Der antikoloniale Schriftsteller ­Anton de Kom kam im KZ Neuengamme ums Leben

Kämpfer gegen Kolonialismus und Nationalsozialismus

Der Antikolonialist und NS-Widerstandskämpfer Anton de Kom aus Suriname soll in den Niederlanden mit einem nach ihm benannten Lehrstuhl geehrt werden. Er starb in einem Außenlager des KZ Neuengamme, doch sein Leben und Werk sind in Deutschland kaum bekannt.

Nach langen Debatten hat der niederländische König Willem-Alexander am 1. Juli zum 150. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei um Verzeihung für das an Hunderttausenden Menschen verübte Unrecht gebeten. Er folgte damit einer Entschuldigung des Ministerpräsidenten Marc Rutte vom Dezember vergangenen Jahres. Kurz zuvor, am 19. Juni, hatte zudem der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra den einst verfolgten antikolonialen Autor und Freiheitskämpfer Anton de Kom im Beisein von dessen Nachfahren rehabilitiert und angekündigt, dass an der Freien Universität Amsterdam ein Anton-de-Kom-Lehrstuhl zur Forschung und Lehre über die Geschichte der niederländischen Sklaverei eingerichtet werde. De Kom, der aus der damaligen nieder­ländischen Kolonie Suriname stammte, hatte in seinem 1934 erschienenen Hauptwerk »Wir Sklaven von Suriname« die niederländischen Kolonialverbrechen in dem südamerikanischen Land angeprangert.

In den dreißiger Jahren war de Kom sowohl in den Niederlanden als auch in Suriname wiederholt wegen seiner ­politischen Aktivitäten festgenommen worden. Unter deutscher Besatzung schloss er sich dem niederländischen Widerstand an, wurde von der Gestapo festgenommen, nach Deutschland verschleppt und starb im Alter von 47 Jahren im niedersächsischen Sandbostel, in einem Außenlager des KZ Neuengamme.

In den Niederlanden ist Anton de Kom einer der bekanntesten kolonialismuskritischen Autoren, sein Werk wurde in den Schulkanon aufgenommen. In seiner Heimat Suriname ist er ein Nationalheld, die Universität des Landes ist nach ihm benannt. In Deutschland hingegen ist sein Name kaum im öffentlichen Bewusstsein, obwohl er in einem deutschen KZ umgebracht wurde. Daran hat auch eine 2021 erschienene, sorgfältig edierte Neuübersetzung seines zuerst 1934 stark zensiert in den Niederlanden veröffentlichten Buchs wenig geändert. Das ist auch insofern bemerkenswert, als die deutsche Neuveröffentlichung zu einem Zeitpunkt erfolgte, da man in Deutschland heftig über die Verbindungen zwischen Nati­onalsozialismus und Kolonialismus sowie den Stellenwert der Kolonialerin­nerung gegenüber dem Holocaustgedenken stritt.

In den Niederlanden ist Anton de Kom einer der bekanntesten kolonialismuskritischen Autoren, sein Werk wurde in den Schulkanon aufgenommen.

Als Anton de Kom 1898 in Surinames Hauptstadt Paramaribo geboren wurde, war die Sklaverei erst 35 Jahre abgeschafft. Sein Vater wurde noch als Sklave geboren, während seine Mutter Tochter freigekaufter Sklaven war. De Kom erreichte einen weiterführenden Schulabschluss mit kaufmännischem Diplom und arbeitete zunächst als Büroangestellter niederländischer Firmen. 1920 ging er in die Niederlande, wo er zunächst einen freiwilligen Militärdienst leistete und dann als Vertreter arbeitete. Bereits in Suriname hatte er sich für die Rechte der Arbeiter eingesetzt, die den kautschukähnlichen Rohstoff Balata ernteten. Im kolonialen »Mutterland« kam er während der zwanziger Jahre dann in Kontakt mit der unter Federführung der Komintern von Willi Münzenberg aufgebauten Liga gegen Imperialismus und für natio­nale Unabhängigkeit. Im Februar 1927 nahm de Kom am Kongress gegen ko­loniale Unterdrückung und Imperialismus in Brüssel teil, im September ­desselben Jahres trugen ihm seine Aktivitäten die erste Verhaftung wegen »aufrührerischer kommunistischer Aktivitäten« ein.

1932 reiste de Kom, der mit einer Niederländerin verheiratet war, mit seiner Familie wieder nach Suri­name. Am Hafen erwarteten ihn eine große Menschenmenge sowie zahlreiche Polizisten, die ihn fortan unter ständiger Beobachtung hielten. De Kom baute ein Beratungsbüro für surinamische Arbeiter:innen auf, das oft Hunderte von Ratsuchenden am Tag anzog und bald auch zur Anlaufstelle für Anti­kolonialist:innen wurde. Die Behörden reagierten im Januar 1933 mit der Verhaftung de Koms. Trotz heftiger Proteste mit zwei Todesopfern und vielen Verletzten wurde er mit seiner Familie in die Niederlande abgeschoben. Dort konnte er aufgrund der fortgesetzten Repression kaum noch arbeiten und schrieb daher vor allem sein bereits 1926 begonnenes Buch zu Ende. Das fertige Werk konnte 1934 nur in stark entschärfter Form erscheinen und wurde nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1940 sofort verboten.

