Traditionelle Familienwerte und Geschlechterrollen verbinden Rechtsextreme und konservative Muslime

Komplimente von rechts

In rechtsextremen Kreisen diskutiert man, ob Muslime neue Verbündete im Kampf gegen Wokeness, LGBTQ und Feminismus sein können. Auch konservative Muslime sehen Gemeinsamkeiten.

In rechten Medien wird derzeit heftig diskutiert, ob die Ablehnung des Islam nicht in eine Sackgasse geführt habe und man nicht stattdessen konservative Muslime als Partner gewinnen müsse. Anlass sind zwei Essaybände, »Feindbild Islam als Sackgasse« von Frederic Höfer (2023) und Simon Kießlings »Das neue Volk« (2022). Die meisten rechten Rezensenten zollen den beiden Respekt für ihre »mutigen« Thesen, fremdeln aber weiterhin mit dem Islam. Auch die Frage, ob denn die Muslime überhaupt mitmachen würden, stellen viele.

Martin Sellner, Chefideologe der »Identitären Bewegung« in Österreich, findet das alles nur blauäugig und naiv. Die Migranten würden idealisiert dargestellt, »als hätten sie irgendwelche großen genderpolitischen Absichten«. »Wisst ihr, wie die Moslems wählen?« fragt er die Zuschauer seines Vlogs auf Telegram. »Progressiv!« Zur »Progressive Muslim Vote« in Einwanderungsländern gebe es sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Denn die Muslime wählten nun mal die Parteien, die ihnen das geben, was sie wollen.

Die deutsch-muslimische Website »Spektrum Islam« ist da anderer Meinung. Dort wird Höfers Buch »Feindbild Islam als Sackgasse« wohlwollend besprochen. Am Ende beschreibt der Autor das Dilemma, das Wahlen seiner Ansicht nach für deutsche Muslime darstellen: »Die linken Parteien sind aufgrund der dort propagierten Moralvorstellungen für sie unwählbar.« Die CDU habe sich diesen Vorstellungen angepasst, die AfD sei aufgrund ihrer Islamfeindlichkeit unwählbar. »Im Falle eines tatsächlichen Kurswechsels wären konservative rechte Parteien für Muslime wählbar, was allerdings nicht für rechtsradikale und neonazistische gilt.«

Der muslimische Autor Huseyin Özoğuz schreibt auf der Seite Heimatkurier, die der »Identitären Bewegung« nahesteht: »Rechte, Muslime sind nicht eure Feinde, denn sie werden eure eigene Identität und das Recht deutscher völkischer Selbstbehauptung langfristig stärken.« Nicht die muslimischen Einwanderer hätten »die Dekadenz ins Volk getragen«. Özoğuz fragt: »Wie werden Beziehungsunfähigkeit, zerstörerischer Feminismus, geschlechtliche Verirrungen, Homo-Kult und katastrophale Demographie geheilt?«

»Ihr lebt in der muslimischen Welt: Ihr habt eine Frau, sie kocht, putzt, betrügt euch nicht, weil sie sonst gesteinigt wird. Und dann guckt ihr westliche Medien und seht, dass selbst Will Smiths Frau ihn betrügt.« Andrew Tate

Tatsächlich scheint sich das muslimische Wahlverhalten in den vergangenen Jahren verändert zu haben. Einstmals wählten Muslime mehrheitlich SPD; auch Linkspartei und Grüne erhielten überproportional viele Stimmen. Die CDU kam hingegen vor zehn Jahren nur auf einstellige Ergebnisse bei Befragungen muslimischer Wähler – so landete sie in einer Umfrage des Berliner Meinungsforschungsinstituts Data4U nach der Bundestagswahl 2013 bei sieben Prozent. In aktu­ellen Befragungen kommt sie hingegen auf das Drei- bis Vierfache. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen nach der Berliner Wiederholungswahl gaben gar 27,7 Prozent derer, die sich als muslimisch einordneten, an, die CDU gewählt zu haben. SPD und Linkspartei erhielten nur noch etwas mehr als in der Gesamtbevölkerung, während die Grünen bei muslimischen Wählern ­inzwischen ziemlich unpopulär zu sein scheinen mit nur noch 8,3 Prozent.

In den USA, Kanada und Großbritannien lässt sich schon länger eine Annäherung von Rechten und bestimmten muslimischen Milieus beobachten. Was sie verbindet, sind Fa­milienwerte, eindeutige Vorstellungen von Geschlechterrollen und die Ablehnung von LGBTQ. So lädt der kanadische Psychologe Jordan Peterson regelmäßig prominente Muslime zu Interviews ein, die er auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht. Der bekennende Antifeminist hat eine große Fangemeinde, auch unter Muslimen.

