Axel Honneth stößt an die Grenzen einer normativen Theorie der Arbeit

Bessere Arbeit wagen

Die Arbeitsverhältnisse im Neoliberalismus führen zu Politik- und Demokratieverdrossenheit, meint Axel Honneth. In seinem Buch »Der arbeitende Souverän« macht der Sozialphilosoph Vorschläge, wie sich das ändern ließe.

Die liberale Fiktion besagt, dass die Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Debatten und demokratischer Willensbildung von den herrschenden Arbeitsbedingungen unabhängig sei. Der Philosoph Axel Honneth, der von 2001 bis 2018 das Frankfurter Institut für Sozialforschung leitete, erkennt darin einen gefährlichen blinden Fleck. Wer von schlechten Arbeitsbedingungen zermürbt werde, könne sich kaum dem Kreis derer zugehörig fühlen, die einander gleich­gestellt sind und an freien Willensbildungsprozessen teilnehmen.

Miese Arbeitsbedingungen gibt es jedoch zuhauf und immer mehr Menschen sind davon betroffen: Plackerei, geringe Bezahlung, Arbeitsverdichtung, die Angst vor Entlassung, Bevormundung et cetera. Zudem nehmen auch die Isolation am Arbeitsplatz und Prekarisierung zu, während soziale Sicherungen tendenziell gelockert oder abgebaut werden. Und über all das hat sich eine Atmosphäre des ängstlichen Durchhaltens gelegt. Insgesamt stellt die kapitalis­tische Arbeitswelt also eher die Gegenwelt zu einer politischen Demokratie dar und ist somit eine wesentliche Ursache für Politikverdrossenheit und die geradezu pandemischen Erfolge autoritärer Strömungen.

Was sollte also geändert werden? Honneth rät in seinem kürzlich erschienenen Buch »Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit« dazu, zwei Strategien parallel zu verfolgen: Zum einen solle nach Alternativen zum herkömmlichen Arbeitsverhältnis Ausschau gehalten werden, zum anderen müssten, wo diese fortbestehen, die Arbeitsbedingungen entschieden verbessert werden, um den Widerspruch zwischen politischer Teilhabe und einem unselbständigen Arbeitsleben aufzuheben. Zuvor müsse jedoch unbedingt der Niedriglohnsektor beseitigt werden, so dass sich am Ende praktisch jeder gewöhnlich Beschäftigte in einem Normalarbeitsverhältnis mit entsprechenden rechtlichen Sicherungen wiederfinden könne. Erst danach könnten weitere Maßnahmen folgen. Das ist zweifellos ein sympathischer Zug an Honneths Buch und impliziert ganz nebenbei, dass die sogenannten Hartz-Reformen ein extrem demokratieschädigendes Programm waren.

Insgesamt stellt die kapitalistische Arbeitswelt eher die Gegenwelt zu einer politischen Demokratie dar und ist somit eine wesentliche Ursache für Politikverdrossenheit und die geradezu pandemischen Erfolge autoritärer Strömungen.

Auf der Suche nach Alternativen zum gewöhnlichen Arbeitsverhältnis findet Honneth drei, die seinen Zwecken dienlich scheinen. Da wären zunächst (Vorschlag eins) autonom geführte Produktionsgenossenschaften, in denen die Arbeitskräfte die Kontrolle über alle Entscheidungen bis hin zur Wahl des Managements ausüben. Hier finden sich die demokratischen Tugenden am Arbeitsplatz selbst wieder. Wünschenswert wäre daher eine schrittweise Umwandlung aller Unternehmen in solche Genossenschaften. Das hält Honneth für den Königsweg, der allerdings durch nahezu unüberwindliche Hindernisse blockiert sei. Denn da die Produktionsgenossenschaften sich weiterhin in einem kapitalistischen Umfeld bewegen müssen, sind auch der allgemeinen Konkurrenz unterworfen. Faktisch treiben daher viele von ihnen nach einer gewissen Zeit in den Ruin oder sie entfernen sich immer mehr von ihrem Gründungsgedanken und unterscheiden sich schließlich kaum noch von gewöhnlichen Unternehmen. Unterbinden ließe sich beides nur durch hohe staatliche Subventionen, die beträchtliche Mengen an Steuergeldern verschlingen würden. Es bleibt dem Leser überlassen, einzuschätzen, wie realistisch diese Forderung ist.