»Wir Sklaven von Suriname« ist zunächst eine auf umfangreichen Archivrecherchen beruhende Darstellung der Kolonialgeschichte Surinames. Großen Raum nehmen die grausamen Praktiken des Kolonialregimes ein, die de Kom entlang der Abfolge der verschiedenen Kolonialgouverneure mit ihren jeweiligen speziellen Methoden der brutalen Sklavenpeinigung darstellt. Das gilt vor allem für die Verfolgung und besonders grausame Bestrafung geflohener Sklav:innen, die als »Marrons« (Ent­laufene) in entlegenen Dschungelgebieten lebten und manchmal Widerstandsgruppen bildeten. Ihnen und ihren männlichen wie weiblichen Führungsfiguren setzt de Koms Buch ein litera­risches Denkmal.

De Kom beschränkt sich dabei keineswegs auf die nüchterne Darstellung der historischen Fakten. Er streut teils hymnische, teils poetische Passagen und autobiographische Schilderungen ein. Vor allem schreibt er fast durchgängig in der ersten Person Plural, und dieses »wir« geht weit über das nationale »wir Surinamer« der antikolonialen Befreiungsbewegung Surinams ­hinaus, als deren Mitgründer de Kom gilt. Immer wieder wird deutlich, dass es de Kom eine Länder und ethnisch-kulturelle Grenzen überwindende Solidarität der Unterdrückten und Aus­gebeuteten ganz im Sinne des proletarischen Internationalismus geht.

Daher legt er auch großes Gewicht auf die Darstellung der Verschränkung des Kolonialrassismus mit ökonomisch grundierten Ausbeutungs- und Klassenverhältnissen. Entsprechend empathisch schildert er das Los der verschiedenen asiatischstämmigen Bevölkerungsgruppen in Suriname, die oft mit Vertragsangeboten als »Kulis« angeworben wurden, sich dann aber alsbald betrogen und in sklavenähnliche Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse gepresst sahen. All diese unterschiedlichen Gruppen schließt de Kom in sein »wir« ein, in der Hoffnung, »begreiflich zu machen, dass einzig Solidarität alle Söhne von Mutter Sranan in ihrem Kampf um ein menschenwürdiges ­Leben vereinen kann«. Sranan ist der Name Surinames in der dort ge­sprochenen Kreolsprache Srnantongo.

Der Literaturwissenschaftler Duco van Oostrum stellt Anton de Kom in seinem Nachwort zur deutschen Neuausgabe zutreffend in eine Reihe mit afroamerikanischen Autoren wie W. E. B. Du Bois oder dem anti- und postkolonialen Kritiker Frantz Fanon. Als Gemeinsamkeit hebt er die Überwindung des »Minderwertigkeitsgefühl(s) der Versklavten, dem de Kom genau wie Frantz Fanon äußerst sensibel seine Aufmerksamkeit schenkt«, hervor.

Ein Denkmal de Koms sorgte für Unmut in der surinamischen Gemeinde der Niederlande, da der im realen Leben stets auf der Höhe seiner Zeit gekleidete Autor dort halbnackt dargestellt wurde.

Eine weitere Gemeinsamkeit vor allem zu Fanons erstem Buch »Schwarze Haut, weiße Masken« ist sicher der sarkastische Tonfall, in dem de Kom oft schreibt. In einem zentralen Punkt unterscheidet er sich allerdings von der Fanon’schen Befreiungsperspektive: Er lehnt Gewalt als Mittel des Befreiungskampfs ab und bemüht sich stattdessen um Selbstaufklärung durch Bildung und politisch-gewerkschaftliche Organisation. Als eine militante Gruppe der Djuka-Marrons Waffen auf seinem Grundstück verstecken will, weist er dies »äußerst bestimmt« zurück: »Mir geht es um eine Organisation, nicht um ein Blutbad.«

Unter der nationalsozialistischen Besatzung schließt sich de Kom dem ­niederländischen Widerstand an und schreibt für die kommunistische Untergrundzeitung De Vonk. Im August 1944 wird er von der Gestapo verhaftet und nach Zwischenstationen in niederländischen Gefängnissen und Konzentrationslagern schließlich über Oranienburg in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert, in dessen »Auffanglager« Sandbostel er nach brutaler Zwangsarbeit schließlich am 24. April 1945, als bereits die ersten britischen Truppen zu dem Lager vordrangen, an Entkräftung und Krankheit, offiziell Tuberkulose, starb.

In den Niederlanden ist Anton de Kom mit der Ehrung im Juni angemessen gewürdigt worden. Ein bereits 2006 in Amsterdam errichtetes Denkmal für de Kom hatte dagegen für ­berechtigten Unmut in der surinamischen Gemeinde der Niederlande gesorgt, da der im realen Leben stets auf der Höhe seiner Zeit gekleidete Autor dort halbnackt dargestellt wurde.

In Deutschland beschränkt sich das Erinnern an de Kom bislang im Wesentlichen auf die KZ-Gedenkstätten Neuengamme und Sandbostel. Erwähnt seien die 2019 von der Gedenkstätte Neuengamme in Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg und der Universität Hamburg herausgegebenen Bildungsmaterialien »Verflechtungen – Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus«, in denen neben anderen nichtweißen NS-Verfolgten auch Anton de Kom ausführlich behandelt wird. Die über die Website von Neuengamme zugänglichen Materialien zeigen, dass es möglich ist, Bezüge zwischen Nationalsozialismus und Kolonialverbrechen aufzuzeigen, ohne Holocaust und koloniale Genozide, Rassismus und Antisemitismus auf fragwürdige Weise zu homogenisieren.