Eine noch größere muslimische Anhängerschaft hat der Influencer Andrew Tate. Er bietet Kurse für Männer, in denen er ihnen beibringt, unterwürfige Frauen aufzureißen. Auf den großen Social-Media-Plattformen wurde er wegen seiner frauenverachtenden Äußerungen gesperrt, in Rumänien läuft ein Verfahren unter anderem wegen Frauenhandels gegen ihn. Seine Fans sind vor allem Incels – unfreiwillig alleinstehende Männer, die meinen, der Feminismus sei schuld daran, dass sie keinen Sex haben – und ebenso misogyne red pillers, die meinen, sich mit reak­tionären Ansichten von der vermeintlichen Gehirnwäsche des »liberalen Mainstreams« zu befreien.

Tate äußerte schon vor längerer Zeit Respekt für den Islam. Vergangenen Oktober gab er dann bekannt, zum Islam konvertiert zu sein. Das tat er in ­einem Youtube-Video, in dem er sich über das US-amerikanische Schauspielerehepaar Jada Pinkett Smith und Will Smith erregt. Die Smiths sprechen in Jadas eigener Talkshow darüber, was ihr Seitensprung mit einem jüngeren Mann für ihre Beziehung bedeute. Tate erklärt, das habe ihn zum Islam bekehrt: »Stellt euch vor, ihr lebt in der muslimischen Welt: Ihr habt eine Frau, sie kocht, sie putzt, sie betrügt euch nicht, weil sie sonst gesteinigt wird. Und dann guckt ihr westlichen Medien und seht, dass selbst Will Smiths Frau ihn betrügt. Würdet ihr Frauen eigene Entscheidungen treffen lassen? Oder würdet ihr sagen: Bitch, zieh die Burka an und halt die Klappe?«

In den USA, Kanada und Großbritannien lässt sich schon länger eine Annäherung von Rechten und bestimmten muslimischen Milieus beobachten.

Tates Konversion hat bei Muslimen ein geteiltes Echo hervorgerufen. Insbesondere Frauen sind alarmiert. Auf der englischsprachigen Website des katarischen Nachrichtensenders al-­Jazeera schreibt die britisch-ägyptische Journalistin Yousra Samir, diese sei ein Schock für Eltern und andere in der muslimischen Gemeinschaft, die einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen hätten, als Tate von den großen Social-Media-Plattformen verbannt wurde.

Aus ihrem und anderen Beiträgen geht hervor, dass Muslim incels und muslimische red pillers ein weitverbreitetes Phänomen sind. In sozialen Medien läuft die Diskussion über diese Erscheinung unter dem Hashtag »Mincels«. Viele muslimische Frauen und Männer wenden sich vor allem mit religiösen Argumenten gegen die Frauenverachtung. Auf dem Twitter-Account »Mincels Posting L’s Online« sammelt ein junger Mann mit Bart, Gebetsmütze und erhobenem Zeigefinger die schlimmsten Entgleisungen, die er »degeneriertes red pill-Verhalten« nennt, darunter etliche Vergewaltigungs- und Morddrohungen.

Das muslimische Online-Frauenmagazin Amaliah brachte im vergangenen Jahr eine längere Analyse zum »Aufstieg des muslimischen Incels«. Soziale Ängste in Bezug auf die männliche Rolle kombiniert mit internalisierter Islamophobie machten diese zutiefst rassistische und sexistische Ideologie für junge Muslime attraktiv. Muslimische Männer übernähmen »falsche und grobe Stereotypen in Bezug auf islamische Männlichkeit« aus der »westlichen Welt« und fühlten sich durch rechtsextreme Antifeministen aufgewertet.

Aber es gibt auch prominente Muslime, die Andrew Tate feiern. Wenig überraschend erklärt der britische Influencer und Islamist Mohammed ­Hijab: »Die meisten Imame, vielleicht die meisten Rabbis und viele Priester hätten wohl Ansichten, wenn nicht identisch, so doch ähnlich wie Tates in Bezug auf die Kernfamilie und Geschlechterrollen.« Aber auch die Unternehmerin Bushra Shaikh, bekannt aus der US-amerikanischen Reality-Show »The Apprentice«, äußert sich positiv. In dem Podcast »Blood Brothers« der zum Islamismus neigenden Website 5 Pillars erläutert sie, dass sie zwar nicht mit allen Positionen Tates übereinstimme, aber insbesondere was er zu Geschlechterrollen, Feminismus, LGBTQ und Transgender zu sagen habe, halte sie für richtig.

Während man in rechten Kreisen Deutschlands mehrheitlich solche Gemeinsamkeiten nicht wahrhaben will, schlägt der niederländische Ultranationalist Thierry Baudet daraus längst Kapital. Seine Partei Forum für Demokratie sei bei jungen Muslimen populär, stellt der Meinungsforscher Aziz el Kaddouri vom Institut Het Opiniehuis fest. Baudet habe die Ablehnung des Islam aus dem Parteiprogramm gestrichen. Er kommuniziert mit islamischen Geistlichen auf Tiktok und hat einen Song über »Cancelcultuur« mit dem niederländischen Rapper Skiezo eingespielt. »Er ist ein Gegner der Wokeness,« sagt Kaddouri dem Online-Portal The Nation View. Seine Vorstellungen traditioneller Geschlechterrollen fänden konservative muslimische Jugendliche interessant.