Peps Gutsche, Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland, im Gespräch über das Gedenken an Hans-Georg Jakobson

»Rechte Gewalt ist hier kein Thema«

In der Nacht vom 28. zum 29. Juli 1993 wurde der Wohnungslose Hans-Georg Jakobson bei Strausberg in Brandenburg von Neonazis überfallen und ermordet. Zu seinem 30. Todestag veröffentlichte die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland gemeinsam mit antifaschistischen Gruppen die Broschüre »Sie gingen, ich blieb liegen«. Die »Jungle World« sprach mit Peps Gutsche von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland.
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Was waren Ihre Beweggründe, diese Broschüre zu erstellen?
Wir beschäftigen uns mit einem Mord, der in Strausberg überhaupt nicht thematisiert wird. Rechte Gewalt ist hier ja generell kein Thema. Am meisten gefreut habe ich mich über das Interview mit Anti-faschist:innen aus drei Generationen. Das hat unter anderem gezeigt, wie wenig Aufmerksamkeit es früher für sozialdarwinistische Gewalt und den Fall Hans-Georg Jakobson gegeben hat.

In der Einleitung thematisieren Sie die Herausforderung, an Opfer rechtsextremer Gewalt zu erinnern, ohne sie auf die Umstände ihres Todes zu reduzieren. Gleichzeitig ist es ja unabdinglich, die Täter und ihre Motive zu verstehen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Die Diskussion läuft schon lange und in der Frage hat sich auch etwas verschoben. 2013 gab es schon mal eine Broschüre, die sich nur auf die Tat und die Täter fokussiert hat. Dieses Mal haben wir versucht, in der Broschüre beidem gerecht zu werden: Einerseits wollten wir die Täter beleuchten, andererseits wollten wir aber auch möglichst viel über Hans-Georg Jakobson wissen. Wir haben außerdem mit einem Text über den in Strausberg wohnungslosen Johannes auch diese Perspektive mit in die Broschüre aufgenommen.

Was lässt sich anhand des Mordes an Jakobson über rechte Gewalt erfahren?
Fast ein Drittel der Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg seit 1990 sind aus sozialdarwinistischen Motiven getötet worden. Der Mord an Hans-Georg Jakobson muss genau wie die Morde 1992 an Emil Wendland in Neuruppin und Rolf Schulze in Lehnin als Ausdruck der Ideologie seiner Mörder betrachtet werden, für die Wohnungslose schlussendlich »lebensunwertes Leben« darstellen.

In einem Kapitel Ihrer Broschüre diskutieren drei Personen über das Gedenken an rechte Gewalt. Einer von ihnen betont, dass er zwar von vielen Fällen wusste, sie allerdings damals nicht als rechtsextreme Gewalt einordnen konnte. Welche Rolle spielten Medien in der Debatte über Nazi-Gewalt in den neunziger Jahren?
In der Broschüre haben wir Zeitungsartikel von damals mit aufgenommen. Ich fand es krass, dass in der damaligen Berichterstattung oft die Motive der Täter gar nicht vorkamen. Da wurden überzeugte Neonazis, die auch nach ihren Haftstrafen in der Nazi-Szene aktiv blieben, als gewalttätige Jugendliche verharmlost.
Viel interessanter finde ich aber die Frage nach der Rolle des Staates. Die Eltern von Hans-Georg Jakobson wurden erst Monate nach seinem Tod informiert. Seine ehemalige Lebensgefährtin erfuhr von seinem Tod nur durch einen Brief des Jugendamts, in dem sie darauf hingewiesen wurde, dass sie nun Halbwaisenrente für die gemeinsamen Kinder beantragen könne. Außerdem ist Hans-Georg Jakobson bis heute von staatlicher Seite nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt.

Die Broschüre kann beim Verein Opferperspektive heruntergeladen werden.