real
Fast möchte man es für ein Wunder halten, dass das Gefängnissystem der Vereinigten Staaten nach der Ausstrahlung von »Orange Is the New Black« unverändert fortbestehen konnte, immerhin zeigt die Serie detailliert, wie grausam es in dieser Institution zugeht – keinen Zuschauer kann das unberührt lassen. Aber der naiven Illusion, dass man mit einer Serie wirklich etwas verändern kann, geben sich die Macherinnen (tatsächlich waren nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera zum größten Teil Frauen beschäftigt) dann doch nicht hin. Zumindest wurde der Poussey Washington Fund eingerichtet, eine Stiftung, die nach der Figur Poussey benannt ist und finanziell Organisationen unter die Arme greift, die sich für Gefängnisreformen und vor allem für inhaftierte Migrantinnen und Migranten einsetzen.

Doch in der Serie selbst herrscht als ästhetisches Programm bis zum Ende ein unerbittlicher Pessimismus. Zwar gab es laut der sehr lesenswerten Oral History, die der Hollywood Reporter 2019 über die Serie veröffentlichte, von Anfang an den Plan, aus der Serienmacherin Jenji Kohan eine Figur in der Serie zu machen, die dann als Teil der Handlung das Serienkonzept einem Sender vorschlägt. Und auch Piper sinniert in einer Folge der sechsten Staffel einmal dar­über, so wie ihr nicht fiktives Vorbild Piper Kerman Memoiren zu verfassen – was aber nie wieder erwähnt wird. Ein Metakommentar will »Orange Is the New Black« eben doch nicht sein, sondern bleibt bis zum bitteren Ende der Wahrheit verpflichtet – und die hat kein Happy End.

Im Jahr 2018, da wurde die siebte Staffel längst produziert, wurde den Detention Centers des ICE, der US-amerikanischen Zoll- und Grenzbehörde, eine größere Aufmerksamkeit zuteil. In den Lagern wurden Menschen in Käfige eingesperrt und einer rigorosen Bürokratie zugeführt, Kinder wurden gar von ihren Eltern getrennt. In solch einem Lager spielt auch ein Teil der siebten Staffel. Im Hollywood Reporter sagte Laura Gómez, deren Figur Blanca Flores in solch einer Unterkunft eingekerkert ist, den Satz: »Du kannst den Nachrichten entkommen, aber nicht deiner Lieblingsserie.«

Es ist das große Verdienst von »Orange Is the New Black«, das pure Elend so unterhaltsam, so berührend und so extravagant und verführerisch erzählt zu haben – und dabei nie zu vergessen, dass es um echte Menschen geht, deren Geschichten hier ausgebreitet werden.

Und tatsächlich ist dies das große Verdienst von »Orange Is the New Black«, nämlich das pure Elend so unterhaltsam, so berührend und so extravagant und verführerisch erzählt zu haben – und dabei nie zu vergessen, dass es um echte Menschen geht, deren Geschichten hier ausgebreitet werden. Diese realness, die unter Umständen auch total in die Hose hätte gehen können, drückt sich in jeder Folge der Serie aus, schon im Vorspann, in dem man, untermalt von dem Lied »You’ve Got Time« von Regina Spektor, Ausschnitte von Frauengesichtern sieht – allesamt ehemalige Häftlinge. Wenn die Frauen im Knast Spanisch sprechen, was gar nicht so selten passiert, wird das Gesagte allein in Untertiteln übersetzt. Und wenn in der siebten Staffel Kleinkinder ohne Begleitung vor einem Gericht erscheinen müssen, als Angeklagte in ihrem eigenen Abschiebeprozess, ist das keine Übertreibung, sondern eine dokumentierte Praxis US-amerikanischer Behörden. Die ausführende Produzentin Tara Herrmann führte das einmal so aus: »Letztendlich mussten wir die Wahrhaftigkeit der Geschichte erzählen«, und Jenji Kohan ergänzt: »Die Ungerechtigkeit der Geschichte.«

»Ich will, dass das Publikum sich in die Figuren verliebt, obwohl sie schreckliche Dinge tun«, sagte Kohan ein anderes Mal. »Sie sind kriminell, aber sie sind großartig!« Und so passiert es dann, dass man überraschenderweise mit Tiffany »Pennsatucky« Doggett (Taryn Manning) mitfühlt, einer rassistischen Insassin, die eine Mitarbeiterin einer Abtreibungsklinik erschossen hat. Oder man fühlt gar Empathie mit Baxter Bayley (Alan Aisenberg), dem Wärter, unter dessen Gewaltanwendung eine Insassin zu Tode kommt – und der im Nachhinein ohne Erfolg versucht, sich selbst anzuzeigen, denn die Polizisten denken gar nicht daran, einen Mitarbeiter des Strafvollzugs zu behelligen. Oder man grinst über ausgetauschte Zärtlichkeiten, schmunzelt aufgrund von allzu unsensibler Wortwahl oder lacht auf, weil die Widersprüche so schreiend werden, dass einem gar nichts mehr anderes übrigbleibt, zumindest wenn man Jenji Kohan Glauben schenken mag, die einmal bemerkte: »Ich glaube wirklich, dass alles ­lus­tig ist – oft aus unangemessenen Gründen.«

»Orange Is the New Black« kann bei Netflix gestreamt werden.