Was der »Zeit«-Essay von Fabian Wolff über den Journalismus und die Wahrheit verrät

Das Gewicht der unzähligen Ichs

Der Autor Fabian Wolff, der in den vergangenen Jahren durch antiisraelische Positionen aufgefallen war, verkündete kürzlich in der »Zeit«, er sei gar kein Jude, obwohl er bis dahin seine jüdische Herkunft oft ins Feld geführt hatte. Diese Geschichte offenbart nicht nur viel über die deutschen Befindlichkeiten, wenn es um Israel geht, sondern auch über die ­Faszination des »Sprechorts« im Journalismus.

Philip Roths Roman »Patrimony« (deutscher Titel: »Mein Leben als Sohn«) behandelt das Sterben seines Vaters. Im Gegensatz zum Gros ­seines Werks arbeitet der mehrfach preisgekrönte jüdisch-amerikanische Autor in dem 1991 erschienenen Buch weitgehend ohne Brechungen, verzichtet auf Übertreibungen oder Humor. Das absehbare Ableben des Vaters und die bürokratische Organisation, die dieser nahende Tod notwendig macht, beschrieb er detailgetreu und intim – irgendetwas von dieser offenkundigen Tragik noch fiktionalisieren zu müssen, das war Roth fremd.

Ausgerechnet der deutsche Titel dieses Buchs ist nun der Titel eines Essays, der Mitte Juli auf Zeit Online erschien, geschrieben vom deutschen Autor Fabian Wolff. Es ist nun nicht so, dass es etwas ganz Einzigartiges wäre, dass ein Text mit einer literarischen Anspielung im Titel aufwartet. Der Text selber jedoch ist es schon. Nicht nur, dass er auf 70.000 Zeichen ausufert, selbst fürs gesprächige deutsche Feuilleton ungewöhnlich, auch den nahezu durchgängigen »Ich«-Stil – abseits von ­bestimmten Formaten eigentlich im Journalismus verpönt – ließ die Redaktion durchgehen.

Und es wird noch ungewöhnlicher: Nicht nur bricht der Artikel mit ­beinahe sämtlichen journalistischen Gepflogenheiten, er dürfte für das Publikum der Zeit an sich uninteressant, vermutlich sogar unverständlich sein. Denn primär geht es um den Autor selbst: um den Fakt, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach kein Jude ist.

Nun ist der Schutzschild weg, der Jude ein falscher und Fabian Wolff nur noch ein deutscher Autor, der mit vielen Worten ausschweifend ­erklärt hat, dass er ein Problem mit Israel hat.

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