Bei staatlichen Dienstverpflichtungen (Vorschlag zwei) werden Arbeiten hingegen hoheitlich zugewiesen. Jeder arbeitsfähigen Person soll während eines relativ kurzen Altersabschnitts zugemutet werden, für andere tätig zu sein, um die Fähigkeit zu üben, sich in diese hineinzuversetzen und Solidarität zu praktizieren. Das bedeutet allerdings Zwang, auch wenn dieser zeitlich stark befristet ist.

Die letzte Option (Vorschlag drei) besteht in einem staatlich un­terstützten Sozialdienst, der sich als zwangloses Angebot an Arbeitslose richtet. Dort sollen gegen eine eher geringe Vergütung Aufgaben erledigt werden, die eindeutig dem Gemeinwohl dienen.

Honneth verfolgt einen normativen Ansatz, der angesichts der harten Fakten der sozialen Realität etwas hilflos erscheint.

Die zweite Strategie besteht darin, die Arbeitsbedingungen der herkömmlichen Lohnarbeit zu verbessern. Entsprechende Reformen würden allerdings tiefe Einschnitte in die unternehmerischen Freiheiten mit sich bringen, die nur mit entsprechender politischer Macht durchgesetzt werden könnten. Im Einzelnen geht es hier nicht nur um Lohnhöhe, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, sondern auch um die Würdigung und Anerkennung der Leistungen der Arbeitskräfte; beispielsweise für solche grundlos geringgeschätzten Berufe wie Müllwerker. Sofern bestimmte Berufe das nicht ermöglichen, müssten sie entsprechend umgestaltet werden. Das sei laut Honneth im Prinzip möglich, da Berufe selbst das Resultat einer mehr oder weniger willkürlichen Bündelung von Tätigkeiten sind, die man auch anders gestalten könnte, mit dem Ziel, dass sie die Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess ermöglichen. Inwiefern diese Strategie mit ökonomischen Zwängen kollidiert oder auch nicht, wird leider nicht erörtert.

Honneth verfolgt einen normativen Ansatz, der angesichts der harten Fakten der sozialen Realität etwas hilflos erscheint. Eingedenk der Tatsache, dass die ökonomische Entwicklung in weiten Teilen unabhängig vom Willen der Menschen verläuft, wirkt der rein appellative Charakter seines normenbasierten The­orieansatzes seltsam naiv. Vielmehr müssten ökonomische Prozesse tiefer analysiert und dabei auch die Rolle der Arbeit in spätkapitalistischen Gesellschaften gründlicher durchdacht und kritisiert werden. Honneth betrachtet Arbeit – abgesehen vom entschieden abzulehnenden Gift des Nationalismus – als die einzige Quelle des sozialen Zusammenhalts, wes­wegen er sich auch ausdrücklich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ausspricht. Denn ohne Arbeit gäbe es seiner Auffassung nach keinen Zwang mehr, sich untereinander zu koordinieren.

Warum aber ist Zwang, den Honneth ja auch im Rahmen staatlicher Dienstverpflichtungen einsetzen möchte, eigentlich nötig? Angesichts einer Arbeitswelt, die schon lange nicht mehr zur gesellschaftlichen Integration imstande ist, sondern den Prozess der Isolierung und Vereinsamung eher beschleunigt – man denke nur an einsame Paketboten –, ist ihre Funktion als gesellschaftliches Integrationsprinzip ohnehin fragwürdig geworden. Ganz zu schweigen davon, dass es seit jeher die ­Privatarbeit war, die die Menschen voneinander getrennt und zu isolierten Privatproduzenten gemacht hat, die sich dann erst über den Tausch beziehungsweise Verkauf ihrer Waren untereinander vermitteln mussten. Insofern ist Arbeit nicht die Lösung, sondern der Kern des Problems.


Buchcover

Axel Honneth: Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit. Suhrkamp, Berlin 2023, 397 Seiten, 30 Euro